Als „Blind Date“ bezeichnet man eine Verabredung zwischen zwei Menschen, die sich bisher nicht getroffen haben und nichts oder nur sehr wenig übereinander wissen. Im engeren Sinne bezeichnet ein „Blind Date“ ein Stelldichein, bei dem keiner ein Foto des anderen vorab gesehen hat.
Und auf genau so ein „Blind Date“ ließen sich vom 15. Mai bis 6. September die Besucher des Diözesanmuseums auf dem Domberg ein, das als erstes Museum in der Stadt Bamberg nach dem Lockdown wieder die Pforten in seine Schatzkammern öffnete. Hausherr Holger Kempkens tat dies mit bewährtem Wagemut: 20 aktuelle Meisterwerke des zeitgenössischen Künstlers Manfred Scharpf hatte der Museumschef ausgesucht, die eben unter dem Titel „Blind Date“ die Besucher anlocken sollten. Tatsächlich strömten 3632 Kunstbeflissene allein in diese Sonderschau, die am Sonntagnachmittag mit einer stilechten Finissage zu Ende ging – gekrönt von der Teilnahme des Allgäuers Manfred Scharpf, der sich diesem „Blind Date“ mit etlichen Interessierten souverän stellte.
Der 75-jährige Meister eröffnete Sichtweisen auf seine Bilder von irritierender Attraktivität und Aktualität. Von feinsten Pinselstrichen und Farb- und Formexplosionen, die Schaulust fördern und Interpretationen zulassen. „Wir hätten mehr vom Leben, wenn wir es als Blind Date verstehen würden – in allen Farbschattierungen und mit allen düsteren Elementen“, wurde Manfred Scharpf philosophisch. Und er hätte kein Bild gemalt, „wenn ich von Anfang an glücklich gewesen wäre“, lässt der ausgebildete Kirchenmaler Lebensprozesse erahnen, die die „heilende Kraft von Natur, Empathie und Kunst“ in bildnerischen Ausdruck brachte.
Tiefgründige Aussagen
Den Finissage-Gästen erschloss Manfred Scharpf seine durchaus zugängliche Malweise und tiefgründigen Aussagen seiner Solitäre. Was vordergründig schön und gefällig daherkommt, ist bei intensiver Betrachtung bloße Hülle. Scharpf bringt als Seismograph der Gesellschaft das Entschwinden der Menschlichkeit, die Bedrohung der Sinnhaftigkeit und der Zivilisation auf Holz oder Leinwand. „Es geht darum, in der dunklen Höhle der Welt die Angst zu überwinden und mit der Neugier eines Kindes zu erwarten, dass vielleicht hinter dem Dunklen das Wunderbare liegt“, weckt Scharpf die Hoffnung in einer Welt, die „manchmal schockierend, manchmal grausam und doch am Ende so schön ist“.
Den im Diözesanmuseum ausgestellten Bildern lagen reale „Blind Dates“ zugrunde. Das heißt Begegnungen mit bislang unbekannten Kollegen, mit weltberühmten Objekten wie die Mona Lisa oder die Büste der Nofretete, mit selbstbewusster Adaption eines heute verschollenen Christusgemäldes von Leonardo da Vinci. Dabei bezeichnet sich Manfred Scharpf schlicht als „Dokumentator, ich dokumentiere Befindlichkeit in mir und in anderen“. Und dazu gehöre, „auch Aspekte grauer Lebensfarben ins Kalkül einzubeziehen“.
Corona-bedingt hatte eine offizielle Eröffnung, also Vernissage, von „Blind Date – mit den Farben des Lebens“ nicht stattfinden können. So war der Abschluss, die Finissage, ein willkommener Genuss von Kunst und Kultur: „Genau das, was uns im Lockdown gefehlt hat“, versicherte Museumschef Holger Kempkens. Der promovierte Kunsthistoriker hat bereits die nächste Sonderausstellung im Visier: Ab 24. September gibt es die Ergebnisausstellung über die Erforschung der Kaisermäntel, die weltweit einmaligen Textilien von Kaiser Heinrich II. und Kaiserin Kunigunde im Diözesanmuseum.