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VEITSHÖCHHEIM
"Wir leben in unsicheren Zeiten"
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 16.11.2015 16:07 Uhr

Veitshöchheim ist Schaltzentrale: Von der Balthasar-Neumann-Kaserne aus werden im Jahr 2015 alle Auslandseinsätze der Bundeswehr koordiniert. Das Kommando für den Leitverband hat Generalmajor Bernd Schütt. Wegen der Krisen auf der ganzen Welt sieht er große Herausforderungen auf die Bundeswehr zukommen.

Frage: Ukraine, Nahost, Afrika – Krisen gibt es auf der Welt derzeit viele. Man hört immer, wie Politiker, Experten oder Medien die globale Lage bewerten. Wie bewertet sie ein Soldat?

Bernd Schütt: Wir leben in einer sehr bewegten Zeit, die durch große Unsicherheiten gekennzeichnet ist. Und sie macht deutlich, dass die Aufgaben für das Militär, so wie wir sie kennen, auf absehbare Zeit Bestand haben werden. Wir stellen uns darauf ein, weiterhin in Einsätzen weltweit massiv gefordert zu sein.

Von welcher Region oder von welchem Konflikt geht im Moment die größte Gefahr aus?

Schütt: Das hängt von der Perspektive ab: die Gefahr für den Weltfrieden, die Gefahr für die Sicherheit der Bürger einer Region oder die Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik. Eine übergreifende Gefahr ist die des internationalen Terrorismus. Dazu gehören die Grausamkeiten des Islamischen Staats und die Möglichkeit, dass diese ausstrahlen – auch nach Europa und Deutschland. Nach meiner Bewertung besteht eine weitere bedeutsame Gefahr darin, dass sich das Verhältnis zwischen Russland und der westlichen Welt in die falsche Richtung entwickelt. Das ist von besonderer Bedeutung für Europa, auch unter dem Gesichtspunkt, dass Grenzen unverletzbar bleiben müssen.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Diskussion um mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine?

Schütt: Das halte ich in der gegenwärtigen Lage für keine gute Idee. Hier geht es jetzt erst einmal darum, den Konflikt einzugrenzen und politische Lösungen zu finden. Da sind Waffenlieferungen im Moment nicht das erste Mittel der Wahl. Ich bin davon überzeugt, dass man zunächst den Weg der Diplomatie versuchen sollte, bevor man Waffen liefert.

Die Division ist 2015 der Leitverband für die Auslandseinsätze des Heeres. Heißt das, dass sie personell den Hauptanteil der Einsätze zu stemmen hat?

Schütt: Für den Bereich des Heeres ist das richtig. Gegenwärtig hat die Bundeswehr rund 2600 Soldaten weltweit im Einsatz. Das Heer stellt rund 600 und dafür sind wir als die Leitdivision zuständig. Das heißt, wir sind für die Aufstellung dieser Einsatzverbände, für die Ausbildung, das Herstellen der Verlegebereitschaft, ebenso wie für die Einsatznachbereitung verantwortlich. Dies trifft derzeit auf zehn internationale Einsätze, die mit Heeresbeteiligung erfolgen, zu.

Sie waren mehrfach in Afghanistan im Einsatz, jetzt endet die Mission. War sie ein Erfolg?

Schütt: Aus drei eigenen Einsätzen zwischen 2006 und 2014 weiß ich, wo wir noch vor einigen Jahren standen und wo wir heute stehen. Und da ist vieles erreicht worden. Das beste Beispiel ist, dass die Afghanen auch während der Wahlen des letzten Jahres in der Lage waren, die Verantwortung für ihre Sicherheit im Land alleine zu tragen. Insofern bewerte ich die Mission als Erfolg. Dass in Afghanistan aber noch viel zu tun bleibt, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Staatenbildung und einer Verstetigung der Entwicklung, ist für mich ebenso unstrittig. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch über viele Jahre hinweg Unterstützung für Afghanistan leisten müssen.

Wie hoch ist die Gefahr, dass man das Erreichte in den nächsten Jahren wieder verliert?

Schütt: Das ist von vielen Faktoren abhängig, viele davon sind auch auf der zivilen, der politischen und der wirtschaftlichen Seite zu suchen. Es wird insbesondere darauf ankommen, jetzt abschließend eine handlungsfähige Regierung zu bilden und die wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu halten. Außerdem muss die internationale Unterstützung weiter fortgesetzt werden. Hier besteht aus meiner Sicht die potenzielle Gefahr, dass Afghanistan aufgrund der neuen großen Krisen in den Hintergrund gerät.

Eine andere große Krise ist der IS-Terror. Die Verteidigungsministerin wünscht sich eine noch aktivere deutsche Außenpolitik. Heißt das, dass sich die Bundeswehr noch stärker engagieren wird, mit noch mehr Peschmerga-Ausbildern oder sogar eigenen Truppen?

Schütt: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Wir müssen da unseren Beitrag leisten – unserer Größe und unserer Fähigkeiten entsprechend. Mit weltweit 16 Einsätzen leisten wir schon eine ganze Menge. Pauschal zu sagen, wir übernehmen immer Verantwortung, wäre die falsche Botschaft. Es geht darum, unter Abwägung der Notwendigkeiten im Einsatzgebiet, unserer eigenen Interessenlage und den zivilen wie militärischen Fähigkeiten den jeweiligen Beitrag politisch zu bestimmen. Wenn wir auf den Irak schauen, sind wir gut aufgestellt: Wir koordinieren mit 100 Mann im Nordirak die Ausbildung der Peschmerga. Das ist nicht signifikant im Bezug auf die Zahlen, sehr wohl aber in Bezug auf Fähigkeiten und Bedarf vor Ort.

Stehen die vielen Herausforderungen der Bundeswehr im Widerspruch zu ihrer Ausrüstung? Zuletzt gab es Berichte über die schlechte Ausstattung der Truppe.

Schütt: Da müssen wir differenzieren. Es war erklärte Absicht, dass wir unseren Beitrag zur Friedensdividende nach dem Kalten Krieg leisten. Zu Recht: Es gab die Hoffnung, dass große Konflikte der Vergangenheit angehören. Doch dann sind wir sehr schnell vom Krieg auf dem Balkan eingeholt worden, dann kamen Terrorismus und Afghanistan. Das hat dazu geführt, dass wir als Bundeswehr kleiner geworden sind und wir uns gleichzeitig auf die Auslandseinsätze vorbereiten mussten. Dafür wurde die Ausrüstung angepasst. Wir haben jetzt einen Sachstand erreicht, der es ermöglicht, die gegenwärtigen Einsätze der Bedrohungslage entsprechend zu alimentieren und angemessen dafür auszubilden. Aber wir haben uns von der Vollausstattung verabschiedet. Die Herausforderung besteht darin, dass die Halbwertszeiten der sicherheitspolitischen Lage immer kürzer werden und wir darauf flexibel reagieren müssen. Das heißt, wir brauchen Verfahren, die es ermöglichen, schneller Material zu beschaffen, und wir werden einen Verteidigungshaushalt benötigen, der das zulässt.

 
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