„Da krieg‘ ich eine Winterdepression“ – das ist manchmal so leicht dahingesagt. Doch wer wirklich an einer Depression leidet, der spricht meist nicht so offen darüber. Psychische Erkrankungen aus der Tabuzone herausholen, das will nun das bayerische Gesundheitsministerium mit dem diesjährigen Schwerpunktthema „Bitte stör mich! – Aktiv gegen Depression“. Auch das Gesundheitsamt am Landratsamt Haßberge unterstützt diese Aktion, ebenso diese Redaktion mit einer Artikelserie zum Thema psychische Erkrankungen. Zum Auftakt unterhielten wir uns mit Carolin Hajek-Werner, die die Selbsthilfegruppe „Sag ja zum Leben“ in Haßfurt leitet.
Insgesamt rund 20 Frauen und Männer kommen mehr oder weniger regelmäßig in die Gruppe, die sich alle zwei Wochen in Haßfurt trifft. „Sechs bis acht sind meist an einem Abend da“, berichtet Carolin Hajek-Werner. Die 31-Jährige hat einen langen Leidensweg hinter sich – wie die meisten. Denn die Depression und Nebenerkrankungen werden oft nicht erkannt oder in Zusammenhang gebracht.
Der Tod des Vaters
Carolin Hajek-Werner war immer ein ruhiges Kind. Doch als sie 17 war, starb ihr Vater. Und das könnte die Depression ausgelöst haben. Vielleicht war sie längst latent vorhanden gewesen und hat einen Schub bekommen.
Jedenfalls machte die Krankheit der jungen Frau das Leben schwer. Als es in der Ausbildung massive Probleme gab, begann sie eine Therapie, versuchte zunächst, ohne Medikamente zurecht zu kommen. „Aber für die meisten sind Antidepressiva schon ein Segen“, erklärt sie. Denn sie sind die Basis dafür, dass auch depressive Menschen ihren Alltag in den Griff bekommen können. Dazu braucht es aber auch die intensive Arbeit jedes Betroffenen. „Es gibt viele Kämpfe“, so Hajek-Werner.
Sie hat ihre Ausbildung dann geschafft, wurde aber nicht übernommen. Sie war arbeitslos, fand aber wieder eine Anstellung bei einem Arbeitgeber, der viel Verständnis für ihre Krankheit aufbringt. „Er hat es nicht immer leicht mit mir“, sagt sie dankbar, denn die Berufstätigkeit gibt Selbstbestätigung und dem Tag Struktur.
Eine Zeit lang hat sie alleine in einer Wohnung gelebt. Doch die finanzielle Belastung und die fehlende Geborgenheit machten ihr zu schaffen. Deshalb wohnt sie jetzt wieder bei ihrer Mutter. Von ihr bekommt sie Rückhalt und auch von den Geschwistern, auch wenn sich nicht jeder wirklich in sie hinein fühlen kann. „Der letzte Funke Verständnis, den findet man nur bei ebenfalls Betroffenen“, erklärt sie, also in der Selbsthilfegruppe. Der Kontakt mit der Gruppe, der halte alles zusammen. Sie erinnert sich noch gut an ihren ersten Tag als Teilnehmerin. „Ich hatte in der Klinik erfahren, wie gut dieser Austausch tut“, sagt sie.
Wegen Zahnarzt-Angst hatte sie eine Therapie begonnen. Dabei wurde die Depression aufgedeckt. Und schließlich ging sie freiwillig den Weg in die Psychiatrie.
Dann stand sie trotzdem zögernd vor der Tür des Gruppenraums: „Die damalige Leiterin hat mich dann an die Hand genommen.“
Heute ist sie diejenige, die eine solche Gruppe leitet. Das ist für psychisch erkrankte Menschen nicht so einfach. Aber Carolin Hajek-Werner weiß, dass sie im Gesundheitsamt bei Monika Strätz-Stopfer immer Rückhalt hat. Strätz-Stopfer hat die KOS ins Leben gerufen, die Koordinierungsstelle für Selbsthilfegruppen. Sie unterstützt die Ehrenamtlichen mit Leitungstreffen zum gegenseitigen Austausch, mit Schulungen und mit fachlichem Rat. Und die KOS vermittelt auch Räume. „Sag ja zum Leben“ nutzt einen Raum am Marktplatz, den die Lebenshilfe zur Verfügung stellt.
Auch die Übernahme der Gruppenleitung ist für Carolin Hajek-Werner ein Teil ihrer Therapie. Man müsse sich der Krankheit stellen, gegen das Tabu anarbeiten. Zu sagen „Ja, ich bin krank, das ist keine Einbildung“, das sei ein wichtiger erster Schritt, betont sie.
Wenn Prominente, wie Skispringer Sven Hannawald, sich zu psychischen Erkrankungen bekennen, dann helfe das eine Zeit lang. Und jeder Fall bringe mehr öffentliches Bewusstsein. Dennoch hätten viele Menschen Vorbehalte, wie sie mit psychisch Kranken umgehen, zögen sich eher zurück. Was aber eher der falsche Weg sei. Deshalb sei das Motto des Ministeriums mit „Bitte stör mich!“ so treffend.
Immer zahlreicher
Die Statistiken aller Krankenkassen belegen, dass psychische Erkrankungen in unserer schnellen und leistungsorientierten Welt immer zahlreicher werden. Jeder vierte Deutsche leidet innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung. Bei den Gründen für Arbeitsausfälle rangieren diese Krankheitsbilder nach Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Unfällen und Atemwegserkrankungen inzwischen auf dem vierten Platz, bei manchen Kassen sogar vor den Unfällen. Am häufigsten sind Angststörungen.
Dieser Entwicklung hält das Angebot an Therapie nicht stand. „Einen Termin bei einem Psychotherapeuten oder Psychiater zu bekommen, das ist ein Geduldsspiel“, weiß Carolin Hajek-Werner. Auch deshalb kommen die unterschiedlichsten Menschen in die Selbsthilfegruppe – welche mit Klinikerfahrung und solche, die noch nie in Therapie waren, die erst ganz am Anfang stehen, sich mit ihrer Krankheit auseinander zu setzen. Sie alle wollen aber eines: Einmal in einem geschützten Raum mit Betroffenen sprechen.