Thomas Bach ist zwar gelernter Fechter. Aber seit er an Christi Himmelfahrt verkündete, dass er IOC-Präsident werden will, ist seine Körpersprache eher die eines Boxers: Die Arme angewinkelt, beide Fäuste geballt, eine Schulter vorgestreckt: ein Favorit, der nur darauf wartet, wer sich ihm als Gegner in den Weg stellt.
Die Pose ist neu für den Mann, der seit 20 Jahren zäh und ehrgeizig auf dem Weg zum Gipfel des internationalen Sports ist – bisher aber eher im Stillen seine Fäden spann und im Zweifelsfall lieber im Ungefähren blieb, als sich festnageln zu lassen: Ein Fechter auf der Funktionärs-Plange, der still sondiert, fintiert, zusticht – und wieder weg ist, ehe der Gegner reagieren kann. Manche Weggefährten aus Fechtertagen spotten (nicht ohne Anerkennung), Bachs Arbeitsstil erinnere an ein geflügeltes Wort des französischen Staatsmannes Talleyrand: Ein Diplomat, der „ja“ sagt, meint „vielleicht“, der „vielleicht“ sagt, meint „nein“ und der, der „nein“ sagt, ist kein Diplomat.
Seltsam verdruckst lud Bach (59) nicht zur Pressekonferenz zur Bekanntgabe der Kandidatur, sondern kündigte an: „Man wird ein Statement betreffend des Prozederes der Wahl eines neuen IOC-Präsidenten abgeben“. Da fiel das Wörtchen „man“ ungewöhnlich häufig: „Man kandidiert, um dann auch erfolgreich zu sein“, sagte er. „Als Sportler liebt man Wettkampfsituationen“, oder: „Man ist jetzt auf dem Weg in die Vorbereitung, ins Trainingslager.“ Warum „man“ statt „ich“: Geht da einer vorsichtshalber auf eine gewisse Distanz zu sich selbst? Vielleicht ist dies ein Nebeneffekt des vorsichtigen Sprosse-um-Sprosse-Erkletterns der Karriereleiter. Bach war Olympiasieger, Athletensprecher und Funktionär auf vielen Ebenen, der ehrgeizig auf die Erfüllung seines Lebenstraumes hingearbeitet hat. Er hat in Würzburg studiert, mit einer Doktorarbeit zum Thema „Der Einfluss von Prognosen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“.
Bach ist FDP-Mitglied, bleibt aber auch da im Hintergrund. Für ihn spricht seine Erfahrung und das in Jahrzehnten geknüpfte Netzwerk aus Bekanntschaften und Gefälligkeiten, der ruhige Umgangston selbst in Krisenzeiten und sein Verhandlungsgeschick. Doch nun wird auch genau darauf geschaut, was er an Grundlagen der Funktionärsarbeit ausgerechnet in den ersten zwei Jahren bei Adidas-Chef Horst Dassler gelernt hat – von dem man heute weiß, dass er im weltweiten Sport skrupellos Einfluss nahm mit einem System aus Korruption. Von Geschäften mit der Sportmarketingfirma ISL, die mindestens 142 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld an höchste Sportfunktionäre des Weltfußball-Verbands FIFA, im IOC und anderen Verbänden zahlte, hat Bach, wie er sagt, nie etwas mitbekommen.
Offiziell wird gejubelt, seit der Wirtschaftsanwalt aus Tauberbischofsheim mit guten Kontakten in die deutsche Politik und Großindustrie (Holzmann/Siemens) wie auch in die arabische Welt seine Absicht bekundete, sich zum Oberolympier krönen zu lassen. Hätte nur noch gefehlt, dass eine für ihre Bilder bekannte Zeitung gedichtet hätte „Wir sind Olympia“. Im Kielwasser seiner Bewerbung wird nun fleißig die Erwartung genährt: Wenn Bach erst einmal auf dem Thron in Lausanne sitzt, wird es endlich wieder was mit Olympischen Spielen in Deutschland.
Dabei wäre dies das falsche Signal an die Welt, dass die Kungelei im Sumpf von Eitelkeit und Bestechlichkeit an der Spitze des Weltsports weitergeht. Aber die Erwartung speist sich aus der Enttäuschung aus vier erfolglosen Bewerbungen um Olympische Spiele für Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012 und zuletzt das blamable Scheitern von München im Rennen um die Winterspiele 2018 – trotz Bachs Bemühungen als Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Kritiker bemängeln, dass im Kampf gegen Doping und Wett-Manipulationen starken Worten zu wenig Taten folgten – und Multifunktionär Bach zwar sein Ehrenamt zu vereinbaren wusste mit der Tätigkeit als Türöffner bei Geschäften im arabischen Raum. Das war für ihn Ausdruck der „vielfältigen Lebenssachverhalte“. Doch aktiven Sportlern schrieb er vor den Spielen in London ins Stammbuch: „Wenn einer den Leistungssport mit dem Ziel beginnt, durch einen Olympiasieg ausgesorgt zu haben, würde ich ihm eher empfehlen, zur Lotto-Annahmestelle zu gehen.“ Das hat ihm keine neuen Freunde gebracht.
Ein Trauma schleppt der frühere Weltklasse-Fechter ein Leben lang mit sich herum: die Ohnmacht des Olympiers vor der Politik. Vergeblich flehte 1980 der Athletensprecher Bach Bundeskanzler Helmut Schmidt an, sich nicht am Boykott in Moskau zu beteiligen. Schmidt habe die Argumente der Athleten „abgebügelt in einer Art und Weise, die hart an der Grenze des Erträglichen war“, erinnerte sich Bach immer wieder.
In Stockholm hielt Thomas Bach beim 13. Olympischen Kongress 2009 eine viel diskutierte Rede zur Zukunft der Olympischen Bewegung. Da warb er für ein Internationales Olympisches Komitee, das „nicht apolitisch, aber politisch neutral“ ist. Zur Überraschung der alten Kungler entwarf Bach dabei ein Modell von der Olympischen Bewegung der Zukunft: autonom, unabhängig, kompetent, den eigenen Werten verpflichtet – aber illusionslos, dass man diese Ziele nur durch Partnerschaften mit Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft erreichen kann.
Bach hat die Kopenhagener Rede jetzt als Wahlprogramm seiner Bewerbung beigelegt, deshalb ist es bezeichnend, die damaligen Reaktionen im IOC auf seinen Vorschlag zu kennen: Höfliche Gratulation für den Grundsatzbeitrag, aber keine Mehrheit. Unter der etwas wolkigen Formulierung „Einheit in Vielfalt“ will Bach vieles aus diesen Vorstellungen jetzt umsetzen, um das IOC zukunftsfähig zu machen: Null-Toleranz-Politik im Anti-Doping-Kampf, Modernisierung des Olympia-Programms, Reform der Jugendspiele und Eindämmung des Gigantismus stehen auf dem ehrgeizigen Fahrplan.
Da ist es vielleicht nicht das beste Omen, dass als einer der ersten der bestechend ehrliche FIFA-Chef Sepp Blatter die Kandidatur Bachs lobte: „Man muss Courage haben, sich in einem Wahlkampf als Erster darzustellen. Das finde ich gut.“