Die Angeklagte war Geständig. Allerdings ging es vor Gericht aufgrund ihrer psychischen Erkrankung um die Frage, ob sie zur Tatzeit überhaupt schuldfähig war.
Ein anscheinend ganz gewöhnlicher Fall des Diebstahls wurde kürzlich beim Haßfurter Amtsgericht verhandelt: Eine 59-Jährige hatte in einem Supermarkt 50 Lose der Marke "Extra Gehalt" im Wert von 150 Euro gestohlen. Der Fall ist insofern außergewöhnlich, als die Angeklagte wegen psychischer Erkrankungen mehrfach stationär in der Psychiatrie war – unter anderem wegen Kleptomanie, was man landläufig als "Stehlsucht" oder "Stehltrieb" bezeichnet. Strafrechtlich führte dieser Sachverhalt zu einer verminderten Schuldfähigkeit, was wiederum eine reduzierte Strafe nach sich zog. Der Diebstahl der einschlägig vorbestraften Frau aus dem Maintal wurde mit einer Geldstrafe von 1350 Euro geahndet.
Überführt durch eine Überwachungskamera
Die Tat selber liegt schon einige Zeit zurück. Am 20. November 2019 setzte sich die Angeklagte in ihr Auto und fuhr einige Kilometer zu einem Supermarkt. Als sie sich unbeobachtet fühlte, griff sie dort in eine große Lostrommel und holte einen ganzen Packen an Losen mit der Aufschrift "Extra-Gehalt" heraus. Anschließend verließ sie den Markt, ohne zu bezahlen. Was sie nicht wusste: Dieser Bereich war mit einer Überwachungskamera ausgestattet, wodurch sie leicht überführt werden konnte.
Nachdem Ilker Özalp, Vertreter der Staatsanwaltschaft, die Anklageschrift verlesen hatte, gab Rechtsanwalt Theodor Rahner für seine Mandantin eine ausführliche Erklärung ab. Demnach gab die Beschuldigte, die als Rentnerin eine Erwerbsminderungsrente bezieht, ein volles Geständnis ab. Der Advokat erklärte, dass der Vorfall der Frau unendlich leid tue und dass sie sich so sehr dafür schäme, dass sie selber nicht darüber sprechen könne.
"Wie im Rausch und fremdgesteuert"
Dann kam er auf das Motiv zu sprechen. Nicht die Absicht, sich zu bereichern oder Gier habe die Tat ausgelöst. Vielmehr leide die 59-Jährige unter massiven psychischen Problemen. Im Laufe der letzten 20 Jahre habe sie wiederholt unter Depressionen, Angststörungen und Minderwertigkeitskomplexen gelitten, zudem seien bei ihr eine Alkoholkrankheit und Spielsucht diagnostiziert worden. Zur Tatzeit habe sie Schweißausbrüche gehabt und eine hohe innere Anspannung verspürt. Der Zwang, etwas zu stehlen, sei übermächtig in ihr geworden, so der Verteidiger. In dieser Verfassung habe sie "wie im Rausch und fremdgesteuert" zugegriffen, fügte er hinzu. Im Nachhinein komme ihr der ganze Vorfall "wie ein schlechter Film" vor.
Steuerungsfähigkeit teilweise vorhanden
Anschließend trug der Sachverständige, Professor Dr. Hans-Peter Volz von der psychiatrischen Klinik in Werneck, sein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit vor. Er attestierte der Frau eine bipolare Störung. Bei etlichen früheren Diebstählen hatte sie Socken oder T-Shirts geklaut, die sie meist gar nicht benutzt habe. In den vergangenen Jahren habe es eine Symptomverlagerung gegeben – von der Spielsucht hin zur Kleptomanie. Allerdings habe sie jederzeit gewusst, dass ihre Handlung verboten sei. Von daher sei ihre Steuerungsfähigkeit zumindest teilweise vorhanden gewesen.
Im deutschen Strafrecht gilt der Grundsatz: Keine Strafe ohne Schuld. Doch Amtsgerichtsdirektor Christoph Gillot stellte klar, dass im deutschen Rechtsverständnis eine krankhafte Spielsucht oder eine Kleptomanie in der Regel nicht zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führe. Da die Frau zur Tatzeit aber unter dem Einfluss von ärztlich verordneten Psychopharmaka gestanden habe, komme hier eine verminderte Schuldfähigkeit in Betracht.
Die Geschädigten nicht vergessen
In seinem Plädoyer sprach Özalp seitens der Staatsanwaltschaft von einer Wiederholungstäterin mit krimineller Energie. Dass er keine Freiheitsstrafe, sondern "nur" eine Geldstrafe von 2700 Euro forderte, begründete er mit dem erwiesenen Krankheitszustand der Frau. Trotzdem dürfe man die Geschädigten, in diesem Fall also die Bestohlenen, nicht vergessen. Er appellierte an die Angeklagte, keine weiteren Diebstähle mehr zu begehen. "Ich hoffe wirklich, dass wir uns hier nie wiedersehen", sagte er zum Abschied.
Der Verteidiger hielt eine Strafe von 900 Euro für ausreichend. Der noch nicht rechtskräftige Richterspruch lag in der Mitte dieser beiden Anträge. Das Urteil lautete auf 45 Tagessätze zu je 30 Euro, also insgesamt 1350 Euro. Zusätzlich muss die Verurteilte ihren Anwalt und die Gerichtskosten bezahlen.