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ERMERSHAUSEN
Der Anführer der Rebellen
Adolf Höhn führte jahrzehntelang den Widerstand gegen die Eingemeindung von Ermershausen nach Maroldsweisach an. Unser Bild zeigt den heute 75-Jährigen vor der Freiheitsglocke in Ermershausen.
Foto: FOTO Klaus Gimmler | Adolf Höhn führte jahrzehntelang den Widerstand gegen die Eingemeindung von Ermershausen nach Maroldsweisach an. Unser Bild zeigt den heute 75-Jährigen vor der Freiheitsglocke in Ermershausen.
Das Gespräch führte KlauS Gimmler
 |  aktualisiert: 11.12.2019 16:28 Uhr

Adolf Höhn war die Galionsfigur des Widerstands im Kampf um die Selbstständigkeit von Ermershausen. Wir sprachen mit ihm über den spektakulären Polizeieinsatz, den langen Kampf und die jetzige Beziehung zu Maroldsweisach.

Frage: Herr Höhn, wie war das in der Nacht zum 19. Mai 1978? Wie haben Sie die erlebt?

Adolf Höhn: Ich erinnere mich noch sehr genau. Ich hatte schon geschlafen und bin von Rufen geweckt worden. Es war zwischen drei und vier Uhr in der Nacht. Auf der Straße schrie jemand: „Hilfe, Hilfe, wir werden überfallen.“ Ich schaute aus dem Fenster und sah überall Uniformierte. Mir war klar, jetzt wird es ernst.

Was taten Sie zuerst?

Höhn: Als erstes habe ich die Presse verständigt. Ich bin in mein Büro und habe auch den damaligen Chef vom Bote vom Haßgau Ivo Martin angerufen. Der ist dann auch gekommen, musste aber Schleichwege nutzen. Die normalen Straßen nach Ermershausen waren gesperrt. Ivo Martin hat dann dieses Riesenaufgebot an Polizeikräften mit Bildern dokumentiert.

Waren es tatsächlich so viele? Die Illustrierte „Stern“ schrieb damals von 1840 Polizisten, die im Einsatz waren.

Höhn: Diese Zahl stimmt. Darunter Einsatzkräfte der Landes- und Bereitschaftspolizei. Der ganze Ort war voll von Polizisten. Die haben sogar noch abgewartet, bis ein Bus der Ermershäuser Landjugend mit 40 Leuten den Ort verlässt. Erst danach haben sie zugeschlagen.

Sie haben also die Medien informiert. Was taten Sie dann?

Höhn: Ich wollte rüber zum Rathaus, dorthin kam ich aber nicht mehr. Die Polizei hatte alles abgeriegelt. Mit Schutzschildern standen die da. Andere waren dabei, die Akten aus dem Rathaus auf einen Lkw zu laden. Meine Wut hat sich immer mehr gesteigert auch angesichts der Machtlosigkeit.

Wurde jemand geschlagen? Haben die Polizisten Schlagstöcke eingesetzt.

Höhn: Es kam wohl vereinzelt dazu. Es gab aber keine großen Schlägereien, auch keine ernsten Verletzungen. Dabei hatte die Polizei mit Verletzten gerechnet. Es waren drei Sankas vor Ort und auch die umgebenen Krankenhäuser waren in Einsatzbereitschaft.

Was geschah dann weiter?

Höhn: Die Feuerwehr holte ein altes Übungsfahrzeug und blockierte damit die Ortsdurchfahrt. Innen waren Zeitungen. Irgendjemand hat dann ein Streichholz hinein geschmissen. Das Auto fing Feuer. Die Polizisten wollten das Auto mit ihren Handfeuerlöschern löschen, das ist ihnen aber nicht gelungen. Als es richtig brannte, habe ich unsere Feuerwehr angewiesen, das Auto zu löschen, bevor jemand zu Schaden kommt. Das Auto blockierte allerdings bis zum folgenden Abend die Ortsdurchfahrt als Zeichen unseres Protestes. Erst dann haben wir es weggeräumt.

Wie lange dauerte die ganze Aktion der Polizei?

Höhn: In 20 Minuten war alles erledigt. Es ging alles ziemlich schnell. Wir waren so wütend darüber.

Wie ging es weiter?

Höhn: Ich erinnere mich. 30 bis 40 Ermershäuser zogen noch am gleichen Tag aus Protest mit Kinderwagen und Handgepäck zur Grenze zur DDR. Sie wollten damit deutlich machen, dass sie in diesem Polizeistaat nicht mehr leben wollen. Die DDR fand das wohl gut, war bestens informiert und hätte sie aus Propaganda-Gründen auch über die Grenze gelassen. Die Grenztore standen auf und aus den Lautsprechern tönte Marschmusik. Ich hatte die Ermershäuser dann aber davon abgehalten und sie sind umgekehrt. Wirklich auswandern wollten die ja auch nicht.

Legte diese Polizeiaktion den Keim des Widerstands?

Höhn: Auf jeden Fall. Nach anfänglicher Niedergeschlagenheit erwachte in uns sehr schnell eine Trotzreaktion.

In der bundesweiten Berichterstattung war immer von den Ermershäuser Rebellen die Rede. Mögen sie dieses Wort?

Höhn: Wir hatten große Rückendeckung bei den Medien, denn keiner hat die Aktion verstanden. Das Wort Rebellen wurde uns aufgedrückt. In dem Sinne, dass jemand für Recht und Gerechtigkeit kämpft, bin ich damit einverstanden.

1994 wurde Ermershausen wieder selbstständig. Hat sich der Kampf gelohnt?

Höhn: Natürlich. Schauen Sie sich unsere Gemeinde an. Wir stehen bestens da. Wir haben keine Schulden, die Steuerkraft ist in Ordnung. Ermershausen ist mit seinem Wald eine verhältnismäßig reiche Gemeinde. Es ging mir immer darum, das Erbe unserer Väter zu erhalten. Ein Wermutstropfen ist für mich, dass es nicht gelungen ist, auch Birkenfeld und Dippach aus Maro zu lösen. Bei einer Abstimmung hatten sich in beiden Orten aber nur rund die Hälfte für die Bindung zu Ermershausen entschieden. Allerdings wurden die Bürger damals zuvor massiv von Leuten aus Maroldsweisach beeinflusst. Wir können aber auch ohne Birkenfeld und Dippach gut leben.

Hat sich denn das Verhältnis zu Maroldsweisach aus ihrer Sicht entspannt?

Höhn: Bei den Bürgern sowieso. Unter denen gab es nie Probleme. Es gibt keine Umarmungen, aber man akzeptiert sich.

Zur Person

Adolf Höhn Der Metzgermeister ist 75 Jahre alt und stand 30 Jahre lang an vorderster Stelle der Gemeinde. 1972 wurde er zum Bürgermeister gewählt, 1976 wurde mit der Eingemeindung Dippach und Birkenfeld der Gemeinde Ermershausen angeschlossen. 1978 erfolgte die Eingliederung in Maroldsweisach. Von 1994 bis 2002 war Höhn wiederum Bürgermeister von Ermershausen. Die Adolf-Höhn-Halle ist nach ihm benannt. Höhn ist in den letzten fünf Jahren gesundheitlich angeschlagen.

Eine denkwürdige Nacht: Die Bewohner von Ermershausen können es nicht fassen, dass die Polizei in der Nacht zum 19. Mai 1978 das Rathaus von Ermershausen stürmt, um die dort lagernden Akten nach Maroldsweisach zu schaffen.
Foto: FOTO Privat | Eine denkwürdige Nacht: Die Bewohner von Ermershausen können es nicht fassen, dass die Polizei in der Nacht zum 19.
Mit einem Auto, welches die Feuerwehr für Übungen genutzt hat, wurde die Ortsdurchfahrt von Ermershausen blockiert.
| Mit einem Auto, welches die Feuerwehr für Übungen genutzt hat, wurde die Ortsdurchfahrt von Ermershausen blockiert.
 
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