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BAMBERG/HAßFURT
Damit mehr Babys überleben: Kampf gegen plötzlichen Kindstod
Karl-Heinz Deeg beschallt die kleine Clara, deren Mutter auf Empfehlung ihrer Hebamme in die Kinderklinik gekommen ist.
Foto: M. Krüger-Hundrup | Karl-Heinz Deeg beschallt die kleine Clara, deren Mutter auf Empfehlung ihrer Hebamme in die Kinderklinik gekommen ist.
Marion Krüger-Hundrup
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:49 Uhr

Ein typischer Fall: Ein offensichtlich gesundes Baby wird schlafen gelegt. Vielleicht hat es einen leichten Schnupfen oder andere minimale Krankheitssymptome, die bei Babys nichts Ungewöhnliches sind. Die Mutter sieht wieder nach dem Baby, manchmal Minuten, manchmal Stunden später – und findet es tot. Oft liegt es in Bauchlage unter der Bettdecke oder mit dem Gesicht flach auf der Unterlage. Häufig ist es nassgeschwitzt. Gelegentlich findet man Erbrochenes auf dem Bettzeug.

Für den plötzlichen Tod eines Kindes im ersten Lebensjahr gibt es kaum eine Erklärung. Er ist die häufigste Todesursache in der gesamten Kindheit. Eines von 2000 Neugeborenen stirbt, in Deutschland jährlich etwa 700. Bei 86 Prozent ist keine eindeutige Todesursache erkennbar, aber Narben im Bereich des Hirnstammes als Folge einer Minderdurchblutung sind ersichtlich; der Hirnstamm ist für Atmung und Kreislaufregulation lebensnotwendig.

Professor Karl-Heinz Deeg, langjähriger Chefarzt der Kinderklinik im Klinikum Bamberg und zuletzt Leiter der Kinderkardiologie, wollte und will sich nicht mit diesen Extremen abfinden. Er entwickelte eine Untersuchungsmethode, die er seit 1998 an fast 35 000 Säuglingen anwandte: Dopplersonografisches Screening der Blutströmung in der Arteria basilaris während Kopfrotation. „Wir haben damit die Häufigkeit des plötzlichen Kindstods dramatisch reduziert“, erklärt Deeg. „Wir haben nur ein Kind verloren, das eine normale Hirnströmung hatte.“

Es ist ein Donnerstagmorgen in der Kinderklinik, das Screeningprogramm läuft. Gerade ist die drei Wochen junge Clara mit ihren Eltern eingetroffen: „Meine Hebamme hat mir diese Untersuchung empfohlen“, sagt die Mutter. Auch ihre erste Tochter, die jetzt vier ist, habe Deeg untersucht: „Wir sind von dieser Methode überzeugt und haben auch viel darüber gelesen“, ergänzt der Vater.

Clara schläft auf der Liege im abgedunkelten Klinikraum. „Das Kind muss schlafen“, betont Deeg. Behutsam fährt der Kinderarzt mit dem Schallkopf des Dopplers über Claras Köpfchen, dreht es in fünf Positionen: in Rückenlage, nach rechts und links – und zwar auch in Bauchlage. „Ich brauche die offene Fontanelle“, erklärt Deeg und beobachtet den Monitor. Die Arterien, die den Hirnstamm versorgen, sind deutlich sichtbar. „Bei Erwachsenen kann man diese Qualität nur in der Kernspintomographie erreichen“, meint Deeg zu dem von ihm entwickelten Ultraschallverfahren.

„Alles normal bei Clara!“ verkündet er, eine Minderdurchblutung des Hirnstamms sei nicht erkennbar. Diese ist bei etwa einem Prozent aller untersuchten Babys festgestellt worden: „Bei diesen Kindern fiel die Blutströmung bei Drehung des Kopfes vor allem in Bauchlage stark ab.“

Das freiwillige Screeningprogramm steht allen in Bamberg geborenen Kindern offen, wenn die Eltern zustimmen. Rund 5000 Eltern haben abgelehnt: „Fünf ihrer Kinder sind plötzlich verstorben“, beklagt Deeg. Für Bamberger Familien ist das Screening kostenlos, Auswärtige zahlen 100 Euro, da es keine Leistung der Krankenkassen ist.

Deeg hat mit dem Screeningprogramm, an dem auch Assistenzärzte mitwirken, in der bundesweiten Ärzteschaft Aufmerksamkeit geweckt. Dennoch ist er sich nicht ganz sicher, auf welcher Basis diese Untersuchung von Säuglingen in Bamberg fortgeführt wird. Oder ob überhaupt. Der 66-Jährige wurde Ende August in den Ruhestand verabschiedet.

Xaver Frauenknecht, Vorstandsvorsitzender der Sozialstiftung Bamberg lobt: „Was das Medizinische anbelangt, so gilt Professor Karl-Heinz Deeg als hoch kompetenter, versierter und erfahrener Kinderarzt und Kinderkardiologe.“ Er habe sich stets die Tugenden Menschlichkeit und Bescheidenheit bewahrt und den Eltern vermittelt, dass er ihre Sorgen und Nöte versteht: „Dr. Deeg hat ihnen das Gefühl gegeben, gut aufgehoben zu sein“, sagt Xaver Frauenknecht. So danke er diesem für die geleistete Arbeit zum Wohle kranker Kinder.

Der scheidende Kinderarzt rechnet aus, dass 3000 Kinder bis 18 Jahren pro Jahr stationär versorgt werden, dazu kommen 300 Frühgeborene. „Kinderarzt ist der schönste Beruf!“, sagt er, der seit 1990 in der Kinderklinik wirkt. Weil ihn sein Beruf so erfüllt und er fit ist, setzt sich der Mediziner nicht ganz zur Ruhe. Er betreut im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin in Haßfurt über eine Viertelarztstelle kinderkardiologische Patienten und „beschallt“ weiter Babys.

Vorbeugemaßnahmen

Claras Eltern fragten Professor Karl-Heinz Deeg, was sie selbst gegen den plötzlichen Kindstod tun können. Der Rat des langjährigen Kinderarztes lautet wie folgt:

• Lagerung in Rückenlage auf harter Unterlage

• nur im Wachzustand auf den Bauch legen

• Schlafzimmertemperatur 16 bis 18 Grad Celsius

• Stillen des Kindes

• Verzicht auf Rauchen bereits in der Schwangerschaft und Stillperiode

• nur ein Spielzeug im Bett

• Schlafsack statt Bettdecke

 
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