Wir dachten vor wenigen Tagen, Hauptsache der Tod von Janina wird aufgeklärt. Und jetzt ist alles noch viel, viel schlimmer gekommen.“ Dieser Satz einer Frau aus Unterschleichach (Lkr. Haßberge) drückt aus, wie sich wohl die meisten Einwohner der kleinen Ortschaft am Rand des Steigerwalds am Mittwoch fühlen – nachdem bekannt geworden war, dass der 53-Jährige aus Unterschleichach, den die Polizei am Dienstag festgenommen hat, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft absichtlich auf Menschen geschossen hat.
Er soll „aus niederen Beweggründen“ gehandelt haben. So hat dies Leitender Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager während der Pressekonferenz von Staatsanwaltschaft und Polizei in Bamberg als Jurist ausgedrückt. Vorausgesetzt die gegen den 53-Jährigen erhobenen Vorwürfe bewahrheiten sich, bedeutet dies für die Menschen in Unterschleichach: In ihrem 400-Seelen-Flecken ist ein unschuldiges Kind ermordet worden. Und der Mörder stammt aus ihrer Mitte.
Wie ein Lauffeuer
Die Nachricht von der Festnahme hat sich am Dienstagabend wie ein Lauffeuer im Ort verbreitet. „Wir können das alles noch nicht begreifen“, sagt am Mittwochnachmittag eine Frau im Ort. Sie hatte eine Übertragung der Pressekonferenz in Bamberg live im Internet verfolgt und so von den schwerwiegenden Vorwürfen gegen den Ortsbewohner, der im Verhör die tödlichen Schüsse laut Polizei „weitgehend gestanden“ hat, erfahren. Sie hatte gehofft, dass für den Tod von Janina, die in Burgebrach (Lkr. Bamberg) wohnte und Silvester bei der Familie einer Freundin in Unterschleichach feierte, „jemand von außerhalb verantwortlich ist“.
„Das ganze Dorf ist schockiert. Erneut schockiert“, sagt eine Dorfbewohnerin. Wie die anderen befragten Dorfbewohner möchte sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, weil die Stimmung im Ort, in dem jeder jeden kennt, sehr aufgewühlt ist. Sie kann es nicht verstehen, dass der Mann sich nicht selbst gestellt hat. „Er hat doch die ganzen Durchsuchungen hautnah miterlebt.“ Für sie ist unfassbar, wie er in die Richtung von Personen schießen konnte. „Er musste doch in Kauf nehmen, dass er Menschen trifft.
Und es ist gar nicht auszudenken, was noch hätte passieren können. Er soll ja drei oder vier Schüsse abgegeben haben.“ Und sie fährt fort: „Es ist grauenvoll, dass es nun sogar eine Mordanklage ist. Als ich das gehört habe, hat es mir regelrecht die Füße weggezogen.“ Dies sei „eine Dimension, die hat keiner von uns zu denken gewagt“. In ihrem Leben hat sie schon viele schlimme Dinge erlebt, „aber dies nun und das in meinem Dorf (. . .) Er ist doch hier geboren, seine ganze Verwandtschaft ist hier.“
Ähnlich die Reaktion einer anderen jungen Frau: „Es ist entsetzlich.“ Schon die Vorstellung, dass das Mädchen durch eine verirrte Kugel ums Leben gekommen ist, sei schlimm gewesen, aber dass nun gar Mord im Raum stehe, sei noch weitaus schlimmer. Und sie denkt dabei auch an die Angehörigen des mutmaßlichen Täters. „Das ganze Dorf steht unter Schock“, gibt die junge Frau die Stimmung im Ort wieder.
Auch wenn die am Dienstag und Mittwoch bekannt gewordenen Fakten Unterschleichach erschüttern: Das Ungewisse, die aufwühlenden Ermittlungen der Polizei, die Befragung der Einwohner – diese Last ist jetzt von den Einwohnern abgefallen. Dies bestätigt eine Verkäuferin in einem Laden. Auch könnten sich die Dorfbewohner jetzt wieder sicherer fühlen. Die Verkäuferin hat von Eltern erfahren, dass sie ihre Kinder nicht mehr auf die Straße gelassen haben, aus Angst, jemand könnte auch auf sie schießen.
„Erleichtert“ fühlt sich am Mittwoch auch der Vater der getöteten Janina. Gegenüber Journalisten sagt er: „Ich war mir sicher, dass der Täter gefunden wird.“ Er hoffe, der mutmaßliche Täter, der in Untersuchungshaft sitzt, bekomme seine Strafe. „Mir fehlt meine Tochter Tag und Nacht.“
Verwandte von Janina haben im Internet bei Facebook eine Seite gestaltet: „Gedenken an Janina“. Sie möchten, wie dort zu lesen ist, auch auf diesem Weg ihre Trauer bewältigen, indem sie Freunden und Bekannten die Möglichkeit geben, dort Bilder, Gedichte und andere Erinnerungen an Janina zu teilen. Am späten Mittwochnachmittag erscheint dort ein Kindheitsbild, das Janina als fröhlich grinsendes Mädchen zeigt. Darauf steht geschrieben: „Ruhe in Frieden Kleines“.
Doch nicht nur Janinas Angehörige und Freunde wurden durch die Tat zu Opfern. Thomas Sechser, Bürgermeister der Gemeinde Oberaurach, zu der Unterschleichach gehört, denkt auch an die Angehörigen des mutmaßlichen Todesschützen. „Seine Eltern und seine Lebensgefährtin mit Kind leben im Ort“, sagt er. Sie könnten für die Tat nichts, meint Sechser, auf sie müsse man jetzt auch zugehen. Die Familie, bei der Janina an Silvester war, sei ebenfalls tief betroffen und belastet.
Der Bürgermeister kennt den Festgenommenen, der in Unterschleichach aufgewachsen ist, nur vom Sehen. Dass er am Neujahrsmorgen „wegen so einer Kleinigkeit“ geschossen hat, „kann sich keiner so richtig vorstellen“. An Silvester gehe es doch immer laut zu. Die Tat komme ihm fast wie ein Amoklauf vor, sagt Sechser, der am Mittwoch Medienanfragen am laufenden Band beantwortet.
Lob für die Arbeit der Polizei
Lob hatte es auf der Pressekonferenz in Bamberg für die Arbeit der 50-köpfigen Sonderkommission gegeben. Auch in der Gemeinde selbst wird die Arbeit der Polizei geschätzt. „Die Polizei hat einen guten Job gemacht“, meint eine Frau. „Die Beamten waren mitunter zwei Stunden in den Häusern, haben alles detailliert nachgefragt. Ich glaube, an den meisten Tagen waren die mehr als zehn Stunden in der Ortschaft.“
Bekannt wurde auf der Pressekonferenz auch, dass der mutmaßliche Täter in einem Schützenverein war. Allerdings, wie das Polizeipräsidium Unterfranken auf Nachfrage berichtet, nicht mehr in den vergangenen 15 Jahren. „Er ist weder Mitglied, noch war er Mitglied“, berichtet auf Anfrage der Vorsitzende des Schützenvereins Oberschleichach, Norbert Mahr. „Wir hatten selbst größtes Interesse dran, dass die Tat aufgeklärt wird. Darum hatten wir intensiv mit der Kripo zusammengearbeitet.“ Denn nicht anders als die Menschen in Unterschleichach sei man im Nachbarort und im Verein „entsetzt“ gewesen über diese Tat.