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Bamberg
Blick durchs Mikroskop auf die Bamberger Kaisergewänder
Textilrestauratorin Sibylle Ruß – hier vor einer Replik des blauen Kunigundenmantels – gehörte zum Forscherteam.
Foto: Marion Krüger-Hundrup | Textilrestauratorin Sibylle Ruß – hier vor einer Replik des blauen Kunigundenmantels – gehörte zum Forscherteam.
Bearbeitet von Marion Krüger-Hundrup
 |  aktualisiert: 27.09.2021 03:10 Uhr

Gold gehört bis heute zu den begehrtesten und prestigeträchtigsten Materialien. Das Edelmetall ist das Zeichen der Macht. Kaiser, Fürsten und Machthaber wurden bis ins Grab mit goldenen Accessoires versorgt – Dinge, die noch tausende Jahre nach dem Tod unversehrt als Grabfunde zutage treten und unsterblich zu sein scheinen.

Der Glanz des Goldes prägt auch die sechs Bamberger Kaisergewänder im Diözesanmuseum:  als Stickereien mit puren Goldfäden, die mit Haltefäden fixiert, dicht an dicht gelegt, biblische Motive darstellen oder in prächtig ausgeschmückten Buchstaben die Stellung des Kaiserpaares und ihre Verbindung zu Gott beschreiben. Der Sternenmantel Heinrichs II., der Blaue und der Weiße Kunigundenmantel, der Reitermantel, die Tunika Heinrichs oder Kunigundes sowie das Rationale, ein liturgisches Würdezeichen in Form eines Schulterüberwurfs wurden im Laufe der Jahrhunderte zu verehrten Erinnerungsstücken. Zu einem "kostbaren Erbe in unserem Erzbistum und zugleich Auftrag für heute und die Zukunft, Christus als Zentrum und Ziel des Lebens und der Geschichte zu betrachten sowie zu verkünden, dass er allein der Welt Heil und Frieden gibt", bringt Erzbischof Ludwig Schick eine Dimension ins Spiel, die über das rein kunsthistorische hinausgeht.

Älteste erhaltene Gewänder europäischer Herrscher

Die textilen Kostbarkeiten aus dem 11. Jahrhundert stellen weltweit die ältesten erhaltenen Gewänder europäischer Herrscher dar und sind fest mit dem Namen des Kaiserpaares Heinrich II. (973-1024) und Kunigunde (um 980-1033) verbunden. Außerdem bieten sie "die größte Anzahl derart qualitätvoller Stickereien aus dem Hochmittelalter", sagt Sibylle Ruß. "Die gibt es sonst nirgendwo." sagt Sibylle Ruß. Ohnehin gebe es kaum Vergleichsobjekte. Nur der Stephansmantel aus Ungarn sei zur gleichen Zeit wie die Bamberger Kaisergewänder entstanden.

Sibylle Ruß hat in einem breit angelegten Forschungsprojekt als Textilrestauratorin die textiltechnologische Analyse der in Jahrhunderten gewachsenen und immer wieder veränderten Substanz der Gewänder vorgenommen. Auch die zur Anwendung gekommenen Verarbeitungstechniken wurden von ihr erkundet: "Das hat zum Beispiel Licht in die bisher unbekannte Struktur der mittelalterlichen Stickerei-Werkstätten gebracht, in der Spitzenkräfte gearbeitet haben", nennt die Textilrestauratorin ein überraschendes Ergebnis.

Vorzeichnungen unter den Stickereien entdeckt

Ein weiteres, nach ihren Worten spektakuläres Ergebnis ist die Entdeckung von Vorzeichnungen auf den Gewändern, die für die Vielzahl an aufgestickten Medaillons unabdingbar waren. Sozusagen "unter der Lupe" identifizierten die Forscher winzige weiße oder gelbe Partikel und ihre Konsistenz aus Knochenasche und Gips, aus Auripigment oder Bleiweiß, mit Bindemitteln aus Proteinen wie Leim, Kasein oder Öl.

Das Forschungsprojekt "Kaisergewänder im Wandel – goldgestickte Vergangenheitsinszenierung" wurde von 2015 bis 2020 vom Lehrstuhl für mittelalterliche Kunstgeschichte der Otto-Friedrich-Universität Bamberg unter Leitung von Professor Stephan Albrecht in Kooperation mit dem Diözesanmuseum und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München durchgeführt. Die inhaltliche Leitung hatte Albrechts Mitarbeiterin Dr. Tanja Kohwanger-Nikolai inne. Zentral eingebunden waren die Bamberger Textilrestauratorin Ruß und das Labor Drewello & Weißmann GmbH Bamberg sowie weitere Partner. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hatte das 350 000-Euro-Projekt in ihr Förderprogramm aufgenommen.

Während der Erforschung haben die Gewänder das Haus nicht verlassen, aber ihre Vitrinen. Auf Arbeitsbühnen wurde jeder Quadratzentimeter der Textilien untersucht. Nicht mit einer altertümlichen Lupe, sondern mittels hochmoderner Licht- und Fasermikroskopie, mit analytischer Rasterelektronenmikroskopie mit energiedispersiver Spektralanalyse und mit Messungen per analytischer Infrarotspektroskopie sowie mobiler Röntgenfluoreszenzanalyse: Grundlagenarbeit als Basis für jede weitere Forschung.

Ausstellung nur noch bis 30. September zu sehen

Die Ergebnisse dieser schonenden Verfahren des Spezialistenteams am Objekt sind noch bis 30. September in einer Sonderausstellung im Diözesanmuseum zu sehen. Es handelt sich nicht nur um Abhandlungen in Wort und Bild, sondern um eine faszinierende Zusammenschau von Exponaten, die sonst kaum zugänglich sind. So gibt es zum Beispiel Fragmente von originalen Trägerstoffen zu sehen, aus denen im 15. Jahrhundert die Goldstickereien ausgeschnitten und auf neue Seiden appliziert wurden. Sogar zwei original Medaillons (11. Jahrhundert) aus dem Blauen Kunigundenmantel verzaubern. In den Vitrinen schimmern Goldfäden und Farbstoffe wie Indigo oder Krapp, die einst auch für die Kaisergewänder verarbeitet wurden.

Kompendien und Details, Exponate der nationalen und internationalen Leihgeber gehen dem Werdegang dieser einmaligen Textilien auf den Grund.  Sie erlauben einen Exkurs zum Weihetag der St.-Stephans-Kirche vor tausend Jahren. Im Zusammenhang mit dem Papstbesuch 1020 in Bamberg soll der Sternenmantel, den Ismahel von Bari in Auftrag gegeben hatte, Kaiser Heinrich II. übergeben worden sein. Auch daran erinnert die Ausstellung, unter anderem mit der Originalhandschrift von Diakon Bebo als Chronist der Ereignisse um St. Stephan. Diesen Buchschatz von 1021 stellte die Staatsbibliothek Bamberg dem Diözesanmuseum zur Verfügung.

Wenn diese Sonderausstellung, die coronabedingt etliche Monate pausieren musste, ihre Pforten schließt, bleibt jedoch eine druckfrische Abschlusspublikation mit den wesentlichsten Forschungsergebnissen. "Das neue Standardwerk ist ein eindrucksvolles Buch für alle, die sich über die Bamberger Kaisergewänder informieren wollen", sagt Museumsleiterin Carola Schmidt. "Denn unter Lupe und Mikroskop erblickten die Forscher so manche Sensation."

Alle Kaisergewänder und deren Veränderungen über die Jahrhunderte vorgestellt

Ausführlich und verständlich stellen mehrere Autoren – darunter Sibylle Ruß und Ursula Drewello – die einzelnen Kaisergewänder vor und beschreiben, wie jedes Textil entstanden und über die Jahrhunderte verändert worden ist. Mittels Vergleichen mit abgewanderten Fragmenten und anderen erlesenen Stücken wie etwa der Kölner Ewaldi-Decke wird die einzigartige Stellung der Sammlung des Diözesanmuseums anschaulich. Dazu kommen Berichte über die Materialanalysen sowie ein Abschnitt über die Stiftskirche St. Stephan. Qualitativ hochwertige Fotos und Grafiken illustrieren den Band.

Sonderausstellung und Buch sind Abschiedsgeschenke der bisherigen Kunstverantwortlichen im Erzbistum: Domkapitular Norbert Jung war Leiter der Hauptabteilung Kunst und Kultur im Erzbischöflichen Ordinariat und ist jetzt leitender Pfarrer in Ansbach, Holger Kempkens fungierte als Direktor des Diözesanmuseums und wechselte nach Paderborn.

Die Publikation

Das Buch "Die Bamberger Kaisergewänder unter der Lupe – Methoden und Ergebnisse der aktuellen Forschungen", herausgegeben von Norbert Jung und Holger Kempkens, erschien 2021 im Verlag Schnell & Steiner GmbH. Es hat 224 Seiten. Es ist im Shop des Diözesanmuseums (Domplatz 5, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr) zum Vorzugspreis von 19,90 Euro erhältlich (statt 25 Euro im Buchhandel).
(mkh)
 
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