Georg Dürrstein versteht sich als ein findiger Geist. Und er ist hellhörig. Der Königsberger ist Landwirtschaftsmeister, doch Felder „beackert“ er seit Jahrzehnten viel lieber digital. Mit Bits, Bytes oder GPS umzugehen hat er sich selbst beigebracht. Und in den vergangenen Jahren immer mit EDV-Lösungen auf sich aufmerksam gemacht, die Landwirten die Arbeit erleichtern sollen.
Auch jetzt will er wieder mit einer Entwicklung auf einer großen Landwirtschaftsmesse punkten. Er hat ein Dokumentationssystem entwickelt, das genau zeigt, was der Landwirt wann, wo gemacht hat. Und das System kann nicht manipuliert werden, so Dürrstein.
Nein, für Kinofans ist das wirklich nichts, was sich da auf dem Bildschirm auf Georg Dürrsteins Laptop abspielt. Minutenlang zeigen zwei Abschnitte auf dem Monitor eher langweilige Bilder: auf der Pflanzenschutzspritze montiert, liefern zwei Kameras Bilder vom Spritzen. Zu sehen ist die volle Breite des Spritzgestänges und wie aus den Düsen Flüssigkeit auf das Getreide verteilt wird. Hin und wieder sieht man in der Ferne einen Busch oder Baum vorbeiziehen. Dann kommt Bewegung in die Szenerie, der Feldrand ist in Sicht.
Dass aber alles in Bewegung war, das hat derweil ein weiteres Segment des Monitors gezeigt: die ganze Strecke, die der Landwirt mit seiner Pflanzenschutzspritze zurückgelegt hat, wurde zeitgleich auf der Karte von „Google Maps“ angezeigt. Als kleines grünes Fahrzeug wanderte das Gefährt über den Acker, bis es kehrtmachte am Feldrand. Die ganze Szene wurde vor wenigen Wochen aufgenommen.
Und dies ist zugleich eine der Besonderheiten, die das System von Dürrstein aufweist: Bisher konnten Monitore etwa für Rückfahrkameras Kamerabilder lediglich anzeigen, aber kein Video aufzeichnen. Seine „Tracecam“, wie er sie nennt, kann im Unterschied zum bisherigen Stand der Technik auch Videos von bis zu 600 Stunden auf bis zu vier Speicherkarten aufzeichnen.
Das Besondere dabei: in den Monitor wurde ein GPS-Empfänger mit eingebaut. Das bedeutet, dass zu allen Videos auch die Ortskoordinaten sowie Aufnahmedatum und Aufnahmeuhrzeit mit abgespeichert werden. Dürrstein berichtet weiter, dass er in Taiwan eigens Software entwickeln ließ, damit die Videos auf einem PC abgespielt werden können. So werden auf zwei Dritteln des PC-Bildschirmes die Videos gezeigt, auf einem Drittel wird die Position des Fahrzeugs auf Google Maps angezeigt.
Vermeintlich unscheinbar, aber für die eigentliche Nutzung des Programms besonders wichtig: permanent kann in der Fußleiste der Monitor-Darstellung abgelesen werden, wie schnell das Fahrzeug wann und wo genau unterwegs war. Die Verknüpfung mit GPS macht dies möglich.
„Der Landwirt kann genau dokumentieren und dies auch mit Bildern belegen, wann und wo er wie schnell unterwegs war. Und dies ist auch nicht manipulierbar“, so Dürrstein. Deutlich ablesbar ist so zum Beispiel auch, wenn der Landwirt seinen Arbeitsgang unterbrochen hat. Und genau dies war der Ausgangspunkt, warum er sich vor gut einem Jahr an die Arbeit gemacht hatte, dieses System zu entwickeln: eine Vorgabe, wonach die Mindestabstände bei der Anwendung von Pflanzenschutzmittel zum Schutz von Umstehenden oder Anwohnern durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) neu geregelt wurden.
Dürrstein hatte davon gehört, dass es schon Streitfälle gegeben hatte, ob der Mindestabstand von Landwirten eingehalten worden sei. Auch wenn in solchen Fällen die Beweispflicht nicht beim Bauern liege, könne mit seinem System sehr schnell nachgewiesen werden, ob der Mindestabstand eingehalten worden sei. Schon im vergangenen Jahr hätten ihn Kunden angesprochen, „ob wir eine Problemlösung zur eindeutigen Beweisführung verfügbar haben“, so Dürrstein.
Er fügte dann die verschiedenen „Komponenten“ zusammen: Ausgangspunkt war eine Video-Dokumentation, ähnlich wie bei sogenannten „Dash-Cams“. Weil das Aufzeichnungssystem günstig sein sollte, war sein Ziel, dass es kompatibel ist zu etwaigen vorhandenen Kameras auf Fahrzeugen, oder zu marktüblichen Kameras. Am einfachsten sollte der schon vorhandene Kameramonitor durch einen Monitor mit Dürrsteins zusätzlicher Aufzeichnungsfunktion ersetzbar sein.
Herausgekommen ist sein Tracecam-Monitor. Trace ist englisch und bedeutet übersetzt die „Spur“. Und diese „Spuren“ des Landwirts lassen sich durch die weiteren Komponenten des Systems detailliert nachvollziehen. Der GPS-Empfänger dokumentiert Ort und Uhrzeit und das Ganze wird für bis zu 600 Stunden auf der Speicherkarte festgehalten.
Dürrstein glaubt, dass die Einsatzmöglichkeiten für sein System beinahe unbegrenzt sind. Für landwirtschaftliche Lohnunternehmer etwa, die so dokumentieren können, dass sie die Arbeiten ordnungsgemäß ausgeführt haben. Oder etwa auch für den Winterdienst, wenn nicht nur aufgezeigt werden soll, dass nach Vorgabe geräumt wurde, sondern auch nachzuvollziehen ist, wenn es Beschädigungen gab, ob die vom Räumfahrzeug stammen. Das gespeicherte Video zeigt dann genau wann und zu welcher Uhrzeit das Fahrzeug vor Ort war.
Seine Entwicklung will Dürrstein auf der internationalen Landwirtschaftsmesse Agritechnica in Hannover im November präsentieren. Anfragen hat er in den vergangenen Tagen allerdings aus einem ganz anderen Bereich bekommen, berichtet er, von Feuerwehren und Rettungsdiensten, die darüber nachdächten, so ein Dokumentationssystem für Fahrzeuge zu installieren, die auf Autobahnen im Einsatz sind, offenbar, so vermutet Dürrstein, um das Freihalten der Rettungsgasse zu dokumentieren.
Selbst Vermarkter hätten inzwischen Interesse gezeigt, berichtet Dürrstein von einem Treffen, bei dem er seine Entwicklung vorstellen konnte. Deren Idee: die Produktion von Lebensmitteln auf genau diese Weise zu dokumentieren und zum Beispiel auf „You Tube“ hochzuladen und über einen Link im Internet Verbrauchern zur Verfügung zu stellen. Ihm habe ein Vermarktungsmanager erklärt, „nur aufschreiben reicht nicht mehr.“ Man müsse mit dem Trend der Technologie gehen. Auch die Landwirtschaft in der Lebensmittelproduktion werde sich dieser neuen Art der Dokumentation nicht mehr verschließen können. Verbraucher wollten in Zukunft am Abend auf dem Sofa auf dem Tablet-PC sehen wie ihre Nahrungsmittel produziert wurden.
Auch der Leiter des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Schweinfurt, Herbert Lang, sieht „ein Verlangen, nach mehr Dokumentation“. Allerdings bremst er die Euphorie und nennt mehrere Gründe: Zum einen sei es wichtig, dass gewährleistet sei, dass die Daten sicher sind. An Dokumentation komme man nicht vorbei, wenn sie helfe, zu beweisen, dass gesetzliche Vorgaben eingehalten werden. Es dürfe allerdings nicht so sein, dass alles ins Netz gestellt werden müsse.
Lang sieht hier auch eine „gesellschaftliche Dimension“: Es gehe um den normalen Umgang miteinander, gegenseitige Rücksichtnahme, etwa dann, wenn sich ein Bauer beim Pflanzenschutz und Passanten begegnen. Und das bedeute zum einen: dass es selbstverständlich sein sollte, den Nächsten zu schützen, aber auch, dass Verständnis da sein sollte für die Arbeit der Landwirte.