Abrechnungsbetrug – ja oder nein? Um diese Frage drehte sich die über vier Stunden lange Verhandlung vor dem Haßfurter Amtsgericht. Die vom Staatsanwalt Christian Lang verlesene Anklageschrift lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Leiterin einer Tagespflege und Sozialstation habe dafür gesorgt, dass pflegerische Leistungen – die eigentlich gar nicht erbracht wurden – unrechtmäßig gegenüber den Kranken- und Pflegekassen abgerechnet wurden. Diese Unregelmäßigkeiten, so der Vertreter der Anklage, seien im Zeitraum zwischen August 2012 und Januar 2013 in einer Pflegeeinrichtung im Maintal vorgekommen. Auf diese Weise sei ein Gesamtschaden von mehr als 10 000 Euro entstanden. Der vorgebliche Betrug hatte bereits bei Bekanntwerden großes öffentliches Aufsehen erregt.
In der Verhandlung beleuchteten und prüften die Juristen im Detail, wie der konkrete Pflegealltag bei zwei betreuten Senioren aussah und ob die dabei erbrachten Tätigkeiten korrekt und ordnungsgemäß aufgezeichnet und weitergegeben wurden. Die 30-jährige Angeklagte schilderte an der Seite ihres Anwalts Tom Soller die Vorgänge. Seit zwölf Jahren arbeitet die gelernte Altenpflegerin bei dem Unternehmen, in die angegebene Leitungsposition rückte sie vor gut vier Jahren auf. Immer wieder brach die Frau aufgelöst in Tränen aus. Sie ist sich keiner Schuld bewusst, denn – so beteuert sie – „es wurde immer schon so gemacht“.
Bei den beiden Senioren, auf die sich die Anklage bezieht, handelt es sich um einen älteren Mann und eine Frau, beide in einer Pflegestufe. Sie residierten in einem Wohnheim, der ebenfalls zu dem Sozialkonzern gehört. Die Rentner hatten sich für das sogenannte betreute Wohnen entschieden. Das heißt, dass sie eigene Wohnräume hatten, wo sie pflegerische Dienstleistungen wie etwa Duschen oder Körperpflege von der firmeneigenen ambulanten Sozialstation buchten. Tagsüber befanden sich die beiden in der auf gemeinschaftliche Aktivitäten ausgerichteten Tagespflegeeinrichtung, wo auch Frühstück, Mittagessen, Nachmittagskaffee und Abendbrot eingenommen wurde.
Bei dieser Tagespflege, so die Beschuldigung, seien etwa das Abholen und Zurückbringen abgerechnet worden. Wie die als Zeugin vernommene Verwaltungsangestellte jedoch klarstellte, gab es eine vertraglich mit den Pflegekassen ausgehandelte „Tages-Pauschale“. Demnach sei alleine die tägliche Anwesenheitszeit ausschlaggebend gewesen. Eine über vierstündige Anwesenheit wurde als ganztägige Teilnahme, ein geringerer Aufenthalt mit einer „Halbtagspauschale“ angesetzt. Was die Senioren während dieser Zeit machten, war abrechnungstechnisch völlig irrelevant.
Ähnliche Aussagen machten zwei weitere Pflegekräfte, die in der ambulanten Sozialstation eingesetzt waren. Aus ihren Schilderungen wurde nachvollziehbar, warum die betreuten Personen die erbrachten Leistungen teilweise anders wahrnahmen. Ein Beispiel: Wenn die Pfleger beim An- oder Auskleiden – um noch vorhandene Selbstständigkeit zu unterstützen – „nur“ beaufsichtigten und anleiteten, hatten sie in den Augen der Betreuten „nichts“ gemacht. „Ob ich aktiv eingreife oder nur aufpasse, kostet es mir aber die gleiche Zeit“, beschrieb ein Krankenpfleger diese Situation.
In einer vorläufigen Bewertung äußerte Strafrichterin Ilona Conver erhebliche Zweifel an einer Bereicherungs- und Täuschungsabsicht der Angeklagten. Selbst den höchst fraglichen Fall gesetzt, dass zu viel Geld seitens der Pflegekasse gezahlt worden wäre, hatte die Beschuldigte davon keinen Vorteil. Vielmehr sah die Vorsitzende noch erheblichen Aufklärungsbedarf. Bei einem Fortsetzungstermin sollen insbesondere ehemalige Mitarbeiterinnen gehört werden, die mit ihrer Anzeige die Sache ins Rollen gebracht haben. Dabei wird zu klären sein, ob es sich bei diesen Anzeigen um Racheakte für ausgesprochene Kündigungen handelte.