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ZEIL
Als Zeil den Zucker verlor
Vor genau 15 Jahren gingen in der Zeiler Zuckerfabrik die Lichter aus. Bis dahin hat die Produktion mit Güterzügen, langen Schlangen mit Traktoren und ihren Anhängern und Bergen von Zuckerrüben das Bild der Kleinstadt bestimmt.
Zucker LetzteFuhre       -  Die letzte Fuhr zur Zuckerfabrik in Zeil: Eine Kutsche liefert Zuckerrüben ab. Noch heute ist unklar, wie das Gelände genutzt werden kann.
Foto: Alois Wohlfahrt | Die letzte Fuhr zur Zuckerfabrik in Zeil: Eine Kutsche liefert Zuckerrüben ab. Noch heute ist unklar, wie das Gelände genutzt werden kann.
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 |  aktualisiert: 09.02.2024 13:07 Uhr

Es war ein trüber, regnerischer Tag. Und das war auch gut so, denn strahlender Sonnenschein wäre für diesen Anlass gewiss nicht angebracht gewesen.

Gemächlich ziehen zwei Pferde einen beladenen Wagen. Darauf ein Schild und weithin sichtbar ist darauf zu lesen: „Die letzte Fuhr“. Vor genau 15 Jahren endete mit dieser symbolischen letzten Fuhre angelieferter Zuckerrüben, die Ära der „Zuckerstadt“ Zeil. Anfang Dezember erlosch die so weithin sichtbare und für Zeil in der Rübenkampagne typische Dampfwolke aus dem „Kamin“. Nur ein einziges Mal gab er noch einmal ein Wölkchen ab. Die Zeiler Zuckerfabrik war damit Geschichte.

Rund 800 Arbeitsplätze gingen damals verloren. Denn nicht nur die Zeiler Zucker schloss ihre Tore, sondern zuvor war auch schon der Konkurs des Küchenbauers „allmilmö“ zu verkraften gewesen.

„Wir haben um die Zuckerfabrik schwer gekämpft“, erinnert sich Winkler an mehrere Besuche bei Verantwortlichen von „Südzucker“. Wie Winkler, dürfte vielen auch noch die Demonstration gegen die Schließungspläne im Sommer 2000 auf dem Zeiler Marktplatz in Erinnerung sein. Am Ende vergebens. Und das war für ihn auch persönlich ein bitterer Einschnitt in Zeils Stadtgeschichte, denn: Sein Vater Rudolf Winkler hatte es mit auf den Weg gebracht, dass Zeil überhaupt Zuckerstadt geworden war.

Archivbild zeigt die Zeiler Zuckerfabrik.
Foto: Archiv Leisentritt/Stadt Zeil | Archivbild zeigt die Zeiler Zuckerfabrik.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Zucker lange Zeit Mangelware. Eine Steigerung der Zuckerproduktion war deshalb erwünscht. In ganz Bayern gab es nur eine Zuckerfabrik bei Regensburg, doch die fränkischen Zuckerbauern wünschten eine neue Fabrik in der Nähe ihrer Anbaugebiete. Über 60 000 Rübenbauern aus Süddeutschland brachten 7,5 Millionen Mark auf. So wurde 1952 mit dem Bau einer Fabrik in Ochsenfurt begonnen. In den darauffolgenden Jahren reichte die Verarbeitungskapazität dieses Werkes nicht mehr aus, so dass wieder Rüben in andere Zuckerfabriken transportiert werden mussten.

Im Kreis Haßfurt hatte sich bis 1953 der Zuckerrübenanbau um 42 Prozent erhöht. Zwischen 1951 und 1960 stieg der Zuckerrübenanbau im damaligen Kreis Haßfurt von 130 auf 509 Hektar. Die Zahl der Anbauer steigerte sich von 259 auf 805.

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Zuckerrüben brachten gute Einnahmen und nebenbei gutes Futter. Beim Ankauf der Rüben zog der Konzern pro Doppelzentner eine Mark für die Errichtung der Zeiler Fabrik ab.

Trotz Demonstrationen endete die Zukunft der Zuckerproduktion schon Anfang Dezember 2001.
Foto: Alois Wohlfahrt | Trotz Demonstrationen endete die Zukunft der Zuckerproduktion schon Anfang Dezember 2001.

Auch Hofheim machte sich damals Hoffnungen auf die Ansiedlung einer Zuckerfabrik. Schon im Sommer 1954 teilte aber das Landwirtschaftsministerium in München der Stadt Hofheim mit, dass für die Fabrik in Hofheim keine Aussicht bestehe.

Im Frühjahr 1955 interessiert sich erstmals die Stadt Haßfurt für dieses Großprojekt, das damals auf 50 Millionen Mark angesetzt wurde. Obwohl die Standortfrage für die dritten Zuckerfabrik in Bayern noch gar nicht spruchreif war, pilgerte Haßfurts damaliger Bürgermeister Hans Popp nach München zur Regierung. Als Platz hatte man eine Fläche in der Nähe des Mooswäldchens angeboten. Und auch die Gemeinde Ebelsbach bewarb sich 1955 als Standort. In München erfuhr eine Abordnung, dass sich bereits zahlreiche andere Orte dafür interessieren.

Rund 60 Hektar Bauland

Doch konkret wurde das Projekt erst 1958 und die Würfel fielen in der ersten Dezemberhälfte dieses Jahres. Vor der Versammlung des Verbandes fränkischer Zuckerrübenbauer erklärte der Vorsitzende Hans-Ulrich Hutten damals unter anderem: „Eine Meute von Interessenten hat sich beworben. Es war die reinste Verfolgungsjagd“. Zuletzt gab es nur noch eine Entscheidung zwischen Hallstadt, Haßfurt und Zeil.

Die Entscheidung fiel ganz rasch und es war ein Mitkonkurrent, der den Zeilern als erster die frohe Botschaft ins Rathaus sandte. Am Samstag, 13. Dezember, traf um 11 Uhr im Zeiler Rathaus ein Telegramm ein: „Herzlichen Glückwunsch – neuer Standort der Zuckerfabrik Zeil, Mantel, Bürgermeister, Ebelsbach.“

Nun ging die Stadt Zeil daran, das erforderliche Gelände zu erwerben. Die Vertreter der Stadt mussten mit etwa 110 Grundstücksbesitzern Verhandlungen führen. In einer Rekordzeit von nur fünf Wochen erfolgte die Zuschreibung von rund 60 Hektar Bauland an die Zuckerfabrik Ochsenfurt. Die Stadt hatte hierfür rund 1,2 Millionen Mark aufwenden müssen. Eine Investition, die sich später aber auszahlen sollte.

Zeil verpflichtete sich noch, die verkehrsmäßige Erschließung des Geländes zur neuen Fabrik zu übernehmen. Der Stadtrat war sich klar darüber, dass man zunächst beträchtliche Opfer für den Bau der Zuckerfabrik erbringen muß. Man appellierte an die Bevölkerung, ihre Wünsche an den Stadtrat für einige Jahre zurückzustellen, damit die Kommune ihren Verpflichtungen nachkommen könne.

In seinem Jahresbericht sprach Bürgermeister Winkler von einem denkwürdigen Jahr und von einer bedeutsamen Bewährungs – aber auch Belastungsprobe.

Der Bau der Fabrik hat für Zeil erhebliche Umplanungen nötig gemacht. Eine ziemlich ortsnah – durch das Gelände der Fabrik - vorgesehene Umgehungs- beziehungsweise Schnellstraße war nicht mehr möglich. Direktor Holik bat damals um Verständnis, dass sich die Fabrik absichern wolle. In dem von ihr erschlossenen Gelände möchte sie keine Betriebe oder Bauten haben, welche die Fabrik beeinträchtigen oder Schwierigkeiten machen würden.

Die größten Opfer für die Ansiedlung der Zuckerfabrik haben unstreitig die Zeiler Bauern gebracht. Bürgermeister Winkler ging sogar soweit, sie als „Blutspender für die neue Fabrik“ zu bezeichnen. Eine schon in den 50er Jahren geplante Flurbereinigung lehnten die Landwirte nach dem großen Landverlust kategorisch ab. In einer Bauernversammlung meinte gar Hermann Schlegelmilch, dass eine Flurbereinigung der „Todesstoß für die kleinen Bauern“ wäre.

Winkler vertrat die Meinung, dass kleine landwirtschaftliche Betriebe in Zukunft kaum mehr lebensfähig seien. Im Interesse eines Überlebens der Landwirtschaft in einigen größeren Betrieben, wünschte sich das Stadtoberhaupt aber eine Flurbereinigung, die durch einen entsprechenden Wegebau den Einsatz großer Maschinen gewährleistete. Winkler: „Immer wenn ich die Flurkarte von Zeil ansehe, stehen mir die Haare zu Berge.“

Die neue Fabrik war für Zeil auch bevölkerungspolitisch von Bedeutung. Viele Leute, die aus Ochsenfurt und anderorts hierher gekommen waren, ließen sich hier auf Dauer nieder. Mehrere Betriebsangehörige entschlossen sich 1965 in Selbsthilfe östlich des Hochhauses Reihenhäuser zu bauen.

Täglich rollte ein Güterzug nach Zeil

Und auch beschäftigungs- und tarifpolitisch wirkte sich die Ansiedlung aus, wenn auch kleinere Firmen sich um das Lohngefüge sorgten. Während der Bauarbeiten gab es eine Abmachung mit Zeiler Maurerfirmen, dass die Zuckerfabrik und ihre Bauunternehmen keinen Arbeiter bei ihnen abwerben und beschäftigen.

1960 rollte bei der Kampagne täglich ein Güterzug mit Rüben nach Zeil und weitere Rüben wurden durch Regelzüge nach Zeil gebracht. Weit mehr als die Hälfte der Rüben gelangten in der Anfangszeit über die Schiene nach Zeil. Im ersten Jahr zählte man 8050 Rübenwaggons.

Aber in Erinnerung geblieben sind vielen Zeilern die endlos langen Schlangen mit Anhängern voller Zuckerrüben. Immer wieder hatten die Fuhrwerke damals Gelegenheit zum Spielen geboten, erinnert sich auch der jetzige Bürgermeister Thomas Stadelmann. „Die Zucker war für viele Jahre für die Stadt ein Segen“, so Stadelmann im Rückblick. Aber „die Zucker“, besser das Zuckergelände beschäftigt die Stadt auch 15 Jahre nach deren Ende, denn immer noch ist unklar, wie das Gelände genutzt werden kann, nachdem das Areal im Bereich des 100-jährigen Hochwassers liegt. Die Stadt unterstütze die Bemühungen von Südzucker, „alle Hebel in Bewegung zu setzen, um zu sehen, was genutzt werden kann“, so Stadelmann.

Zeil war eine hochmoderne und effektive Anlage. Und in der Anfangszeit des Werkes wurde noch angekündigt, dass die Zeiler Fabrik weiter ausgebaut werde, sobald sich die Möglichkeiten durch eine Änderung der Zuckermarktordnung beziehungsweise der Absatzordnung ergeben. Wäre es damals – wie geplant – zu einer Ausweitung der Produktion um 50 Prozent gekommen, wäre die Fabrik in Zeil die größte Zuckerfabrik in der Bundesrepublik geworden.

Weil so viele einst manuelle Schwerarbeit durch Förderbänder erleichtert wurde, wurde das Werk als ein „wahres Kunstwerk der Technik“ gelobt. Direktor Holik sagte in diesen Jahren, diese Fabrik habe eine Zukunft und werde für Generationen gebaut, zumal die Menschen immer Zucker brauchen werden. Doch die Zukunft endete schon Anfang Dezember 2001. Im Jahr 2005 wurde denn auch das „Wahrzeichen“ der Fabrik, der Kamin, gesprengt. Doch dies gelang nicht ganz so, wie vorgesehen, er knickte ein, „verneigte sich vor Zeil“, wie viele später sagten und aus dem Kamin drang noch einmal ein kleines Wölkchen.

Einer, der die Schließung und die Diskussion um das Aus für das Zeiler Werk hautnah miterlebt hatte, ist Rainer Stephan (Unterhohenried). Der Landwirt war auch damals schon Ausschussmitglied im Verband Fränkischer Zuckerrübenbauer. „Schlimme Tage“ waren dies damals für alle Arbeiter und Angestellten, sagt er im Rückblick. Bei den Bauern herrschte wohl vor allem Wehmut. Und wenn man die Entwicklung auf dem Zuckermarkt betrachte, „dann hätte es, so hart wie es klingt, wohl tatsächlich keinen Sinn gemacht, wenn die Fabrik weiter geführt worden wäre“.

 
zuckerfabrik       -  Nicht nur bei den Bauern herrschte Wehmut bei der Sprengung.
Foto: Kranewitter | Nicht nur bei den Bauern herrschte Wehmut bei der Sprengung.
Zuckerrüben brachten gute Einnahmen und nebenbei gutes Futter.
Foto: Archiv Leisentritt/Stadt Zeil | Zuckerrüben brachten gute Einnahmen und nebenbei gutes Futter.
 
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