Einst gehörten die Scherenschleifer zum Straßenbild der Städte und Dörfer im Landkreis. Dort wetzten sie nicht nur Scheren, sondern auch Messer, Beile, Äxte und Sägen, die im Laufe der Zeit stumpf geworden waren. Dann wurde der Berufstand zunehmend zur Folklore.
Doch inzwischen findet das Handwerk wieder Beachtung, nämlich im Kampf gegen die sogenannten Wegwerfgesellschaft. Über eine Zunft, die früher unentbehrlich war und besonders im Landkreis Haßberge beste Bedingungen vorfand - nämlich den idealen Schleifstein.
Vor allem Orte mit Bahnanschluss waren gut besucht
Vor etwas weniger als 200 Jahren waren es noch viele Scherenschleifer, die in der Region von Ort zu Ort zogen. Zu viele: 1836 versuchte die Regierung in Würzburg, die Konzessionen für diesen Wanderberuf zu beschränken.
1933 kündigte der Scherenschleifer Konrad Meyer aus dem fernen Solingen in der Zeitung an, dass er sich drei Tage in der Haßfurter Eisenbahnwirtschaft aufhalten werde. Damals zog auch eine Familie aus dem Steigerwald im Frühjahr mit einem kleinen überdachten Wägelchen übers heimische Land. Gezogen wurde das Gefährt von einem Esel. So verdienten sie sich ihren Lebensunterhalt mit dem Flicken von Regenschirmen, dem Löten von Blechtöpfen und mit dem Schleifen von Messern und Scheren. Als Attraktion führte sie ein dressiertes Äffchen mit, das die Kinder anzog und dadurch die Erwachsenen aufmerksam machte. Im Herbst kehrte die Familie wieder zurück in ihr Winterquartier. Weil sie hier als Einheimische galten, unterschieden sie sich vom früher oft geschmähtem "fahrenden Volk".
1965 warb in Haßfurt ein 67 Jahre alter Scherenschleifer aus Nürnberg um Kunden. Vor allem die Orte mit Bahnanschluss gehörten zu seinem Tätigkeitsbereich. Sein Gerät war damals ein "Mercedes" unter den Schleifgeräten. Bereits seit 45 Jahren reiste dieser Mann durch die Lande. Der Scherenschleifer Siegmayer aus dem pfälzischem Bellheim kam vor rund 50 Jahren wohl mit der Eisenbahn nach Haßfurt. Er bot ausdrücklich auch das Schärfen von Wellenschliff- und Fleischmaschinenmessern an. Seine mit mehreren Schleifscheiben ausgestatteten Geräte wurden schon mit einem Motor angetrieben und unterschieden sich von denen, welche in den 50-er und 60-er Jahren das Straßenbild prägten. Doch das war nicht immer so.
Das Rad revolutionierte die Arbeit der Scherenschleifer
Als das Fahrrad ab etwa 1890 seinen Siegeszug begann, haben sich nach und nach auch die Scherenschleifer von ihren schubkarrenartigen Fahrgestellen getrennt. Die Umstellung war relativ einfach und mit geringen Kosten verbunden. Das Fahrrad war nun Fortbewegungsmittel und Arbeitsgerät zugleich. Ein aufmontierter kleiner Schleifstein und ein am Rahmen aufgehängtes schrill klingendes Stück Eisen genügten.
So ein umgebautes Fahrrad hatte in der Regel vor dem Lenker einen Schleifstein auf einer Welle. Bei einem Halt in einer Straße wurde das Hinterrad aufgebockt und ein Treibriemen über die Hinterachse geworfen. Nun musste der Schleifer nur noch durch Muskelkraft kräftig die Pedale treten. Wie alte Fotos belegen, machten sie in den 1950-er und 60-er Jahren in den Straßen mit lautem Gebimmel auf sich aufmerksam. Mit dem Ruf "Scheren schleif, Scheren schleif!" lockten sie die Kundschaft aus den Häusern.
Lange war dieser Berufszweig mit einem Negativimage belastet. Das Wort "Scherenschleifer" beschreibt umgangssprachlich einen Taugenichts, der darauf aus ist, jemand übers Ohr zu hauen.
Haßfurter belebte das Handwerk in den 1990-er Jahren
Mit der Zeit gehörten die Scherenschleifer zu einem aussterbenden Berufszweig. Sie fuhren nicht mehr jede Woche durch die Straßen der Gemeinden. Manche, die heute dieser Tätigkeit nachgehen, tun dies oft als Hobby.
Mit einem Filzhut auf den Kopf bot der Haßfurter Jörg Seinige in den 90-er Jahren jeweils am Freitag alle 14 Tage seine Dienste öffentlich an. Sein fester Standort war in der Florian-Passage gegenüber der Ritterkapelle. Er legte Wert darauf, noch die alte Schleifmethode im Wasserbad anzuwenden.
Bei einem Landkreisfest in Haßfurt gehörte er 1998 zu den Akteuren, die bei Groß und Klein Aufmerksamkeit erzielten. Zuerst schärfte der Haßfurter nur für seinen Bekanntenkreis. Mit der Zeit wurden seine Aufträge größer, sodass er schließlich ein Gewerbe anmeldete. Die Qualität seiner Arbeit führte dazu, dass sich sein Kundenkreis vergrößerte. Besonders Gastronomen suchten ihn häufig auf.
Messer teils zu scharf für das Küchenpersonal
Jörg Seiniges Tätigkeitsbereich erstreckte sich von Bamberg bis Schweinfurt und von Hofheim bis Gerolzhofen. Später ersetzte er seinen großen, fußbetriebenen Schleifbock durch ein elektrisches Gerät mit austauschbaren Schleifscheiben. Damit konnten er auch Messer mit Wellenschliff, Scheren oder Gartenwerkzeuge schärfen.
Manchen Gastronomen wünschten, die Schneidwerkzeuge nicht ganz so scharf zu schleifen, da es wegen Schnittverletzungen beim Küchenpersonal immer wieder zu Ausfällen kam. Heute schärft Seinige nur noch für den Eigenbedarf. Die Akzeptanz für Dienstleistungen an der Haustür ist ein Stück weit dem Onlineshopping zum Opfer gefallen. In normalen Haushalten werden stumpf gewordene Messer oder Scheren kaum mehr nachgeschärft. Spezielle Messer müssen eingeschickt werden. Billige Bestecke werden oft weggeworfen. In der Regel wird eine Neuanschaffung bevorzugt.
Auch das Reparaturcafé in Hofheim setzt auf das Schleifen
Der Elektromeister Theophil Giebfried hat 2018 in Hofheim ein Reparaturcafé ins Leben gerufen. Er wollte der sogenannten Wegwerfgesellschaft etwas entgegensetzen. 2019 gastierte der Scherenschleifer Wilhelm Blum – Spross einer Sinti-Familie – im Reparaturcafé im "Haus des Gastes". Bereits mit neun Jahren stand er am Schleifbock seines Vaters. Als er sich in den späten 60-er Jahren selbständig machte, zog er viele Jahre mit einem alten Auto über die Lande. Der Schleifbock musste noch mit Muskelkraft mit dem Pedal betrieben werden.
Zeitweise ließ sich Blum in Bundorf und Goßmannsdorf nieder. Bei einem Gespräch mit dem Journalisten Alois Wohlfahrt sagte er etwas bedauernd: "Heute macht kaum einer noch die Fenster auf, wenn Du in der Ortschaft klingelst." Geworben wird heutzutage mit Wurfzetteln. Seine vom Vater erworbene Fähigkeit hat Blum mittlerweile an Sohn Renaldo weitergegeben.
Export von Schleifsteinen in die ganze Welt
In einem Reisebericht heißt es 1932: "Der Schleifstein gibt der Stadt Zeil einen besonderen Charakter, so dass man sie als die Stadt der Schleifsteine bezeichnen könnte." Auf den Werkhöfen und Lagerplätzen der kleinen und großen Firmen türmten sich die Schleifsteine, die einen Durchmesser von bis zu drei Metern hatten. Seit etwa 1905 wurde die mühselige Handarbeit durch maschinelle Bearbeitung auf Drehbänken ersetzt.
Durch die Mechanisierung der Schleifsteinproduktion konnten alle Arten und Größen von Schleifsteinen für die Landwirtschaft, das Handwerk und die Industrie gefertigt werden. Sie gingen von den Bahnhöfen in Ebelsbach und Zeil aus auf die lange Reise. Die Eisenbahn unterhielt hier eigens Verladestationen. Der Naturschleifstein des Obermains hatte in den 20-er und 30-er Jahren fast in der ganzen Welt einen ausgezeichneten Ruf. Zeiler und Ebelsbacher Firmen exportierten nach Ägypten, Australien, Griechenland, Indien und in die Türkei. Auch nach Finnland, Holland, Norwegen, Mexico, Pakistan, Skandinavien und in die Länder des osteuropäischen Festlandes wurde geliefert. Für diesen Markt ließ die Firma Ankenbrand Werbemittel mit teilweise kyrillisch geschriebenen Texten drucken. Die Ansichtskarten zeigen Bilder von diversen Werkplätzen der Firma.
Die Zeiler Firma Poellath-Winkler lieferte Schleifsteine auch zu den kubanischen Zuckerrohrplantagen von Guantanamo. Sie wurden dort für das Schärfen der Haumesser für die Ernte des Zuckerrohres benötigt. Die Adresse wurde mit den heute noch vorhandenen Schablonen auf die Frachtkisten gepinselt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde Guantanamo berühmt-berüchtigt wegen des hier von den Amerikanern errichteten Internierungslagers für Terroristen.
Weinanbau in Zeil litt unter dem Schleifstein-Boom
Die Produktion und Fertigung von Schleifsteinen hatte große Bedeutung für Zeil. Schon 1847 warb ein hiesiger Händler in einer Bamberger Zeitung: "Zeiler Schleifsteine sind billig zu haben. Wo? Sagt die Expedition dieses Blattes". Einige Zeiler Firmen verlegten sich im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf den Handel mit Schleifsteinen, die sie von den ortsansässigen Steinmetzen und Steindrehereien kauften.
Das war die Zeit, in der der traditionelle Weinanbau deutlich zurückging und die Menschen in der Steinindustrie eine lohnendere Beschäftigung fanden. Stein statt Wein war jetzt gefragt. Unter so manchem Jahrhunderte alten Weinberg wartete der begehrte Zeiler Sandstein auf den Abbau. Die entstandenen Narben werden heute gnädig vom Baumwuchs verdeckt. Als 1936 der "Wirtschaftsbund der Deutschen Schleifsteinindustrie" gegründet wurde, hatte dieser seinen Sitz in Zeil. Vorsitzender war der ehemalige Bürgermeister und Steinindustrieller Adam Kraus.
Technische Verbesserung des Schleifbocks in Zeil
Die Schleifsteinindustrie von Zeil wurde mit dem Nachbargebiet von Ebelsbach-Eltmann in den 30-er Jahren als Deutschlands bedeutendste und leistungsfähigste bezeichnet. Das Selbstbewusstsein der Firmen drückte sich auch in ihren Briefköpfen aus: Da firmierten, mit Sitz in Eltmann, die "Bayerischen Schleifsteinwerke" von Michael Ankenbrand. Die Ebelsbacher Firma Viktor Keller druckte den Zusatz auf ihren Briefbogen: "Erste und größte Schleifsteindreherei Deutschlands".
Aber nicht nur die die Steine aus dem Haßbergkreis hatten eine entsprechende Qualität, sondern auch die Ideen, wenn es um die technische Ausstattung ging: 1950 hatte der Zeiler Tüftler und Erfinder Rudolf Weigmann, den damals üblichen Schleifbock technisch verbessert. Bislang mussten die Geräte von einer zweiten Person mittels Handkurbel betrieben werden. Weigmanns Gerät wurde im Sitzen mit Füßen angetrieben, was ein bequemes Schleifen ermöglichte. Beim Aufstehen senkte sich ohne Zutun der Wasserbehälter, um den Schleifstein trocken zu stellen. Das verhinderte, dass sich der Stein einseitig abnutzte. Alte Schleifböcke erkannte man daran, dass nach längerem Gebrauch die Schleifsteine nicht mehr richtig rund waren. Seine Erfindung ließ sich der Zeiler patentieren.