
Kann die SPD die Bundestagswahl noch gewinnen? "Ich bin Fußballer", sagt Bernhard Ruß und schmunzelt: "Da lernst du, niemals aufgegeben, selbst, wenn du zur Halbzeit 0:3 zurückliegst." Der langjährige Bürgermeister von Sand am Main trifft die Stimmung der Genossinnen und Genossen an diesem Nachmittag gut. Der SPD-Unterbezirk Rhön/Haßberge hat zum Neujahrsempfang auf Schloss Oberschwappach (Lkr. Haßberge) geladen - mit Rolf Mützenich, dem SPD-Fraktionschef im Bundestag als prominenten Redner.
Mützenichs Job an diesem Nachmittag ist es, trotz der schlechten Umfragewerte für Olaf Scholz und Co. an der Basis Aufbruchstimmung zu vermitteln. Knapp 120 Frauen und Männer sind gekommen, die meisten schon etwas älteren Semesters. Es gibt Kaffee, Kuchen, belegte Brötchen und ein Fass Bier - spendiert von Stefan Paulus. Der parteilose Bürgermeister von Knetzgau sagt, er tue auf diesem Wege Buße, weil er als Zehnjähriger mal ein SPD-Plakat abgerissen habe, um damit Schiffchen zu basteln. Mützenich wird das Fass später anzapfen.
Sabine Dittmar hat noch einiges vor
Die Stimmung ist jedenfalls gut, als zunächst Sabine Dittmar am Rednerpult steht. Die Staatssekretärin im Gesundheitsministerium erwähnt ihre jüngsten Erfolge in Berlin - von der Krankenhausreform bis zur Einführung der elektronischen Patientenakte. Sie habe Lust darauf, so sagt sie, in Berlin mit Gesundheitspolitik weiterzumachen. Die Benachteiligung von Kassenpatienten, wenn es um zeitnahe Facharzttermine geht, die müsse aufhören, kündigt die Direktkandidatin im Wahlkreis Bad Kissingen ihr nächstes Projekt an. Applaus ist Dittmar da sicher.
Rolf Mützenich ist kein politischer Marktschreier, selbst Kritik an den Mitbewerbern adressiert er eher leise. 30 Minuten lang skizziert er SPD-Forderungen von der auskömmlichen Rente bis zum Tariftreuegesetz, vom Deutschlandfonds, der nicht zuletzt der gebeutelten Industrie in Main-Rhön wieder auf die Beine helfen soll. Und er verteidigt Olaf Scholz, der mit Blick auf den Krieg in der Ukraine nicht nur auf Waffenhilfe setze, "sondern auch auf Diplomatie". Gleichwohl sei Deutschland der größte Unterstützer der Ukraine in Europa.

Der Kanzler sei der Mann, "der dieses Land mit seiner Erfahrung, seiner Kompetenz und Integrität in diesen ernsten Zeiten am besten führt". Stärken, die sich auch im Umgang mit Donald Trump zeigten. Scholz habe dem US-Präsidenten nach der Ansage, Grönland und den Panama-Kanal annektieren zu wollen, die Stirn geboten, während CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sich dem US-Präsidenten als "Dealmaker" angeboten habe. Seriös sei das nicht. Mützenich: "Ich bin mir sicher, dass der Zuspruch für Olaf Scholz bis zum 23. Februar noch wachsen wird."
Mützenich: "Die AfD will unser Land auf einen falschen Weg führen"
Ein paar Spitzen richtet der 65-jährige Rheinländer gegen die FDP, die schon lange einen "schnöden Regierungsbruch" geplant habe. Die SPD sei "bis zur Grenze der Selbstverleugnung" bereit gewesen, Kompromisse zu schließen, um das Land voranzubringen, "doch die FDP wollte nicht mehr". Leidtragende seien Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie künftige Rentnerinnen und Rentner. Gesetze, von denen diese profitiert hätten, seien liegengeblieben.
Klare Kante zeigt Mützenich in Sachen AfD: Er hätte sich einen "größeren Aufschrei gewünscht", als Rechtsaußen Björn Höcke forderte, Kinder mit Behinderungen nicht mehr an Regelschulen zu unterrichten. "Wer wird als nächstes ausgegrenzt? Ältere und Kranke?", fragt Mützenich rhetorisch. Die AfD aus Protest zu wählen, "weil man von anderen Parteien enttäuscht ist", das kann der SPD-Fraktionschef nicht verstehen: "Die AfD will unser Land auf einen falschen Weg führen."
Ob die SPD und Scholz gewinnen? "Da sage ich lieber nichts"
Und die SPD? Wie ist das nun mit der Aufholjagd? "Ich bin zuversichtlich", sagt Rita Rösch, die Vorsitzende des Ortsvereins Bad Neustadt. Gerhard Schröder habe 2005 auch einen großen Rückstand aufgeholt. Die SPD habe "viel Gutes" in der Ampel-Regierung erreicht, etwa beim Mindestlohn oder im Gesundheitswesen. Leider hätten die "ständigen Streitigkeiten" dies alles verdeckt, so Rösch.
Rainer Krumschmidt aus Sylbach (Lkr. Haßberge) macht der Rechtsruck Sorgen. Er fühlt sich durch Mützenichs Rede ermutigt, "weiter dagegen anzukämpfen". Ob die SPD und Scholz aber gewinnen? "Da sage ich lieber nichts." Irene Jungnickl, Stadträtin aus Ebern, glaubt nicht mehr an einen Wahlsieg von Scholz und Co. "Das ist doch unrealistisch", sagt sie. Sie mache gleichwohl Wahlkampf für ein gutes Ergebnis. Eine erneute schwarz-rote Koalition findet sie auch "ganz okay".
Und Fußballer Ruß? Kann aus dem 0:3 zur Pause noch ein 4:3 in der Nachspielzeit werden? "Versuchen muss man es. Aufgeben gilt nicht."
Damit, dass man gegen den Willen der eigenen Wähler arbeitet ?
https://www.tagesspiegel.de/politik/trotz-kritik-von-scholz-kritik-mehrheit-der-spd-wahler-unterstutzt-laut-umfrage-merz-asyl-stopp-13091047.html