zurück
HAßFURT
Am Ende schaufelte er sich sein eigenes Grab
Schmieder, Peter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 17:48 Uhr

Gerne schmücken sich Orte mit berühmten Persönlichkeiten, die in ihnen wirkten oder geboren wurden. Doch wie soll eine Stadt damit umgehen, wenn ihr bekanntester Sohn ein Kriegsverbrecher war? Auch in Haßfurt stellt sich diese Frage. Denn in einem Haus in der Brückenstraße wurde Ernst Friedrich „Fritz“ Christoph Sauckel geboren, einer der Hauptkriegsverbrecher der Nazizeit.

Für den Historiker Steffen Raßloff aus Erfurt steht fest, dass ein offener Umgang mit den dunklen Punkten der eigenen Geschichte „das einzig Richtige“ sei. Als Beispiel nannte er die Stadt Weimar, die sich noch bis in die 1990er Jahre schwer mit ihrer bedeutenden Rolle bei den Nazis getan habe, nun aber auch diesen Teil der Geschichte zeige und dafür viel Anerkennung bekomme.

Raßloffs Schwerpunkt ist die Geschichte Thüringens, wo der auch in Schweinfurt aufgewachsene Sauckel (1894–1946) im Drittem Reich Gauleiter war. Am Mittwochabend hielt er in der Haßfurter Stadthalle einen Vortrag über den Kriegsverbrecher.

Der Vortrag fand im Rahmen des Kulturcafés statt, in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv, dessen Leiter Thomas Schindler eine kleine Ausstellung über das zusammengetragen hatte, was sich in Haßfurt über Sauckel finden lässt.

Sauckels Geburtshaus in der Haßfurter Brückenstraße.
| Sauckels Geburtshaus in der Haßfurter Brückenstraße.

Vor der eigentlichen Veranstaltung trafen sich viele Interessierte am Geburtshaus des Kriegsverbrechers in der Brückenstraße. Nach einigen Informationen über das Gebäude ging es dann zum eigentlichen Vortrag in den kleinen Saal der Stadthalle. Das Interesse am Thema war groß, gut 100 Besucher füllten den Raum, darunter auch der frühere Landtagsabgeordnete Albert Meyer und der stellvertretende Landrat Michael Ziegler.

Propagandalüge vom Rauswurf

Fritz Sauckel, der aus einfachen Verhältnissen stammte, verbrachte die ersten vier Jahre seines Lebens, von 1894 bis 1898 in Haßfurt. Dann zog die Familie nach Schweinfurt, wo er das Gymnasium besuchte. Bis zum Abitur brachte er es nicht: 1909 verließ er die Schule mit der Mittleren Reife und fuhr als Matrose auf Handelsschiffen zur See.

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, befand er sich auf einem deutschen Schiff, wurde gefangen genommen und verbrachte den Rest des Kriegs in einem französischen Internierungslager. Danach kam er zurück nach Schweinfurt, wo er bei der Firma Kugelfischer arbeitete, bis er 1922 in Ilmenau ein Ingenieursstudium begann.

Dass dieses 1924 ohne Abschluss endete, stellte er selbst als politischen Rauswurf dar. Historiker Raßloff konnte die Legende vom NSDAP-Märtyrer jedoch als Propagandalüge enttarnen. Der wahre Grund für das Ende von Sauckels Studium war, dass er bei einem Betrugsversuch erwischt wurde.

Nürnberger Prozesse - 60. Jahrestag       -  Anklageverlesung bei der Eröffnung des Nürnberger Kriegsverbrecher-Hauptprozesses im November 1945: In der hinteren Reihe sitzen (von rechts) die Angeklagten Fritz Sauckel, Baldur von Schirach, Erich Räder und Karl Dönitz, in der Reihe davor (von links) Hermann Göring, Rudolf Hess, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel und Alfred Rosenberg. Die Verteidiger sitzen vor den Angeklagten.
Foto: DPA, Ludwig Leisentritt, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Peter Schmieder | Anklageverlesung bei der Eröffnung des Nürnberger Kriegsverbrecher-Hauptprozesses im November 1945: In der hinteren Reihe sitzen (von rechts) die Angeklagten Fritz Sauckel, Baldur von Schirach, Erich Räder und Karl ...

1927 wurde er NSDAP-Gauleiter in Thüringen, „ein relativ hohes Amt in einer noch relativ kleinen Partei“, wie Raßloff berichtet. 1930 gab es dort die erste Regierungsbeteiligung seiner Partei, ab 1932 war er Ministerpräsident. 1933 ernannte ihn Hitler zum Reichsstatthalter in Thüringen. Den letzten Schritt auf der Karriereleiter nahm er 1942, als er Generalbevollmächtigter für Arbeitseinsätze wurde. Hiermit war er zuständig für Zwangsarbeiter, die sehr schlecht behandelt wurden.

Aufgrund seiner Kriegsverbrechen wurde er in den Nürnberger Prozessen zum Tod verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet. Im Prozess wurde er als „Der größte Sklavenhalter seit den Pharaonen“ bezeichnet. Eine gewisse Ironie liegt darin, dass Sauckels damalige Villa in Weimar heute ausgerechnet von der Arbeitsagentur als Schulungszentrum genutzt wird.

„Der größte Sklavenhalter“

Immer wieder stellte Raßloff Sauckels besondere Rolle als Hitlers Mustergauleiter heraus. Alle Verordungen der Nationalsozialisten wurden in Thüringen in kürzester Zeit umgesetzt. So steht auch in Weimar das einzige Gauforum, das tatsächlich gebaut wurde und erhalten blieb.

„Seien sie froh, dass sie ihn in Franken rechtzeitig losgeworden sind“, sagte Raßloff, denn für Weimar sei der Bau auch heute noch ein Problemfall.

Unter dem Titel „Fritz Sauckel – Hitlers Muster-Gauleiter und Sklaventreiber“ hielt Historiker Steffen Raßloff einen Vortrag in der Stadthalle.
| Unter dem Titel „Fritz Sauckel – Hitlers Muster-Gauleiter und Sklaventreiber“ hielt Historiker Steffen Raßloff einen Vortrag in der Stadthalle.

„Man hat nationalsozialistische Familienpolitik im Haus Sauckel durchaus ernst genommen“, kommentierte der Historiker die Tatsache, dass der Kriegsverbrecher zehn Kinder hatte. Auch heute gibt es noch Nachfahren.

Zur Frage, wie Sauckel so viel Bedeutung erlangen konnte, gibt es verschiedene Antworten. Eine davon hat mit seinen Beziehungen und Kontakten zu tun. „Vitamin B“, sei zur Nazizeit genauso wichtig gewesen, um an bestimmte Posten zu kommen, wie zu jeder anderen Zeit. Für Sauckel spielte neben Adolf Hitler vor allem Martin Bormann eine wichtige Rolle.

Dazu kam seine Fähigkeit, Menschen aus verschiedensten Schichten und Umfeldern anzusprechen, sowohl aus der bürgerlichen Gesellschaft aus auch aus Arbeiterkreisen. Geholfen könne auch haben, dass er als Protestant mit einer Katholikin verheiratet war und damit Menschen beider großer Konfessionen ansprach.

Diese Gedenktafel für „Reichsstatthalter“ Fritz Sauckel hing einst an seinem Geburtshaus in der Haßfurter Brückenstraße.
| Diese Gedenktafel für „Reichsstatthalter“ Fritz Sauckel hing einst an seinem Geburtshaus in der Haßfurter Brückenstraße.

Zum Schluss seines Vortrags beschäftigte sich Raßloff mit der Frage, wie gerecht die Nürnberger Urteile waren. Besonders der Vergleich zwischen Fritz Sauckel und Albert Speer lässt das zweifelhaft erscheinen. Beide beschäftigten Zwangsarbeiter unter schrecklichen Arbeitsbedingungen, die für viele tödlich endeten.

Raßloff ist der Ansicht, Sauckel habe sich mit seinem Verhalten im Prozess sein eigenes Grab geschaufelt. Denn während Speer – „ob geschauspielert oder nicht“ – Reue zeigte, versuchte Sauckel bis zum Schluss, sich mit Halbwahrheiten herauszuwinden. Hierin könnte, so Raßloff, der Grund liegen, warum der „smarte Architekt“ Speer mit einer Haftstrafe davonkam, während Sauckel, der im Prozess eine sehr schlechte Figur gemacht habe, hingerichtet wurde.

 
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Haßfurt
Adolf Hitler
Agentur für Arbeit Dortmund
Albert Speer
Das dritte Reich
Historikerinnen und Historiker
Kriegsverbrecher
Martin Bormann
Michael Ziegler
Sklavenhalter
Vorträge
Zwangsarbeiter
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top