Vinyl boomt. Das heißt, Langspielplatten verkaufen sich zur Zeit wie geschnitten Brot. Nicht nur Neuausgaben, auch neu aufgelegte, professionell abgemischte Wiederauflagen alter Werke. Auch gebrauchte Platten stehen wieder hoch im Kurs und neue Magazine für Vinylkultur schießen aus dem Boden wie Pilze nach einem warmen Sommerregen. Aber warum?
Klanglich überlegen
Nostalgische Gründe sind es sicher nicht, eher liegt es an der Haptik, dem Umgang mit der Schallplatte, am Auflegen und Säubern und natürlich am Klang. Denn klanglich ist eine gute Aufnahme vielen anderen Abspielgeräten überlegen. Gutes Equipment natürlich vorausgesetzt. Auch das boomt und stößt in Preisregionen vor, die man sich als Otto-Normal-Verbraucher gar nicht mehr vorstellen (und erklären) kann. Und schließlich ist eine ordentliche Plattensammlung wie eine Bibliothek – sie sieht nicht nur schön aus, sondern sagt auch viel über den Charakter des Besitzers aus. Ich weiß das, bin ich doch mit Langspielplatten, Maxis und Singles musikalisch konditioniert worden.
Musikkassetten für die Angebetete
Das Tonband (kommt auch wieder) spielte eine Rolle, ebenso die Music Cassette (MC). Wir waren jung und das Interesse am anderen Geschlecht groß. Den größten Eindruck erreichte man mit einer eigens für die Angebetete angefertigten MC. Das Zusammenstellen konnte schon mal zwei Tage in Anspruch nehmen. Die Platten wurden gesichtet, einzelne Lieder ausgewählt, Mikrofonaufnahmen eingebunden, das MC-Cover bemalt und/oder beklebt. Und was war es? Gut! Einfach nur gut. Man hat sich mit der Musik auseinandergesetzt, darüber nachgedacht. Auch über die Freundin, für die man das gemacht hat.
Mit der CD geht das Gefühl flöten
Mit der CD hat sich das dann irgendwie verloren. Ich war ziemlich schnell dabei. Kein Wenden oder Rückspulen mehr. Aber es gingen auch Gefühle flöten. An meinen ersten CD-Spieler kann ich mich nicht erinnern, an meinen ersten eigenen Plattenspieler schon: ein Phillips, bei dem die Lautsprecher als Abdeckung des Plattenspielers dienten. Und mein erster guter, ein Thorens, spielt immer noch – bei meinen Töchtern. Gleiches gilt für die LP.
Vinyl klingt einfach besser
Meine erste LP „Are You Experienced“ von Jimi Hendrix werde ich nie vergessen. Es war ein zähes Sparen von Taschengeld und Oma hat noch was dazugegeben, damit ihr Enkel endlich dem Ausnahme-Gitarristen lauschen konnte. Die erste CD? Keine Ahnung. Irgendwann waren die Regale voll. Und warum jetzt wieder Vinyl? Weil es einfach besser klingt. Weil die ganze Vorbereitung, bis sich die Scheibe dreht und erklingt, etwas mit der Musik an sich zu tun hat. Da läuft nicht irgendein Stream, fast anonym, unpersönlich. Ich entscheide mich bewusst für eine Platte, lasse den Endverstärker vorglühen, reinige Platte und Nadel, lege den Tonarm auf und dann kommt das fast erotische Knistern von den ersten Umdrehungen. Und dann – Musik!
Von der Platte zurückerorbert
Ich bin mit Vinyl groß geworden und seit einigen Jahren hat es mich zurückerobert. Ich höre fast nur noch Schallplatten – außer im Auto. Und natürlich nicht mehr auf einem Phillips mit Lautsprechern als Abdeckung. Da hat sich auch einiges geändert und ich kann die wahre Bandbreite der Langspielplatte in vollen Zügen genießen.