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HOFHEIM
40 Jahre Drogenhilfe: Der dauernde Kampf gegen die Sucht
Alois Wohlfahrt
 und  Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:02 Uhr

In vier Jahrzehnten ist die „Drogenhilfe Tübingen“ in der Region zu einem festen und anerkannten Begriff geworden. Mit ihrem ersten Standort auf der Bettenburg bei Manau und seit Jahren nun auch im Schloss Eichelsdorf.

Frage: Was immer noch verwundert: Wie kam eine Institution aus Tübingen auf den Standort Haßberge?

Robert Soto-Löwenthal: Als vor 40 Jahren (im Jahr 1977) die erste Einrichtung in Tübingen, der damalige „Klosterhof“, zu voll wurde, machte sich mein Vorgänger auf die Suche nach geeigneten Räumen und wurde auf der Bettenburg fündig. Es ist dem Maximilian Freiherr Truchseß von Wetzhausen zu danken, dass er sich traute, einen so „heiklen“ Mieter aufzunehmen. Die Drogenhilfe Tübingen e. V. als Vorreiter in der Behandlung Drogenabhängiger, ging im Jahr 2007 in dem BWLV (Badenwürttembergischen Landesverband für Prävention und Rehabilitation gGmbH) auf. Trotzdem sind wir in den Haßbergen immer noch als Drogenhilfe Tübingen bekannt und akzeptiert. Das rührt uns sehr und wir können uns nicht genug bedanken für die nunmehr 40-jährige Gastfreundschaft, die wir erfahren durften.

Eine Einrichtung der Drogenhilfe auf dem flachen Land: Wie sehr waren Sie oder Ihre Vorgänger mit Ressentiments konfrontiert?

Soto-Löwenthal: Anfängliche Vorbehalte – laut einigen Berichten hat sich der erste Leiter bereit erklären müssen, auf der Bettenburg zu übernachten – haben sich bald in Gastfreundschaft und freundliche Nachbarschaft gewandelt. Die auf der Bettenburg jährlich stattfindenden Sommerfeste, in Eichelsdorf veranstalten wir die Sommerfeste alle zwei Jahre, waren und sind immer gut besucht. Es gibt da von beiden Seiten keine Berührungsängste.

Worauf kommt es am meisten an, um eine Drogenhilfeeinrichtung vor Ort bei der Bevölkerung zu etablieren und für ein gutes Miteinander zu sorgen?

Soto-Löwenthal: Wir sind jederzeit offen und gesprächsbereit. Das hat uns geholfen, Vertrauen zu gewinnen und Missverständnisse oder eventuelle Konflikte aus dem Weg zu räumen.

Können Sie sich noch erinnern, mit welchen Arten von Drogen sie zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn konfrontiert waren?

Soto-Löwenthal: Ich bin seit zehn Jahren Leiter der Fachklinik Schloss Eichelsdorf beziehungsweise zuvor des Therapiezentrums Schloss Bettenburg. In Kolumbien geboren, aufgewachsen in Hamburg und nach dem Abitur und dem Wehrdienst habe ich in Bamberg zunächst Betriebswirtschaftslehre, später Psychologie studiert. Bis dahin hatte ich keinerlei Kontakt zu irgendwelchen Drogen. Als ich in der Fachklinik Furth im Wald mit der Behandlung von Alkoholikern betraut wurde, lernte ich sehr schnell, dass Sucht ein Phänomen ist, das jeden treffen kann. Nach einigen Jahren zog ich nach Köln. Dort spezialisierte ich mich auf die Behandlung von Drogenabhängigen mit einer psychotischen Erkrankung, in der Klinik am Waldsee, den sogenannten Doppeldiagnosen. Die Erfahrungen, die ich dort erwarb, konnte ich wunderbar hier einsetzen. Neue Drogen und Substanzen verursachen vermehrt solche Doppeldiagnosen. Deren Behandlung ist nicht trivial und erfordert Fingerspitzengefühl.

Mein Team (Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Arbeitstherapeuten, Sport- und Freizeittherapeuten, Verwaltung, Hauswirtschaft, Hausmeister und als neues Mitglied: Therapiehund Rolly) hat dieses Fingerspitzengefühl und wir können uns mit Recht als die besten in der Behandlung von Doppeldiagnosen in Deutschland bezeichnen.

Seitdem gab es die „Wellen“ der verschiedensten Drogen. Was sehen Sie in den zurückliegenden Jahren als die markanteste Veränderung in diesem Bereich an?

Soto-Löwenthal: Als wir 2010 nach Eichelsdorf gezogen sind, auf Einladung der Schwestern, zu denen wir immer noch guten Kontakt pflegen, waren die Hauptdrogen, mit denen unsere Klienten zu tun hatten, Heroin und Cannabis. Vereinzelt Kokain und Amphetamin. Im Laufe der Zeit änderte sich das Konsummuster in Richtung Amphetamin beziehungsweise Methamphetamin, das sogenannte Cristal, und den sehr gefährlichen Kräutermischungen.

Wie hat sich die Zahl der Klienten in den vergangenen Jahren entwickelt?

Soto-Löwenthal: Auf der Bettenburg hatten wir im Durchschnitt etwa 50 Klienten, in Eichelsdorf sind es 55 bis 60. Die Anzahl ist nicht groß gestiegen, das war auch der Plan. Wir wollten klein und familiär bleiben.

Was hat der Umzug von der Burg nach Schloss Eichelsdorf für Ihre Einrichtung bedeutet?

Soto-Löwenthal: Auf der Burg hatte es uns sehr gefallen. Leider wurde die Burg zu klein und die Erfordernisse der Rentenversicherungen wurden höhergeschraubt. Zum Beispiel fordert die DRV ausreichend Einzelzimmer, die wir auf der Burg nicht anbieten konnten. Ansonsten konnten wir im Kloster unsere Arbeit nahtlos fortsetzen. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit fühlten wir uns in Eichelsdorf sehr wohl. Wir genießen den Platz, den Garten und die Möglichkeiten, die wir als Eigentümer jetzt haben.

Wirtschaftliche Zwänge des Gesundheitssystems haben längst auch Einrichtungen wie die Ihre erreicht. Wo sehen Sie derzeit die größten Probleme?

Soto-Löwenthal: Generell haben wir die Probleme, die Krankenhäuser auch haben. Kosten steigen schneller als die Pflegesätze. Diese Schere, die sich mehr und mehr öffnet, haben schon einige Einrichtungen zum Aufgeben gezwungen. Bis jetzt haben wir aber immer wieder einen Weg aus diesem Dilemma gefunden.

Wenn Sie ein Wort in der Drogenpolitik mitreden könnten, was wäre für Sie eine vordringlichste Aufgabe?

Soto-Löwenthal: Schwer zu sagen. Wenn es ein Patentrezept gäbe, wäre das Ganze einfacher. Ich würde trotzdem versuchen, die Kriminalisierung von vielen Drogenkonsumenten zu stoppen und das ersparte Geld in der Prävention und Behandlung ausgeben. Eine vorsichtige Öffnung wäre ein erster Schritt.

Was halten Sie von der immer wieder aufkommenden politischen Debatte um eine mögliche Lockerung des Konsumverbots von sogenannten soften Drogen, wie Marihuana?

Soto-Löwenthal: In einem anderen Interview sagte ich vor drei Jahren bereits, dass der Staat die Drogenpolitik umkrempeln müsste: Entkriminalisieren von Cannabis, Cannabis dem Tabak und Alkohol gleich stellen, die Hilfesysteme durch Tabak-, Alkohol- und Cannabis-Steuer entlasten, Aufklärung erhöhen, mehr Hilfe zum Ausstieg anbieten.

Die Zahl der Klienten, die rückfällig werden, ist hoch. Wo nehmen Sie und Ihre Mitarbeiter die Motivation her, immer wieder weiterzuarbeiten?

Soto-Löwenthal: Die Zahl derjenigen, die es schaffen, den teuflischen Kreislauf zu durchbrechen, ist nicht zu unterschätzen. Vor jedem, der es mit seiner eigenen Sucht aufnimmt, muss man den Hut ziehen. Immer wieder erreichen uns Grüße von Ehemaligen, die es geschafft haben, oder die wieder aufgestanden sind, nachdem sie hingefallen sind. Bei den jährlichen Ehemaligentreffen, aber auch über Facebook und Twitter berichten uns Ehemalige stolz von ihrem neuen Leben. Unlängst präsentierte uns ein junger Ehemaliger seine Meisterurkunde als Industriemechaniker.

Er lernt jetzt Bungee-Jumping und Fallschirmspringen. Auf diese Weise holt er sich jetzt seinen Kick, erzählte er uns stolz. Ein wenig stolz waren wir da auch . . .

 
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