Vor 50 Jahren rollte die Gesundheitswelle noch nicht durch das Land. So war die Auswahl an entsprechenden Kursen der Bamberger Volkshochschule (VHS) recht bescheiden. 1972 konnten sportaffine Frauen nur unter wenigen Kursen wählen: „Turnen für Frauen“, „Gymnastik für Mutter und Kind“ oder „Ausgleichsgymnastik für ältere Damen“ und „Moderne tänzerische Gymnastik“ lauteten die Themen. Zum Vergleich ein Blick in das Semesterprogramm 2022/23, das allein unter dem Stichwort „Gesundheit“ ein umfangreiches Kursangebot verschiedenster Ausrichtung auflistet. Ob Wirbelsäulengymnastik oder Pilates, Qi Gong oder Yoga, Feldenkrais oder Fitness für’s Gehirn: Für jede und jeden ist etwas Passendes dabei.
Doch blicken wir noch einmal ein halbes Jahrhundert zurück: Die VHS stand unter der Leitung des damaligen Zweiten Bürgermeisters und Kulturreferenten Franz-Josef Schleyer, das Lehrjahr war in Trimester unterteilt. Monika Kreiner-Reichmann arbeitet als Redakteurin bei einer fränkischen Zeitung, sitzt viel am Schreibtisch und laboriert an einer Gehbehinderung als Folge einer Polio-Erkrankung. „Ich wollte etwas für meine Fitness tun“, erzählt die heute 80-jährige Bambergerin. Ein Sportverein sei für sie nicht infrage gekommen. Folglich schaute sie sich das Programm der VHS an und entschied sich für den Kurs „Ausgleichsgymnastik für Frauen und Mädchen“ dienstagabends in der Hainschule.
Die Ankündigung im Programmheft der VHS hatte Monika Kreiner-Reichmann so sehr überzeugt, dass sie ihre Mutter gleich mit anmeldete: „Gymnastik ist körperlicher wie seelischer Ausgleich für alle Berufstätigen und Hausfrauen, deren Bewegungen stets nur einseitig und zweckbedingt sind. Ein geordneter Körperaufbau, der Schäden ausgleicht, eine gelöste Bewegung, machen den Menschen froh und lebensbejahend, heben sein Selbstbewusstsein und fördern die Gesundheit“, hieß es.
Den Kurs leitete Gertrud Henning, „eine Autorität in ihrem Fach und als Dozentin eine Institution bei der VHS“, erinnert sich Kreiner-Reichmann. Die Kursleiterin sei auch ausgebildete Atemtherapeutin gewesen und habe in ihren stets ausgebuchten Kursen ein liebenswürdig-strenges Regiment geführt. „Bei ihr lernten wir, richtig zu atmen, mussten Brustkorb und Lungenspitzen rhythmisch beklopfen und uns zu Beginn jeder Stunde erst einmal einpendeln, um innerlich zur Ruhe zu kommen“, so Monika Kreiner-Reichmann. Es habe wunderbar geklappt, und die Hektik des Tages war verflogen. Besonders gern denkt die zierliche Dame an die schönen Sommerabende, in denen Getrud Henning die Gymnastik auf die Wiese hinter dem Schulhaus verlegte: „Sie scherte sich nicht um versicherungstechnische Frage, wir genossen die Freiheit, ungeachtet der Stechmücken, die über uns herfielen.“
Nach dem altersbedingten Ausscheiden von Gertrud Henning übernahm Michaela Weber für kürzere Zeit den Kurs, dann kam Regina Burkard, die für 33 Jahre Kursleiterin werden sollte: „Sie mischte uns ordentlich auf mit Power und poppiger Musik, sorgte aber auch für die nötige Entspannung.“ Monika Kreiner-Reichmann blieb ohne Unterbrechung immer am gleichen Wochentag am gleichen Ort im gleichen VHS-Kurs, denn „ich hatte längst Spaß an der Sache gefunden, freute mich über jeden Fortschritt und konnte mir ein Leben ohne diese regelmäßige körperliche Betätigung nicht mehr vorstellen“. Schon die langen Sommerferien seien eine unerwünschte Pause, und sie sei froh, wenn es bei der VHS endlich wieder losgeht.
Obwohl sie jeden Morgen zu Hause einige Übungen absolviert. Bei schönem Wetter auf dem Balkon, sonst bringt sie drinnen „Druck und Zug auf die Knochen“, lacht Kreiner-Reichmann, „man bekommt ein Körpergefühl“. Und sie hütet ihre Schaumgummi-Matte mit waschbarem Überzug noch aus der Anfangszeit: „Die benutze ich heute noch!“
Inzwischen haben auch Männer in diesen Kurs mit Schwerpunkt Wirbelsäulengymnastik gefunden. Manche auf ärztliches Anraten, andere vorbeugend. Mit der Zeit bildete sich unter den Kursteilnehmern ein harter Kern heraus: „Es entstanden persönliche Kontakte und Freundschaften, und wir feiern gemeinsam den Semesterschluss“, freut sich Monika Kreiner-Reichmann, die nun „Dienstälteste“ in diesem VHS-Kurs ist. „Ich hoffe, dass ich noch ein Weilchen durchhalte, denn ich will weitermachen.“ Christine Gehrig heißt die nunmehr vierte Kursleiterin, die sie jetzt erlebt: Am Montag,26. September, statt bisher dienstags startete in der Turnhalle der Hainschule das Fitnessprogramm. „Das wird spannend, weil ich mich wieder auf Neues einstellen muss“, meint Kreiner-Reichmann. Aber sie werde dazulernen, so wie sie von allen Leiterinnen, so unterschiedlich sie auch gewesen seien, profitiert habe und Wertvolles mit hineinnehmen konnte in ihren Lebensalltag.