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WÜRZBURG
Wenn Zwang das Leben bestimmt
Reinigungszwang: Übertriebenes Händewaschen kann auf eine ernsthafte Störung hinweisen.
Foto: Thinkstock | Reinigungszwang: Übertriebenes Händewaschen kann auf eine ernsthafte Störung hinweisen.

Von unserem Redaktionsmitglied

Melanie Jäger

 |  aktualisiert: 18.02.2015 19:20 Uhr

Es gibt Menschen, die können ihr Bein nachts nicht aus der Bettdecke lugen lassen, weil sie glauben, es würde ihnen abgehackt werden. Andere können nur gleichlange Pommes essen oder fühlen sich beobachtet, wenn ein Stofftier im Zimmer sitzt – und müssen es deshalb wegräumen.

„Spleen 24“ heißt ein Blog im Internet, in dem die kuriosesten Eigenheiten zur Sprache kommen. Tausende Besucher stellen vor allem eines immer wieder fest: Ich bin ja gar nicht allein mit meinen Spleens. Doch wann ist ein Ritual noch ein Spleen, und wann fängt eine therapiebedürftige Zwangserkrankung an?

Professorin Katharina Domschke, stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Zentrum für Psychische Gesundheit der Uniklinik Würzburg, kennt diese Unsicherheit. Dabei sei der Unterschied gut und schnell feststellbar.

„Wenn ein Zwangserkrankter die Handlung unterlässt, setzen schwerste Ängste ein, die mit Zittern, Schwitzen und Atemnot einhergehen und nur durch Ausübung der bestimmten Handlung wieder nachlassen. Wer hingegen einen Spleen mal auslässt, wird damit kein Problem haben“, erklärt die Expertin. Wenn die meist heimlichen Rituale aber das Leben bestimmen oder Eltern anfangen, den Familienzeitplan nach den Zwängen ihres Kindes auszurichten, liegt meist eine ernste Störung vor.

„Grundsätzlich ist die Zwangserkrankung gekennzeichnet durch immer wiederkehrende Zwangsgedanken oder -handlungen, die mindestens zwei Wochen lang anhalten“, erklärt die Professorin. Zwei Prozent der Bevölkerung leiden an der Erkrankung. Domschke wird an diesem Samstag bei einem Symposium in der Uniklinik Würzburg mit anderen Experten aus ganz Deutschland Therapieansätze vorstellen.

Ob Körperreinigungszwang oder Kontrollzwang, die Erkrankung sei gut behandelbar. In der Uniklinik Würzburg ist der Aufbau eines Schwerpunkts für Zwangserkrankungen mittlerweile abgeschlossen. Die verschiedenen Behandlungselemente können dort im Rahmen einer Therapie optimal kombiniert werden und orientieren sich an einem verbindlichen Leitfaden der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen.

Zu den Voraussetzungen für eine Therapie gehört eine entsprechende Diagnose. „Für Hausärzte ist es wichtig, die Erkrankung als solche zu erkennen und nicht als Banalität abzutun. Typisch sind trockene, rissige Haut bei Waschzwang oder Klagen über verminderte Arbeitsleistung bei Kontrollzwang“, erklärt Domschke. Die Betroffenen, die in die Klinik kommen, sind von hohem Leidensdruck gezeichnet. 40 Prozent von ihnen sind arbeitsunfähig.

Erste Symptome der Erkrankung, die auch vererbbar ist, zeigen sich schon in der Kindheit, die Manifestation erfolgt dann im Mittel im Alter zwischen 20 und 25 Jahren. Oft sind Schamgefühle der Grund dafür, dass Erkrankte nicht zum Arzt gehen. Domschke schildert den Fall einer Patientin, die Angst hat, sich zu verunreinigen.

Nach jedem Toilettengang geht die junge Frau drei Stunden lang unter die Dusche, und steckt die komplette Kleidung mit Desinfektionswaschmittel in die Waschmaschine. Während des Duschens muss sie kontrollieren, ob die Dusche noch sauber ist. Weil sie dabei selbst nichts verunreinigen will, muss die Mutter zum Saubermachen kommen. Um möglichst wenig zur Toilette gehen zu müssen, schluckt die Patientin Medikamente, die die Darmtätigkeit unterdrücken, und isst so gut wie nichts mehr. Die Folge solcher Zwänge sind oftmals Depressionen.

Es gibt je nach Schwere der Erkrankung unterschiedliche Therapiemöglichkeiten. „Die Psychotherapie, das heißt die kognitive Verhaltenstherapie, ist dabei immer die erste Wahl“, sagt Professorin Domschke. Dabei werden die Ängste, die beim Unterlassen eines Zwangs auftreten, Stück für Stück abgebaut. Ist die Erkrankung stark ausgeprägt, helfe auch eine Kombination mit gut verträglichen Medikamenten, den Serotoninwiederaufnahmehemmern. Bei therapieresistenten Erkrankungen besteht die Möglichkeit einer neurochirurgischen Tiefenhirnstimulation. Auch diese wird bei dem Symposium zur Sprache kommen.

Das Symposium „Zwangserkrankungen - Mehrdimensionale und interdisziplinäre Therapieansätze“ im Hörsaal des Zentrums für Psychische Gesundheit in der Füchsleinstraße 15 in Würzburg beginnt am Samstag, 21. Februar, um 9 Uhr. Anmeldung für Interessierte ab 8.30 Uhr direkt vor Ort.

 
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