Der Wertheimer Autor Wolf Wiechert hat sich an ein Glanzstück mittelalterlicher Literatur gewagt. Er hat Wolfram von Eschenbachs Versepos „Parzival“, das auch Bezüge zur Region aufweist, für die heutige Zeit bearbeitet.
Viele Schüler und manche Germanistik-Studenten sind schon an den rund 25 000 mittelhochdeutschen Paarreimen des Romans um die beiden Ritter-Protagonisten Parzival und Gawan verzweifelt. Die Schriftsteller Friedrich de la Motte Fouqué, Adolf Muschg, Peter Handke oder Tankred Dorst haben sich dem Stoff aus der Artus-Epik mit eigenen Bearbeitungen gewidmet. Richard Wagners Musikdrama „Parsifal“ soll 2016 von Skandal-Regisseur Jonathan Meese bei den Bayreuther Festspielen neu inszeniert werden. Wolf Wiechert, der in der Vergangenheit mit mehreren Bänden eigener Lyrik und zuletzt dem Roman „Der Kaktus“ literarische Aufmerksamkeit auf sich zog, hat mit seiner Parzival-Bearbeitung nun einen völlig neuartigen, literarischen Weg beschritten.
Die resultiert aus der Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für deutsche Philologie von Professor Joachim Hamm von der Universität Würzburg. Von dort richtete man an Wiechert die Anfrage, das mittelhochdeutsche Epos in zeitgemäße Prosa zu übertragen, um es damit auch für den modernen Leser und den Deutschunterricht zu erschließen. Zugleich sollte das Buch aber auch an den Originaltext heranführen, dem in der europäischen Literaturgeschichte eine einzigartige Bedeutung zukommt.
Der Autor kürzte den umfangreichen, vielschichtigen Stoff auf etwa ein Drittel. In Zusammenarbeit mit der Würzburger Arbeitsgruppe wurden 20 Schlüsselstellen ausgewählt und im Original in die Nacherzählung eingefügt. Das fortlaufende Verständnis wird durch eine Übersetzung ins Neuhochdeutsche gewährleistet. In dieser „Hybridform“ wird der Stoff für breite Leserkreise handhabbar, vermittelt aber zugleich die Form und den sprachlichen Duktus des zwischen 1200 und 1210 entstanden Originals von Wolfram von Eschenbach. Ein Glossar erläutert die verwendeten Leitbegriffe höfischer Kultur, ein Namensverzeichnis fördert die Verständlichkeit und der Abdruck kolorierter Federzeichnungen aus einer Handschrift aus der Hagenauer Werkstatt von Diebold Laubers (1443-1446) runden Wiecherts Bearbeitung ab.
Worin lag aber das besondere Interesse Wiecherts, sich ein Jahr lang intensiv mit diesem komplexen Stoff auseinanderzusetzen? Der frühere Deutschlehrer am Wertheimer Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium habe es schon immer bedauert, dass es nur wenig Bewusstsein dafür gebe, dass dieser literarisch so bedeutsame Stoff enge Bezüge zu seiner näheren Heimat habe, sagt er. Schließlich liefert Wolfram von Eschenbach, dessen Geburt im mittelfränkischen Wolframs-Eschenbach um das Jahr 1160 bis 1180 nicht einmal exakt belegbar ist, im Parzival den Beleg, dass er als Ministeriale (Beamter) im Dienst des Grafen von Wertheim, vermutlich von Poppo I. (ca. 1147-1212), stand. Die Gralsburg wird im Reimepos wegen ihrer Größe in Bezug zur Burg Wildenberg bei Kirchzell gesetzt, die den Herren von Dürn gehörte. Dort soll ein Teil des Parzivals auch geschrieben worden sein.
Im Gespräch über sein Buch stellt Wolf Wiechert weiterhin klar: „Der sprunghafte, assoziative Stil Wolfram von Eschenbachs kommt in seiner anschaulichen Bildhaftigkeit meinem eigenen Schreibstil entgegen. Dies war eine günstige Voraussetzung, um den Parzival aus dem Elfenbeinturm der Germanistik zu befreien.“
Warum ihm das notwendig scheine, darauf antwortet der Wertheimer Autor: „Obwohl der Stoff schon 800 Jahre alt ist, steht er trotzdem für ganz aktuelle Dinge. Parzival ist kein strahlender Held, eher ein gebrochener Charakter. Für ihn stellt sich in der Grenzsituation beispielsweise die Frage des Überschreitens ritterlicher Konvention und die Notwendigkeit der Empathie, des Mitfühlens, der Entscheidung mit dem Herzen.“
Das sei ein Konflikt, der sich noch heute genauso stellen könne, wenn man Grenzen überwinden müsse, um anderen beizustehen. Außerdem sei die Geschichte einfach reich an Action, gerade das Richtige für Mittelalter- und Ritterspiele-Fans.
Das Buch: Parzival, nach Wolfram von Eschenbach neu erzählt, mit Auszügen aus dem mittelhochdeutschen Roman; von Wolf Wiechert, in Zusammenarbeit mit Joachim Hamm und Bertram Söller, unter Mitwirkung von Hartmut Beck, Catrinel Berindei, Christian Buhr, Christiane Klein und Christopher Köhler; Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2013; 200 Seiten, Preis 14,40 Euro.