Vom 16. bis 19. Oktober 1813, vor 200 Jahren, tobte rund um Leipzig eine Völkerschlacht. Mit einer halben Million Soldaten und über 110 000 Gefallenen, war es die größte Schlacht des 19. Jahrhunderts. Die verbündeten Heere Russlands, Preußens, Österreichs und Schwedens errangen den entscheidenden Sieg über Napoleon auf deutschem Boden. Sie brachten einen Eroberungsfeldzug zum Stehen, den der Franzosenkaiser 1796 in Gang gesetzt hatte. Napoleons Machtambitionen auf deutschem Boden fanden daraufhin ihr Ende.
Die kommunalen Archive sind voll von Kriegsrechnungen, die belegen, was die unzähligen Durchmärsche und Einquartierungen kosteten. Vor der entscheidenden Schlacht bei Leipzig waren im April 1813 zehn Tage lang die beiden französischen Generäle van Dedem und Goris mit ihren Stäben in Zeil einquartiert. Für sie mussten die Zeiler bequemes Mobiliar aus Bamberg herbeischaffen. Die hohen Offiziere mochten kein Schweinefleisch und ließen sich Kalbfleisch, Ochsenzunge, Kalbshirn und Kalbshaxe vorsetzen. Dazu den besten Wein, der greifbar war. Schon zwei Wochen später standen die beiden Heerführer auf dem Schlachtfeld bei Lützen. Dort wurde General Goris im Gefecht ein Bein zertrümmert.
Die Kriegsjahre ruinierten die Dörfer und Städte unserer Heimat. Wie Zeil mussten andere Orte unzählige kostspielige Einquartierungen und Truppenverpflegungen über sich ergehen lassen. Ablieferungen an Geld, Lebensmittel, Wein, Bier, Pferde und Heu stiegen ins Unermessliche. Der bescheidene Wohlstand der Kommunen wurde für Jahrzehnte zunichte gemacht.
Es waren die Bürgermeister, welche das Geld herbeischaffen mussten. 1819 lehnte der Zeiler Kaspar Pottler eine Berufung in die Stadtverwaltung mit der Begründung ab, er habe bei den feindlichen Franzoseneinfällen „Ungemächlichkeiten ausgestanden“ und noch heute einen Teil seines Vermögens in der Kommunalverwaltung stecken. Schwerwiegende Zusammenstöße mit den Besatzern waren nicht selten.
Nach dem verlorenen Feldzug gegen Russland passierten Anfang 1813 die Franzosen bei ihrem panikartigen Rückzug auch Haßfurt. Hier kehrte ein höherer Offizier mit seinem Tross im Gasthaus „Rose“ ein. In Truhen führte er geraubtes Gut, darunter Gold- und Silbergeräte aus dem Zarenreich, mit sich. Auch wenn, wie in Zeil, die Bürgergardisten und Musiker während der französischen Besatzung immer paradieren und aufspielen mussten, wenn Napoleon irgendwo in Europa einen großen Sieg errungen hatte: Angesehen waren seine Soldaten bei der Bevölkerung nicht. Besonders, als sie sich auf dem Rückzug befanden, hat man ihnen manch üblen Streich gespielt. So wurden ihnen in Haßfurt die Schlüssel zu den geraubten Truhen entwendet. Der finstere, aber listige Haßfurter Schmied Michel Sch. (Name der Redaktion bekannt) erklärte sich bereit, die eisenbeschlagenen Truhen fachmännisch zu öffnen. Nach getaner Arbeit lobte ihn der französische Offizier und belohnte ihn. Die Franzosen hatten keine Ahnung, was ihr vermeintlicher Helfer vorhatte.
Schatzkisten weckten Begierden
Dieser hatte die Kästen, die Gold, Silber und andere Wertsachen enthielten, unbemerkt mit Kreide gekennzeichnet. Er verabschiedete sich von den Franzosen, nahm allerlei Werkzeug zur Hand und verabredete sich mit einigen Wilderern und verwegene Gesellen aus Sailershausen und Wülflingen, um die am nächsten Morgen Richtung Schweinfurt ziehenden Franzosen zu überfallen.
Weil die Heeresstraße im Maintal sehr schlecht war, wurde ein Weg auf den Höhen der Mainhalden über Wülflingen gewählt. Der Wagentross verlor hinter der Ortschaft die Orientierung. Da tauchte ein vermeintlicher Bettler, der sich erbot, den Weg zu zeigen. In Wirklichkeit aber führte er den gesamten Tross in einen Hinterhalt in der Wülflinger Feldabteilung „Röhren“. In einem Föhrenwäldchen ertönte ein Pfiff. Der harmlose Mann, der sich als Führer angeboten hatte, schoss blitzschnell einige Franzosen über den Haufen. Doch nicht genug: Die acht bis zehn von Michel Sch. angeworbenen Männer hieben den Rest im Handumdrehen nieder. Die verblüfften Fuhrleute aus dem Eberner Bereich baten um Gnade. Sie gelobten Stillschweigen, wenn man ihr Leben verschone. Schm. befahl jedoch: „Es gibt kein Erbarmen. Alles wird stumm gemacht!“ Da krachten vier Schüsse und auch die Fuhrleute waren tot. Die Beute teilte Sch. „kameradschaftlich“, wie er sagte. Doch spielte er die wertvollsten Stücke geschickt in seine Hände.
Jahre verflossen und niemand erfuhr von der schrecklichen Tat. Michel Sch. wurde immer wohlhabender, erwarb sich großen Landbesitz und gründete eine Wirtschaft mit Brauerei. Tatsächlich wird Sch. im Jahr 1824 im Haßfurter Bürgermatrikel als „Gastwirth und Schlosser“ erwähnt. Manche Mitbürger zerbrachen sich den Kopf, wie dieser Mann so reich geworden ist. Allmählich sickerten Einzelheiten durch. Das Mitleid um die getöteten Franzosen hielt sich in Grenzen. Dagegen sollte sich der Tod der armen Fuhrleute bitter rächen. Sch. selbst soll nach langjährigem Leiden eines qualvollen Todes gestorben sein. Die Familie verarmte vollständig und starb aus. Ein alter Haßfurter Bürger bestätigte später, dass er als Kind noch Beutestücke aus dem Überfall in der Familie des Täters gesehen habe.
Die Soldaten Napoleons waren im Land und Valtin W. (Name der Redaktion bekannt) in Zeil übte damals die Funktion eines Boten und Kuriers zwischen Bamberg und Schweinfurt aus. Eines Tages ritt er von Bamberg gegen Eltmann zu. In einem Dorf musste er mit ansehen, wie sich ein Franzose auf einem Hof ein Huhn aneignete. Als W. sich seiner Wohnstätte in Zeil näherte, versuchte seine Frau gerade einem französischen Soldaten eine geraubte Gans zu entreißen. Sie hielt ihn am Ärmel fest und schalt ihn einen nichtsnutzigen Lumpen. Hohnlachend versuchte dieser durch die Gartentüre zu entkommen. Doch die Frau konnte das Federvieh an den Flügeln fassen. Im breitesten Zeiler Dialekt beschimpfte sie den Gänsedieb, der unverständlich fluchte. Dann zog der Franzose seinen Säbel und attackierte die Frau. Der Streich war so gezielt, dass ihr die linke Hand blutüberströmt herabhing. Den markerschütternden Schrei konnte der heranreitende W. hören. Noch im Sattel hatte er sein Söhnchen gegriffen und beim Abspringen in Sicherheit gebracht. Kaum sah er, was geschehen ist, griff er zu einem Buchenprügel, wie ihn die Fuhrleute zum Spannen der Ketten benutzten. Noch ehe der Franzose die Pforte durchschreiten konnte, sank der Dieb durch einen gezielten Schlag tot vom Pferd. Die schwerverletzte Frau lehnte halb bewusstlos an der Wand, über ihre Schürze spritzte das Blut aus der klaffenden Wunde.
Flucht über den Main
Da kam ein Trupp Franzosen herangeritten. Die Nachbarn riefen W. erregt zu, er solle ausreißen, „das Gesindel schlägt dich sonst tot. Denk an deine Kinder.“ Er konnte seine verletzte Frau nur noch zurufen, dass er wiederkommen werde. Sie solle zusehen, dass ihre Wunde versorgt wird. W. ritt Richtung Main. Dort schmiss er einem Fährmann die Zügel seines Pferdes zu und flüchtete mit einem Schelch auf die andere Seite. Bald verschwand er unter dichten Büschen am Ufer.
Nachts brachte der Fährmann zu essen, tagsüber fror und sinnierte W. vor sich hin. Eines Tages lag im Körbchen ein Brief seiner Familie. „Lieber Vater“, hieß es, „es geht mir wieder ganz gut. Die Hand musste herunter, aber ansonsten wird alles verheilen. Und wenn man die gesunde Hand kräftig gebraucht, dann komme ich ganz gut zurecht. Nur um dich machen wir uns große Sorgen. Morgen wollen die Franzosen mit einem großen Aufgebot die Weiden durchkämmen und du tust gut daran, wenn du dir im Steigerwald ein anderes Versteck suchst.“
Noch vor Tagesgrauen erreichte W. Knetzgau und Zell. Als die Sonne aufging, war er in einer Schlucht nahe Schleichach. Am Abend fand er bei Bekannten einen Unterschlupf. Erst, als die Franzosen im Oktober 1813 bei Leipzig geschlagen wurden, konnte er wieder nach Zeil zurückkehren. Überglücklich schloss er seine mutige Frau und die Kinder in die Arme. Die Nachfahren überlieferten diese Geschichte von Generation zu Generation.
Auch aus Gädheim ist eine merkwürdige Geschichte überliefert, die der Volksglaube genährt und das kollektive Gedächtnis überliefert hat. In den Jahren des Befreiungskrieges tummelten sich Soldaten unzähliger Nationen in der Region. Eine kleine Einheit der geschlagenen französischen Armee quartierte sich in Gädheim ein, wo man von den Bauern Speise, Trank und ein Nachtlager forderte. Und für ihre Pferde verlangten die Soldaten Futter. Kaum war das Trüppchen tags darauf abgezogen, rückten russische Soldaten ein, die ebenfalls eine Nacht blieben.
Christus vergessen
Als sie im Morgengrauen Richtung Forst marschierten, kehrte nach kurzer Zeit der Hauptmann der russischen Reiter ins Dorf zurück. „Ich habe meinen Christus vergessen!“, rief er. Er holte aus dem Haus, in dem er übernachtet hatte, sein Brustkreuz, hing es um und galoppierte seinen Soldaten hinterher. Kaum hatte er seine Männer erreicht, kam es zum Kampf gegen die vorher im Dorf weilenden Franzosen. Am Abend gingen die Frauen von Gädheim auf die Schlachtstätte und begruben die Toten. Es sollen nur Franzosen gewesen sein . . .
Der zurückweichenden französischen Armee sind Verfolger aus unzähligen Ländern gefolgt. Besonders Soldaten des russischen Zaren sollten noch bis 1815 in unseren Städten und Dörfern weilen. So mussten die Zeiler 45 Tage lang für deren Verpflegung Schulden aufnehmen. Um sich mit diesen verständigen zu können, ließ Zeil den sprachkundige Andres Lang aus Zell am Ebersberg für 22 Tage nach Zeil kommen. Die Französischkenntnisse des Zeiler Stadttürmers Karl Schütz waren dagegen nicht mehr gefragt.