Am kommenden Samstag wird es mit der beschaulichen Ruhe rund um die Retzbacher Wallfahrtskirche „Maria im Grünen Tal“ vorbei sein. Wo sonst bis auf die klassische Wallfahrtszeit im Sommer nur wenige Menschen die Kirche und das weithin bekannte Gnadenbild besuchen, werden an diesem Tag bis zu 5000 Pilger zum großen Wallfahrtstag „Patrona Bavariae“ der bayerischen Bistümer erwartet. „Die Telefone im Organisationsbüro klingeln ununterbrochen“, erklärte Organisator Johannes Weismantel laut Pressedienst des Ordinariates Würzburg am Donnerstag. Die Zahl der Anmeldungen im Würzburger Diözesanbüro sei in den vergangenen Tagen erneut angestiegen.
Zwar gehört Retzbach nicht zu den großen Wallfahrtsorten wie Altötting oder Vierzehnheiligen, aber seit die Stätte 1969 zum Wallfahrts- und Gebetsort für die Einheit der Christen erhoben wurde, kann sie ein echtes Alleinstellungsmerkmal vorweisen. Außerdem ist da natürlich die besondere Lage im wunderschönen Retztal, die Nähe zu den Verkehrsadern am Main und zu den guten Weinen vom Retzbacher Benediktusberg.
Die Wallfahrt in Retzbach hat eine lange Tradition. Die meisten Wallfahrten wurden im 19. Jahrhundert begründet, die Bad Orber Wallfahrt aber zum Beispiel hat ihre Wurzeln im Dreißigjährigen Krieg. Als dort 1635 durch die zahlreichen Schwedenüberfälle die Beulenpest eingeschleppt wurde, legten die verzweifelten Menschen dort das Gelübde ab, alljährlich eine Wallfahrt nach Dettelbach mit einer Tagesrast bei „Maria im Grünen Tal“ zu machen. Das Gelübde sei nicht einmal gebrochen worden, berichtet Pfarrer Gerold Postlers Chronik, auch 1945 nicht, als sich ein einziger Pilger auf den Weg machte. Noch früher, nämlich aus dem 14. Jahrhundert sind Pilger aus Duttenbrunn und Erlabrunn verbürgt.
Entstehung bleibt ein Geheimnis
Pfarrer Postler spricht von fast 130 organisierten Wallfahrten, die vornehmlich in den Sommermonaten August und September „Maria im Grünen Tal“ zum Ziel haben. Mit rund 1000 Pilgern ist dabei die aus Fulda die größte, die weiteste Anreise zu Fuß haben die Gläubigen aus Baunatal: für die 180 Kilometer lange Strecke sind sie drei volle Tage unterwegs.
Die eigentliche Entstehung der Retzbacher Wallfahrt liegt völlig im Dunkeln. Zwar gibt es die Behauptung, die Würzburger Ministerialenfamilie von Rabensburg, die an der Ermordung des Fürstbischofs Konrad von Querfurt 1202 beteiligt gewesen sein soll, habe die Stätte als Sühne gestiftet. Eine andere Legende erzählt von den Hunden der Herren von Thüngen, die auf der Jagd einen waidwunden Hasen in einer Erdhöhle aufgestöbert und dabei die bekannte Marienstatue gefunden haben sollen. Dabei sei auch die auffällige Schramme im Gesicht der Maria entstanden. Historisch belegt ist aber keine der beiden Darstellungen.
Sicher ist, dass der heute noch erhaltene Ostchor der Kirche aus der Zeit vor 1336 stammt. Spätere An- und Umbauten verweisen auf die Zeit im 17. und im 18. Jahrhundert. Ihr jetziges Gepräge erhielt die Kirche beim Umbau 1968, als das schadhaft gewordene Langhaus im Lauf eines Unwetters einstürzte und durch den Neubau des um das Doppelte vergrößerten Schiffs ersetzt wurde. Das Gnadenbild kam in eine fünf Meter hohe Bronzestele in das Schlussteil des Chors hinter dem Altar.
Ein Grund für den Zauber des Wallfahrtsortes ist gewiss dieses einfache, schlichte Gnadenbild: die lächelnde Madonna. Keine Pieta, keine streng oder entrückt dreinblickende Herrin – sie ist einfach die liebende, alles verstehende und alles verzeihende Mutter. Dieser Madonna trägt man gern und vertrauensvoll seine Ängste, Sorgen, Nöte oder auch seine geheimen Hoffnungen vor. Sogar ihr Kind auf dem Arm – mit der Weintraube in der Hand erinnert es an den Weinort Retzbach – vermittelt auf sympathische Weise etwas Pfiffiges, Modernes.
Die 1,39 Meter hohe Figur aus Buntsandstein entstammt der Frühgotik. Auf der Rückseite findet man „Berührungsreliquen“, das sind Reliquien aus dem Orient, durch die man den Pilgern, die sich niemals die Reise ins Heilige Land leisten konnten, ein Stück aus der Heimat der Heiligen Familie vermitteln wollte.
Viel kleiner, bescheidener und verborgen findet man an der Ostseite der Kirche noch eine Besonderheit: das „Marienbrünnle“. Ein daumendicker Wasserstrahl kommt hier aus einer gemauerten Bruchsteinwand und fließt der Retz zu. Sachliche Zeitgenossen schätzen den geringen Gehalt an Kalk für ihre Aquarien, viele aber sind fest davon überzeugt, dass das Wasser echte Heilkraft in sich birgt. Sie kommen des Öfteren, um hier ihre Kanister oder Kannen aufzufüllen.
Vorchristlicher Ort der Kraft
Vermutungen, dass es sich hier womöglich um einen der geheimnisvollen „Orte der Kraft“ handelt, die noch aus der vorchristlichen Zeit stammen, sind wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Wer sich in einer stillen Minute ganz der traumhaften Verbindung zwischen Stein, Wasser und Natur einlässt, spürt vielleicht auch hier etwas von der göttlichen Kraft.