Auch bei der deutschen Justiz läuft nicht alles nach "Schema F". Vielmehr, so Amtsgerichtsdirektor Christoph Gillot, müsse man den Einzelfall genau anschauen. Ein angeblicher Kfz-Kennzeichenmissbrauch, den die Staatsanwaltschaft mit einem Strafbefehl über 1250 Euro ahnden wollte, entpuppte sich laut dem Richter als "Bagatelle". Der Vorsitzende fand eine eher unübliche Lösung, indem der das Verfahren mit einer Mini-Auflage von zehn Euro einstellte.
Ordnungsgemäße Anmeldung
Was war passiert? Der Angeklagte, ein 27-jähriger lediger Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien, hatte im vergangenen Jahr eine Ausbildung zum Sozialpfleger begonnen. Für den Weg von und zur Ausbildungsstätte benötigte er ein Auto. Deshalb machte er seinen Führerschein und sparte, bis er sich ein gebrauchtes Fahrzeug kaufen konnte. Er meldete es am 25. September 2020 ordnungsgemäß bei einer Versicherung an und ging mit den Papieren zur Zulassungsstelle in Haßfurt. Dort sagte man ihm, dass der "TÜV" an seinem Auto abgelaufen sei und er die fällige Hauptuntersuchung nachholen müsse. Für die direkte Fahrt zur entsprechenden Autowerkstatt könne er das nicht abgestempelte Nummernschild verwenden, erklärte man ihm weiter.
Kleiner Umweg zur Tankstelle
Einige Tage später hatte der Beschuldigte mit seiner Werkstatt in Schonungen einen TÜV-Termin vereinbart. Um dorthin zu gelangen, musste er erst mal zu einer Tankstelle fahren. Da sich an seinem Wohnort in Königsberg keine befindet, wollte er zur nächstgelegenen nach Haßfurt. Ausgerechnet auf dem Weg dahin hatte er einen Unfall, weil ein anderer Autofahrer ihm die Vorfahrt nahm. Dadurch kam die Polizei ins Spiel. Die Beamten bemerkten schnell, dass das Nummernschild nicht abgestempelt war und meldeten diesen Sachverhalt der Staatsanwaltschaft. So kam es zu dem Strafbefehl, den der Angeschuldigte im Dezember 2020 erhielt.
Anwalt sieht keine Schuld
Da er mit Hilfe seines Rechtsanwaltes dagegen Berufung eingelegt hatte, kam es nun zu der öffentlichen Hauptverhandlung. Der Verteidiger teilte ergänzend mit, dass die Ausbilder seinen Mandanten als äußerst zuverlässig bezeichnen würden. Dieser sei stets bestrebt, nichts Falsches zu machen und sich nichts zuschulden kommen zu lassen. Zudem sei der Umweg zur Tankstelle unvermeidlich gewesen. Von daher sah er keine Schuld bei seinem Klienten.
Richter und Staatsanwalt sind sich einig
Amtsgerichtsdirektor Gillot teilte diese Sichtweise. Er bestätigte, dass bei dem Angeklagten weder im Bundeszentralregister noch im Fahreignungsregister ein Eintrag zu finden sei. Von daher sei er sowohl strafrechtlich als auch verkehrsrechtlich völlig unbescholten. Nach kurzer Beratungszeit erklärte sich auch der Staatsanwalt damit einverstanden, das Verfahren ohne Verurteilung einzustellen. Dies ist nach deutschem Recht immer dann möglich, wenn die Schuld des Täters gering ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.
Die Frage, warum in diesem Fall die Staatsanwaltschaft mit Kanonen auf Spatzen geschossen hat, blieb unbeantwortet. Die zehn Euro jedenfalls erhält Lifeline, ein gemeinnütziges Projekt in Trägerschaft der Salesianer Don Bosco in Bamberg. Wenn der Syrer innerhalb der nächsten zwei Wochen den Betrag überweist, ist das Verfahren vom Tisch.