
Nüchtern betrachtet, verändert der einstimmig gefasste Beschluss des Bundestags, Cannabis als Medizin auf Rezept freizugeben, nicht viel. Bereits zuvor bezogen rund 1000 Patienten in Deutschland Cannabis legal, per Ausnahmegenehmigung. Dass deren Zahl jetzt explodiert, ist nicht zu erwarten. Doch wer Cannabis auf Rezept erhält, kann die Kosten künftig mit seiner Krankenkasse abrechnen, wie für andere Medikamente auch.
Wenngleich Politiker aller Parteien den Bundestagsbeschluss begrüßen, und, wie Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar (SPD) aus Maßbach (Lkr. Bad Kissingen), dem Fachverstand der Ärzte vertrauen, die beurteilen, wer Cannabis zur Therapie erhält – eine Tatsache wird sich durch die neue Gesetzeslage nicht ändern: Die allermeisten Menschen, die Cannabis zu sich nehmen, konsumieren die Droge nicht etwa, um Schmerzen oder Lähmungen zu bekämpfen, sondern um sich damit verbotenerweise zu berauschen.
Die Therapieeinrichtung in Schloss Eichelsdorf ist täglich mit den Folgen von Drogenkonsum beschäftigt. Cannabis, meint deren Leiter, Robert Soto-Löwenthal, im Interview, spielt dort keine nennenswerte Rolle. Andere Stoffe, die jeder kaufen kann, sind weitaus gefährlicher.
Frage: Das vom Bundestag beschlossene „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ wurde seit Jahren gefordert und lange vorbereitet. Kommt der Beschluss in Ihren Augen zu spät?
Robert Soto-Löwenthal: Die Möglichkeit, bei einer schweren Erkrankung Cannabis als Medizin zu beziehen, hat leider lange auf sich warten lassen. Eventuell hätte manchen Menschen viel Leid erspart werden können. Jedoch sind solche gesellschaftlich relevanten Entwicklungen nie von heute auf morgen zu erwarten. Da hat Deutschland soeben einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung getan. Zum Beispiel kann diesbezüglich jetzt leichter geforscht werden und Betroffene sind nicht gezwungen, in die Illegalität zu gehen.
Kritiker des liberaleren Umgangs mit Cannabis fürchten, nun könnten gefährliche Auswirkungen von Drogen ganz allgemein verharmlost werden. Wie beurteilen Sie das? Es gibt schließlich auch Länder, die den Umgang mit Cannabis noch weit weniger reglementieren, als dies in Deutschland weiterhin der Fall ist.
Soto-Löwenthal: Furcht ist ein schlechter Ratgeber. Im Übrigen ist die in diesem Zusammenhang häufig verwendete These der „Einstiegsdroge“, obwohl sie in aller Munde ist, nicht bewiesen. Genauso plausibel ist Tabak als Einstiegsdroge anzusehen. Wenn Kritiker die Verharmlosung und die Ausweitung des Drogenkonsums befürchten, wissen sie leider nicht, wie es zur Zeit aussieht. Viele Jugendliche konsumieren legale Ersatzsubstanzen, sogenannte Legal Highs, die zum Teil hoch gefährlich sind. Hier müsste mehr in der Prävention und Aufklärung getan werden, statt auf Verfolgung und Kriminalisierung zu setzen. Man stelle sich vor, wie viel Geld in Prävention und Behandlung investiert werden könnte, statt in die Verfolgung, in Haftanstalten und Gerichte.
Wer sollte sich Ihrer Meinung nach denn um Drogensüchtige kümmern?
Soto-Löwenthal: Bei einer Abhängigkeit handelt es sich um eine Erkrankung. Das ist Sache des Arztes und Therapeuten, nicht der Polizei und der Gerichte.
Ist es da wirklich der richtige Weg, wenn der Gesetzgeber Drogenkonsum ein Stück weit legalisiert?
Soto-Löwenthal: Dieses Gesetz hat nichts mit einer völligen Legalisierung für den privaten Gebrauch zu tun. Hierbei müssten jedoch staatliche Kontrollen gut funktionieren: keine Abgabe an Personen unter 18, kein Führen von Fahrzeugen mindestens drei bis fünf Tage nach dem letzten Konsum von Cannabis und vieles mehr.
Nochmals konkret: Wie schätzen Sie als Therapeut von Drogensüchtigen die Gefährlichkeit von Cannabis ein, im Vergleich zu härteren Drogen, die beim Konsumenten schwerste gesundheitliche Schäden verursachen, ihn oft sogar töten?
Soto-Löwenthal: Der Vergleich zu anderen Drogen ist schwierig. Menschen können von Cannabis abhängig werden, es wirkt psychotrop, also auf die Psyche, und ist deswegen potenziell suchtauslösend. Für Menschen, die, wie es das Gesetz aussagt, Cannabis benötigen, ist Cannabis nützlich. Allen anderen rate ich davon ab. Da ist zum Beispiel das Risiko, eine Psychose zu bekommen, viel zu hoch.
Laut einer Studie ist das Risiko sechs Prozent höher, gegenüber der Normbevölkerung. Bei den erwähnten schwerwiegenden Erkrankungen, die im Übrigen nicht exakt definiert werden, ist das Risiko abhängig zu werden, sekundär. Da hilft moralisieren nichts.
Ist eine Debatte des jüngsten Bundestagsbeschlusses überhaupt gerechtfertigt, wenn man voraussetzt, dass es größere Drogen-Probleme gibt, als die ansatzweise Legalisierung des Cannabiskonsums? Wo müsste die Politik tätig werden?
Soto-Löwenthal: Das Thema ist schon sehr wichtig, da sehr viele Menschen Cannabis aus gesundheitlichen und aus Genussgründen konsumieren. Die aktuell größten Probleme mit Drogen zu nennen, ist fast unmöglich, weil es überall brennt! Gravierend sind zur Zeit neben den alten Bekannten Heroin und Kokain Fentanyl, Crystal (Methamphetamin) und vor allem die Kräutermischungen und Badesalze, die leicht zu bekommen sind. Drogen, die – das muss man sich vorstellen! – mit der Post bestellt werden und bis zu 100-mal stärker und gefährlicher sind als Cannabis. Politisch könnte interveniert werden durch verstärkte Präventionsmaßnahmen in Straßen und Schulen, Unterstützung vorhandener Beratungs- und Behandlungseinrichtungen mit langjähriger Erfahrung in der Drogenarbeit.
Behandeln Sie in Ihrer Einrichtung in Eichelsdorf Patienten, die wegen Cannabiskonsums zu Ihnen gekommen sind?
Soto-Löwenthal: Nein.