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WÜRZBURG/SCHWEINFURT
Von großen und von kleinen Katastrophen
Dramatische Stunden in Würzburg: Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal besichtigt am 27. Februar 1784 mit seinem Gefolge auf der Alten Mainbrücke das Jahrhunderthochwasser.
Foto: Stadtarchiv Würzburg | Dramatische Stunden in Würzburg: Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal besichtigt am 27. Februar 1784 mit seinem Gefolge auf der Alten Mainbrücke das Jahrhunderthochwasser.
Von unserem Mitarbeiter Stefan Römmelt
 |  aktualisiert: 21.12.2015 14:33 Uhr

Als Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal am 27. Februar des Jahres 1784 mit seinem Gefolge gegen Mittag die Alte Mainbrücke betrat, bot sich ihm ein Bild des Grauens: Nach großer Kälte und starkem Schneefall im Januar und Februar hatte sich um den 23. Februar herum die Wetterlage radikal geändert. Die Folgen beschreibt der Historiker Herbert Schott im zweiten Band der Würzburger Stadtgeschichte so: Der Schnee schmolz nach einem plötzlichen Wärmeeinbruch, starke Regenfälle und das Aufbrechen des Eises auf dem Main ließen den Wasserpegel stark ansteigen. So drang das „wilde“ Hochwasser „mit gräßlichen Eisschollen und Holländerbäumen“, flußabwärts geflößten Holzstämmen, in die Gassen der Residenzstadt.

Trotz der dramatischen Ereignisse, die das zeitgenössische „Guckkastenbild“ überliefert, verzichtete die damalige Regierung auf eine Schadensfeststellung, da „der Schaden ausser denen größtenteils durch Unvorsichtigkeit verunglückten Weins nicht sonderlich bedeutend seyen“ – bis auf eine „80jährige Spithalpfründnerin sey niemand ersoffen“.

Weniger glimpflich kamen in der Neuzeit viele andere Städte davon, wenn sie von Natur- oder Technikkatastrophen betroffen waren. Davon berichtet der kürzlich erschienene Sammelband „Stadt und Stadtverderben“. Die zwölf Beiträge des vom Würzburger Stadtarchivar Ulrich Wagner herausgegebenen Buches gehen auf die 47. Arbeitstagung des renommierten „Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung“ zurück, die vom 21. bis 23. November 2008 in Würzburg stattgefunden hat.

Für Mainfranken besonders aufschlussreich sind zwei Beiträge. In der ersten Sektion „Naturkatastrophe – Feuersbrunst und Wassernot“ beschäftigt sich Ulrich Wagner mit den Bränden im fürstbischöflichen Würzburg vom Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Obwohl es in Würzburg wegen der im Hausbau üblichen „Holz-Lehm-Konstruktionen“ zwar häufig brannte, blieb die Stadt von verheerenden „Stadtbränden“ bis zum 16. März 1945 verschont.

Dies führt Wagner darauf zurück, dass die fürstbischöfliche Regierung und der Stadtrat frühzeitig für einen systematischen Brandschutz gesorgt hätten: „Hinsichtlich der Prävention war man in Würzburg auf dem Stand der Zeit. Die Abwehr der Feuergefahr wurde als Pflicht der gesamten Bürgerschaft verstanden“, schreibt der Leiter des Stadtarchivs. Auf dem Grafeneckart wurde eine Feuerwache eingerichtet, und auch für Löschwasser war gesorgt: „Wasserbottiche, Feuerleitern und Feuereimer wurden in den einzelnen Vierteln bereitgestellt, an strategischen Stellen gab es öffentlich zugängliche Brunnen.“ Und falls es doch zu einem Brand kam, griff man schon im 17. Jahrhundert auf – damals innovative – Messinghandspritzen zurück.

Dass die Errungenschaften des technischen Fortschritts keineswegs immer unumstritten waren, belegt in der zweiten Sektion „Gefahren der Technik – Bau- und Industrieunfälle“ der Aufsatz von Erich Schneider, dem Leiter der Städtischen Kunstsammlungen Schweinfurt. Nachdem 1846 die Entscheidung für die Trassenführung der Ludwigs-Westbahn gefallen war, schritt der Bahnbau relativ zügig voran, und 1852 war die Teilstrecke zwischen Bamberg und Schweinfurt fertiggestellt. Doch das moderne Verkehrsmittel begeisterte nicht alle Zeitgenossen. So dichtete der in Schweinfurt geborene Friedrich Rückert bereits um 1841/1842 über eine Zugfahrt: „Und weiter ohne Weile / In Eil' in Eil' in Eile / Minute statt der Meile, / Zu Weltverkehres Heile, / Doch ward zum Schluß / Uns kein Genuß / Von der Natur zu Teile.“

Für heftige Diskussionen sorgte in Schweinfurt die Frage, ob die Eisenbahn die Stadt nördlich oder am Main entlang umfahren solle. Schließlich folgte man 1851 einer „eindringlichen“ Empfehlung des unterfränkischen Regierungspräsidenten und entschied sich für eine Südtrasse. „Aus heutiger Sicht ist diese Trasse freilich eine städtebauliche Katastrophe gewesen“, schreibt Schneider, da somit die Stadt von der „traditionellen Lebensader Main regelrecht abgeschnitten und die Entwicklung am Main für rund 100 Jahre unterbunden“ worden sei. Pointiert formuliert, „liegt Schweinfurt seitdem nicht mehr am Main, sondern an der Bahn“.

Fatal für Schweinfurt waren auch die unmittelbaren Folgen des Bahnanschlusses, denn die Schiffer verloren mit den Maintransporten ihren Lebensunterhalt. So sieht man auf einer zeitgenössischen Abbildung Fischer und Schiffer, die erbost ihre Faust gegen die vorbeifahrende Eisenbahn ballen. Und auch für Schonungen bei Schweinfurt sollte die neue Bahnstrecke fatale Folgen haben: 1853 fing in der Nähe der Bahntrasse eine Scheune Feuer – in zwei Stunden brannte das Dorf mit 300 Häusern ab.

Eine Attraktion der ganz besonderen Art stellte der Schweinfurter Eisenbahntunnel im Jahr 1857 dar: „Den Kopf ließ sich ein Handlungscommis unter dem Eisenbahntunnel an der Harmonie abfahren. Das geschah am 10. Mai; noch im Mai reiste zu demselben Zweck ein Soldat von Bamberg besonders hierher.“ Die persönlichen Katastrophen finden sich in den Memoiren des Schweinfurter Gymnasialprofessors Enderlein, der den frühen „Selbstmordtourismus“ dokumentiert.

Literaturtipp: Ulrich Wagner (Hg.), Stadt und Stadtverderben. 47. Arbeitstagung in Würzburg, 21.-23. November 2008 (Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung Band 37), Jan Thorbecke Verlag 2012.

 
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