Auf den ersten Blick ist alles wie immer: Die CSU füllt einen riesigen Festsaal, in dem großflächige Plakate, weißblaue Fähnchen, Blasmusik und Bierseligkeit das an Selbstbewusstsein nur vom FC Bayern übertroffene „Mia-san-Mia-Gefühl“ der Partei signalisieren. Doch im Gasthaus Hartleb in Maroldsweisach mag am Montagabend die sonst vor großen Wahlen für die Christsozialen so typische „Pack-mers-wieder-Stimmung“ nicht aufkommen. Keine 30 Sekunden dauert der Applaus für den Festredner des Abends, der kein Geringerer ist als der CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer.
An ihm persönlich liegt es nicht, dass sich im Saal keine Euphorie breitmacht. Kreuzer, der Mann mit der wohl tiefsten Stimme im Maximilianeum, spricht klare und deutlichen Worte, wie sie sonst so gut ankommen an der Basis der Partei. Es sind vielmehr die miserablen Umfragewerte und das Erstarken der AfD, welche seine an absolute Mehrheiten gewöhnten Parteifreunde verunsichern. „Jeder neutrale Beobachter muss doch anerkennen, was die CSU für Bayern alles leistet. Aber das scheint für viele Wähler gegenwärtig keinerlei Rolle mehr zu spielen“, klagt einer der gut 180 Besucher der Wahlkampfveranstaltung gegenüber dieser Redaktion.
60 Prozent der Wähler „noch unentschlossen“
Der Landtagsfraktionsvorsitzende will das nicht glauben und ruft die Wahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr in Erinnerung, bei denen es lange Zeit nicht nach einem Erfolg der Union aussah. „Die Umfragewerte sagen nichts aus. 60 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen, alles entscheidet sich in den letzten zwei Wochen.“ Folglich fordert der ehemalige Richter seine Partei auf, jetzt im Endspurt wirklich alles zu geben – was etwas kurios wirkt, da der 59-Jährige nach einem Oberschenkelbruch auf Krücken daherkommt.
Seehofer hat seiner Partei geschadet
Thomas Kreuzer scheint zu wissen, was in vielen Köpfen an den Biertischen vor ihm herumspukt, wenn es auch nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird: Die Bundesregierung ist an der Misere der CSU schuld, die Bundeskanzlerin zuvorderst. Aber auch der eigene Parteivorsitzende und Bundesinnenminister mit seinen unsäglichen Äußerungen wie die Migration sei die Mutter aller Probleme in Deutschland. Das hat der großen bayerischen Volkspartei Schaden zugefügt, von dem sie sich bis zum Wahltermin am 14. Oktober nicht erholen wird, ist sich manch eingefleischter CSU-ler im Saal Hartleb sicher. „Es geht jetzt nicht darum, ob man mit allem einverstanden ist, was Horst Seehofer macht oder wie zufrieden man mit Angela Merkel ist“, meint Kreuzer deshalb mit Blick auf die Wahl. Es gehe ausschließlich um das Land Bayern. Und das stehe anerkanntermaßen exzellent da. „80 Prozent der Menschen im Freistaat sagen: Die Lage ist hervorragend“, lässt der Gast aus Kempten im Allgäu wissen. Aber auch, wo aus CSU-Sicht der Haken an der Geschichte ist: „Sie bringen es zu wenig mit der Politik in Verbindung.“
Grün-Rot „wirtschaftet Musterländle ab“
Wie sehr Wohl und Wehe eines Bundeslandes von der Landespolitik abhängen, glaubt Kreuzer am Beispiel von Baden-Württemberg vorführen zu können, jenem einstigen Musterländle, das früher in allen Parametern die Nase vorne hatte, auch vor Bayern. Doch ob Wirtschaftsstandort, Arbeitslosigkeit oder Bildung, damit sei inzwischen Schluss, überall habe Bayern Baden-Württemberg überholt als Folge der dortigen grün-roten Politik.
Die Grünen als „Glyphosat- und Nitratpartei“
Weil derzeit viel über eine Regierungsbeteiligung der Ökopartei auch in Bayern spekuliert wird, stellt der Hauptakteur des Abends heraus, dass er in zentralen Bereichen – in der Bildungspolitik, der Inneren Sicherheit oder der Landwirtschaft – keinerlei Gemeinsamkeiten mit den Grünen und damit kaum eine Basis für eine Koalition sieht. Das ist auch in den Haßbergen nichts Neues, doch die Zuhörer horchen auf, als Kreuzer mit Bezug auf das Agrarwesen behauptet: „Überall, wo die Grünen regieren, sind sie eine Glyphosat- und Nitratpartei.“ Bayern hingegen fördere den Erhalt der bäuerlichen Betriebe, bewirtschafte ein Drittel seiner landwirtschaftlichen Flächen extensiv und bewahre so die Natur. Kreuzer rührt kräftig die CSU-Werbetrommel und liefert seinen Haßbergler Mitstreitern Wahlkampfmunition, sofern sie nicht in „Das CSU-Argumente-Handbuch zur Landtags- und Bezirkswahl 2018“ blicken wollen, das an den Tischen ausliegt. Er spricht von 880 Millionen Euro für den Wohnungsbau, obwohl die Regierung die Menschen in aller erster Linie in die Lage versetzen wolle, sich Wohneigentum zu verschaffen, er verteidigt das Landeserziehungsgeld und rühmt die gewaltigen Anstrengungen bei der Digitalisierung, obwohl das doch Bundesaufgabe sei. „Aber wir wollen nicht herumsitzen und nichts tun.“
Und er kommt am Thema Flüchtlinge nicht vorbei. Natürlich wolle die CSU Schutzbedürftigen helfen, aber das sei nur so lange möglich, wie es der einheimischen Bevölkerung nicht schade. Beim Punkt Asyl wäre es für Kreuzer eine Katastrophe, „wenn wir das Signal aussenden, dass jeder, der zu uns kommt, bleiben darf, auch wenn er nicht anerkannt wird.“ Folglich fordert er rasche Verfahrensabwicklung und konsequente Abschiebung für abgelehnte Asylbewerber. Mehr Raum als anderen Themen gönnt der Chef der Landtagsfraktion dem vermeintlichen Kardinalproblem Flüchtlinge nicht, lediglich mit Blick auf die AfD stellt er noch fest: „Das ist keine Alternative für Deutschland, sondern vielleicht für die NPD.“
Am Ende von Kreuzers Rede hat niemand im Saal eine Frage, kein einziger Besucher das Bedürfnis, mit dem Spitzenpolitiker zu diskutieren. Rascher als in früherer Zeiten, als man noch gerne länger zusammensaß, leert sich der Saal – was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass vor Kreuzers Auftritt eine Kreisdelegiertenversammlung stattgefunden hat. Aber der Abend in „Maro“ spiegelt eben auch wider, was viele in der CSU gegenwärtig empfinden und was ein Teilnehmer wie folgt ausdrückt: „Man hat den Eindruck, dass es völlig egal ist, was wir tun. Ob wir Kopfstände machen oder am Strand liegen, in der Wählergunst schient das alles wurscht zu sein.“
Vogel will Boden gutmachen
Von dererlei Resignation will sich Steffen Vogel, der Landtagsabgeordnete und neuerliche Direktkandidat im Stimmkreis Haßberge/Rhön-Grabfeld, nicht anstecken lassen. Ganz im Sinne der Kreuzer'schen Endspurtaufforderung werde er alles daran setzten, bis zum Schluss Boden gutzumachen, verspricht er im Hartleb-Saal. Ihn beflügelt es, dass ihn der Landtagsfraktionschef als „hervorragenden Abgeordneten“ bezeichnet hat. Einmal mehr erinnert Vogel daran, was man als Mandatsträger erreichen kann, auch wenn das mächtige München fern ist. Ohne Impuls aus Haßfurt hätte es das Förderprogramm zum Erhalt der Geburtshilfen an kleinen Krankenhäusern nicht gegeben, heftet sich Vogel an seine Fahne. Auch an der besseren Finanzierung der Kindertagesstätten habe er seinen Anteil, für seinen Landkreis bedeute das gut 800 000 Euro für die Kinderbetreuung mehr im Jahr. Und schließlich will der 44-jährige Jurist nicht unerwähnt lassen, dass sein Stimmkreis der große Profiteur der Behördenverlagerung war. „Ich kenne jedes Dorf im Stimmkreis und die Leute kennen mich. Da frage ich mich schon, ob die Menschen Politiker wählen wollen, die sie noch nie zu Gesicht bekommen haben“, sagt Vogel. Und stichelt damit in Richtung AfD, die nach seiner Erkenntnis keine einzige Wahlkampfveranstaltung im Landkreis Haßberge geplant hat, was bedeute, dass ihr die Menschen und ihre Anliegen „scheißegal“ sind.
Lieber kleine Politik statt großes Tamtam?
Dass Vogel zu den umtriebigsten Parlamentariern gehört, würde auch der politische Gegner kaum bestreiten. Was er mit seiner Unermüdlichkeit bewirken kann, bleibt abzuwarten. Nicht jeder im Saal ist davon überzeugt, dass es dem Kandidaten und der Partei nutzt, wenn er jetzt von Wahlkampftermin zu Wahlkampftermin hastet. „Es kommen doch sowieso fast nur die Leute, die uns eh wählen“, meint ein betagtes Mitglied der gastgebenden CSU Maroldsweisach. Worauf es jetzt ankomme sei, „dass jeder von uns in seinem Freundes- und Bekanntenkreis die Menschen anspricht, die gar nicht oder möglicherweise falsch wählen.“ Mithin: „Es ist jetzt wohl wichtiger, im kleinen Kreise als auf großer politischer Bühne zu wirken.“