
Susanne Jacob-de-Vries hält sich gerne in der Natur auf. Tägliche Spaziergänge durch den Steigerwald an der Seite ihres Mannes Herman waren obligatorisch, ehe die heute 79-jährige vor zwei Jahren einen Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung erlitt.
Was ihren Freiheitsdrang nicht brach. Und mit Hilfe eines elektrisch angetriebenen Rollstuhls versucht sie, bestmöglichst an das gewohnte Leben anzuknüpfen. "Barrierefrei wandern im Landkreis Haßberge" gab sie in der Suchmaschine ein und stieß auf den Abt-Degen-Steig bei Zeil am Main. "Im unteren Bereich der Hanglage ist der Weg barrierearm, sodass hier auch beispielsweise mit einem Rollstuhl von Zeil am Main bis nach Steinbach gefahren werden kann." So steht es auf der Webseite des Haßberge-Tourismus geschrieben. Ihr Interesse war geweckt, die Redaktion hat sie begleitet.
Ein erster Test auf einem Kilometer
Es ist ein sonniger Nachmittag im Oktober. Startpunkt ist der Parkplatz in Ziegelanger. Der Rollstuhl ist zusammenklappbar, er lässt sich gut im Kofferraum verstauen. Selbstverständlich ist der Akku voll geladen. Wie lange hält er durch? Wie gut befahrbar sind die Wege? Wie verhält sich das Gefährt bei Steigungen und Gefällen? Viele offene Fragen, die Spannung steigt. Mehrere Rundwanderwege bietet das Gebiet. Susanne Jacob-de-Vries wählt zunächst eine circa einen Kilometer lange asphaltierte Rundstrecke.

Ein Griff auf den Starthebel, und schon bewegt sich das Gefährt eigenständig wacker bergauf. Allerdings sehr langsam. Freundin Evi läuft nebenher. Susanne schaltet einen Gang hoch. Nun geht es für die Gruppe in angenehmer Schrittgeschwindigkeit weiter. Nach wenigen Minuten ist die Anhöhe erreicht, nun fährt sie ebenerdig des Weges. Doch zunächst legen wir eine Pause ein, denn der Panoramablick ist an diesem Tag gigantisch.
Souverän steuerte Susanne ihren Rollstuhl. Auch als es dann steil bergab geht, behält sie locker die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Dann heißt es, zur zu Seite gehen, den Weg teilen: Ein Pärchen, beide auf ihren E-Bikes zügig unterwegs und bereits aus der Ferne laut klingelnd, fährt locker lässig vorbei.
Nach einer halben Stunde sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt. Zeit für eine erste Bilanz: Fahrkomfort: sehr gut; Panorama: gigantisch; Stimmung: hervorragend. Und der Akku? Laut Anzeige nach wie vor volle Ladung!
Auch ein Schotterweg ist kein großes Problem
"Lust auf mehr" ist gezündet. Ein zweiter Rundweg geht noch. Wir schlagen den Wanderweg Richtung Steinbach ein. Auf halber Strecke geht die asphaltierte Fläche über in einen Schotterweg. Susannes Freude machte dies keinen Abbruch: "Popomassage", ist ihr einziger Kommentar. Der Rollstuhl schnurrt weiter beharrlich vor sich hin, vorbei an der Winzertreppe. In Steinbach angelangt, folgt die nächste Weichenstellung: "Wagen wir es, den Höhenweg einzuschlagen?" Insgesamt wären es dann über sechs Kilometer! Und noch eine beachtliche Steigung müsste überwunden werden. Uns ist etwas mulmig zumute.

Doch Susanne und Akku geben "grünes Licht". Wir helfen durch Schieben etwas nach, um den Stromlieferanten nicht zu überfordern. Der Weg schlängelt sich durch den Wald, dann freie Sicht über die Felder. Hinunter ins Maintal reicht der Blick bis Bamberg. Eine Bank lädt zur zweiten wohlverdienten Pause ein. Susanne erforscht derweil die Streuobstwiese.
Auf dieser Wegstrecke ist der Belag tatsächlich recht uneben, doch mit Ruhe und Gelassenheit lässt es sich auch hier gut laufen und entlangfahren. Rechts geht es dann Richtung Schmachtenburg, links durch ein Wäldchen Richtung Parkplatz. Den Gang zur Burgruine ersparen wir uns. Also links ab. Ein typischer Waldweg, und auch diesen meistern Susanne und Rollstuhl souverän.

So langsam steuern wir wieder den Parkplatz an. Die Wallfahrtskirche Maria Limbach erscheint im Blickfeld, die Weinberge davor, der Hochgenuss erfüllt alle Beteiligten. Gemählich gehen wir auf asphaltierter Strecke bergab, rechts taucht die Heckenwirtschaft Bauerschmitt auf. Sie hat geschlossen, doch zwei Flaschen Wein kaufen ist möglich - verbunden mit einem angenehmen Plausch mit dem Hausherren auf der Terrasse.

Ach gäbe es doch mehr solche Wege
Am dem Weg zum Parkplatz wird es Zeit, Fazit zu ziehen: Drei Stunden waren wir unterwegs, eine über sechs Kilometer lange Wegstrecke haben wir bewältigt. Der Akku war laut Reichweitenanzeige noch halb voll. Der Rollstuhl hatte alle Beläge, ob Asphalt, Beton, Schotter oder natürlich gewachsener Waldweg, problemlos gemeistert. Weder Steigungen noch Gefälle waren auch nur andeutungsweise Grund zur Sorge. "Ach, wenn es doch nur mehr solche ausgewiesene barrierefreie Rundwanderwege gäbe in der Region", sagt Susanne. Es ist ein sehnsuchtsvoller Seufzer aus tiefstem Herzen.