„Zugabe! Zugabe!“ rufen die Menschen im Saal. Etwa 700 Augen- und Ohrenpaare sind auf die Bühne gerichtet. Applaus und Lachen nach fast jedem Satz. „Und jetzt möchte ich euch das Wort vom berühmten italienischen Heimatdichter Giovanni Trappatoni zurufen: Ich habe fertig!“ Das Publikum erhebt sich. Tisch für Tisch. Reihe für Reihe, bis alle 700 Menschen im Saal in Igersheim stehen. Fast zehn Minuten Standing Ovations. Diese Szene in einer Büttensitzung in Igersheim in Baden-Württemberg spielt sich bei Hermann Voits letztem Auftritt vor drei Jahren ab. 60 Jahre lang hat der 90-Jährige Menschen zum Lachen gebracht. Seitdem begeistert er seine Freunde und Familie nur noch als Privatunterhalter auf runden Geburtstagen. „Ja freilich würde ich weitermachen, wenn ich könnte“, sagt Voit. „Ich war so erfolgreich bei meiner Abschiedstournee, dass ich mich selber gefragt hab: Warum hörst du eigentlich auf? Aber ich hatte dann einfach keine Kraft mehr.“
Angefangen, die Menschen zu unterhalten und zum Lachen zu bringen, hat Hermann Voit mit 18 Jahren, als er an der Front und in Gefangenschaft in Russland war. Neun Jahre lang, von 1939 bis 1949, durchlebte er dort eine schwere Zeit und dennoch hatte er die Energie, die Menschen zu unterhalten, da es ihm Ablenkung und die nötige Kraft gegeben hat. Als er 1949 zurück nach Deutschland kam, hat er sein Hobby mit viel Begeisterung fortgesetzt. Er hat seine Frau Olga geheiratet und mit ihr drei Söhne bekommen, an die er das Faschingsgen vererbt habe, wie er sagt. „Er wird für mich immer ein Vorbild bleiben, trotz meiner 30-jährigen Bühnenerfahrung“, erzählt sein jüngster Sohn Wolfgang Voit stolz, der selbst als Büttenredner und Theaterspieler auftritt. Auch seine Enkel sind mittlerweile auf den Faschingsbühnen als Büttenrednerinnen und Gardemädchen aktiv.
Hermann Voit wurde engagiert auf Büttensitzungen, Vereinsfeiern, Starkbierfesten und Jubiläen von Firmen. Sein Hausflur hängt voll mit Urkunden, Dankschreiben, Bildern und in einer Glasvitrine sammelt er die schönsten Karnevalsorden. Unter anderem hängt hier eine Urkunde als ,Doktor humoris causa‘, die in ganz Deutschland in Karnevalsgesellschaften als Ehrentitel verliehen wird. Außerdem wurde ihm die höchste Auszeichnung des fränkischen Fastnachtsverbands, der „Til von Franken“, verliehen. Fast 70 Jahre lang hat er Vorträge geschrieben und wurde durch seine Paradefigur ,Das original Steigerwaldbäuerle‘ bekannt. Die Figur spielte er wechselweise nüchtern oder im scheinbar angetrunkenen Zustand, in welchem er als Requisite meist einen tönernen Maßkrug mit Cola pur im Arm hielt. Die Figur war geprägt durch eine gewisse Bauernschläue und Arbeitsscheu. Sein Kostüm hielt sich eher schlicht und bestand aus einem fränkischem „Frack“, roten Wangen und einem Hut: seiner „Melone“.
„Wenn eener‘ singt: sing‘ mit. Wenn eener‘ lacht: lach‘ mit. Wenn eener‘ trinkt: trink‘ mit. Wenn eener‘ schafft… lass na‘ schaff‘“, so lautet eine kleine Passage aus einem seiner Vorträge. „Ich war unheimlich beliebt, weil ich ein einfacher Mensch geblieben bin. Ich bin von der Bühne runter, hab mich zu meiner Frau gesetzt und war wieder nur der kleine Voits Hermann.“ Das Angebot von Künstleragenturen, sein Hobby zum Beruf zu machen, habe er abgelehnt, da er nicht von den Auftritten leben, sondern es nur zum Spaß an der Freude und als Hobby machen wollte. Und seinen Job als Fabrikarbeiter, sesshaft in Wonfurt, wollte er dafür nicht aufgeben.
Das Material für einen Vortrag denkt er sich zu 80 Prozent selbst aus, den Rest liest er in Zeitungen oder hört es von Familie und Freunden und baut alles zu einer durchschnittlich 20-minütigen Rede zusammen. „Du musstest außer Vortrag und Zugabe immer noch was in Reserve haben – im Fall dass die Leute nicht nachgeben“, erzählt er. Material gesammelt hat er ständig, bis er jedoch einen kompletten Vortrag fertig hatte, konnte es von acht Wochen bis zu zwei Jahren dauern. Neben privaten Unterhaltungsprogrammen hatte Hermann Voit auch zahlreiche Fernsehauftritte in ganz Deutschland. Den ersten 1974 beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt, danach folgten „Fastnacht in Franken“ in Lichtenfels, „Franken Helau“ in Hof und in der Stuttgarter Liederhalle. Einige Veranstaltungsorte besuchte er regelmäßig, bis zu 40 Mal insgesamt. Obwohl er die meisten Auftritte ehrenamtlich, und auch viele Sozialveranstaltungen gemacht hat, hat er sich immer wieder die Arbeit gemacht und sich die Zeit genommen, um neue Vorträge zu schreiben, damit er die Menschen zum Lachen bringen kann. „Es macht mir so viel Spaß, weil ich erstens immer erfolgreich war und zweitens, weil es ein herrliches Gefühl ist, wenn du Menschen zum Lachen bringst. Du kennst meistens keinen einzigen von den 1000 Leuten, die da im Saal sitzen und bringst es fertig, dass sie lachen über deinen Schmarrn!“
Ab und zu, bei Veranstaltungen mit Eintrittspreis, hat er eine kleine Entschädigung für seinen Zeitaufwand und andere Unkosten, wie zurückgelegte Kilometer, bekommen. Besucht hat er verschiedene Veranstaltungen im Umkreis von rund 500 Kilometern, seine Frau hat er immer mitgenommen. Einen Spickzettel hat er von Anfang an nicht gebraucht, sondern so lange gelernt, bis alles gesessen hat, denn sonst würde die Konzentration fehlen. „Meine ganze Freizeit hab ich der Familie geschenkt, und auch meinen Job musste ich deswegen nicht vernachlässigen. Meine Vorträge hab ich geschrieben und gelernt, wenn die Kinder geschlafen haben oder wenn ich alleine war.“ Auch das Lampenfieber oder Aufregung vor einem Auftritt hat er früher wie heute nicht gekannt, sondern alles mit sehr viel Ruhe gemacht. Fehler habe er immer mit Humor genommen. In seiner Glanzzeit ist er sogar, wenn er seinen roten Faden verloren hat, in einen anderen Vortrag übergesprungen, ohne dass es aufgefallen ist.
Die 50 bis 70 Auftritte im Jahr haben bis heute positive Auswirkungen auf seine Gesundheit, denn von Alzheimer oder Demenz gibt es keine Spur. „Die anderen, die zehn Jahre jünger sind, die sind alt! Ich hab ja jetzt noch Nutzen von meinem ,Gehirntraining‘. Ich bin mit über 90 Jahren noch so frisch, dass ich immer wieder neue Einfälle für meine Vorträge habe. Und das ist mein größter Lohn.“