Am sichtbarsten werden die Neonazi-Umtriebe bei Aufmärschen, Infoständen und Demonstrationen wie zuletzt am 1. Mai in Würzburg und Schweinfurt. Geworben werden junge Leute aber häufiger über Internetangebote, die zunächst nicht als rechtsextremistisch zu erkennen sind. „Widerstand dagegen tut not“, sagt Birgit Mair, Mitbegründerin des Nürnberger Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB), die seit Jahren besonders aufmerksam die rechtsextremistische Szene in Franken beobachtet (Interview siehe unten). „Wir leben in Franken nicht auf der Insel der Seligen“, sagt sie, „im Gegenteil, es gibt hier ein paar Aktivposten mit guten Kontakten in Nachbarbundesländer und früher mit Verbindungen zum NSU.“ Die Schwerpunkte liegen laut Mair in Ober- und Mittelfranken. Und in der Oberpfalz, wenn man Nordbayern nimmt, das bestätigt auch die Polizei.
Im Regierungsbezirk Unterfranken, so heißt es auf dem Internetportal „Bayern gegen Rechtsextremismus“, das die Staatsregierung betreibt, gebe es etwa 100 Mitglieder der NPD – Die Volksunion, rund 70 Neonazis, etwa 30 rechtsextremistische Skinheads und etwa 50 weitere Rechtsextremisten. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte die NPD in Regierungsbezirk 1,2 Prozent, bei der Landtagswahl 2008 1,0 Prozent. Die rechtsextremistische Szene in Aschaffenburg und Umgebung bestehe überwiegend aus Einzelaktivisten. Die „Kameradschaft Main-Spessart“ sei Teil des „Freien Netz Süd“, einem Netzwerk von NPD-kritischen Neonazis und teils gewalttätigen Kameradschaften mit Aktionsschwerpunkt in Franken. Die Szene im Raum Schweinfurt sei geprägt von Einzelpersonen und Kleingruppen, die Kontakte zum „Freien Netz Süd“ unterhalten, heißt es.
Sozialer Druck kann heilsam sein
Birgit Mair hält diese Zahlen für „verharmlosend“. „Aber selbst wenn es keine 1000 Leute sind, lebt die Szene von sehr aktiven, gut vernetzten Personen“, sagt Birgit Mair. Sie ist in Nordbayern mit Vorträgen, mit Zeitzeugen aus der Nazizeit und Ausstellungen an Schulen und in der Erwachsenenbildung unterwegs. „Es ist so wichtig, sich zu informieren und aktiv zu werden. Denen, die sagen, man soll diese Umtriebe nicht ernst nehmen und durch zu viel Aufmerksamkeit aufwerten, halte ich entgegen: Durch Gegendemonstrationen wird Druck aufgebaut, es wird den Neonazis der Spaß verdorben.“ Bei jungen Leuten, die mal bei einer Neonazi-Demo mitlaufen, sei die Überzeugung oft noch nicht ausgeprägt. Für die sei es cool, ungehindert und unwidersprochen durch die Stadt zu laufen und zu provozieren. „Diese Neulinge wollen aber noch nicht als Teil der Neonazi-Szene erkannt werden. Wenn womöglich Schulfreunde, Verwandte oder gar die Lehrerin gegen sie demonstrieren, wird sozialer Druck aufgebaut.“
Diese Erkenntnis bestätigt die Psychologin des Landeskriminalamtes, die in der Türkei geborene Figen Öszös. Sie beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Szene und führte mit jugendlichen Straftätern im Gefängnis Interviews. „In der Haft gewinnt die Familie an Bedeutung. Vor allem in der kritischen Phase unmittelbar vor und nach der Entlassung.“ Dann entscheide sich, ob sie aus der Szene rausfinden oder nach der Entlassung wieder auf ihr Netzwerk zugehen. Wenn sie nicht selbst solche Meinungen teilen, sollten „Angehörige konkrete Forderungen stellen: Wir sind für dich da, allerdings unter der Bedingung, dass du dich von der Szene distanzierst!“, sagt Öszös der Psychologie-Fachzeitschrift „Gehirn und Geist.“
Dass die Familie eine wichtige Rolle für oder gegen die Aufgeschlossenheit zur rechten Szene spielt, bestätigt Jens Purius, einer von zwei Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz und Schulpsychologe an der Staatlichen Schulberatungsstelle für Unterfranken. „Man sieht niemandem solches Gedankengut an. Manchmal ist es ein Indiz, dass Kinder schon von zu Hause aus den Ideen nahestehen, wenn ihre Eltern nicht wünschen, dass sie zum Beispiel an Klassenfahrten in KZ-Gedenkstätten teilnehmen.“ Birgit Mair sieht dafür sogar regionale Schwerpunkte: „Ich stelle fest, dass Gebiete wie Ober- und Mittelfranken eine aktivere Szene haben, dort waren auch in der Nazizeit aktive Zentren des Antisemitismus.“
Schulpsychologe Jens Purius weiß aus seiner Arbeit, dass Jugendliche in der Pubertät empfänglicher sind für Ideen gleich welcher Ausrichtung. „Die Affinität zur rechten Szene ist anfangs oft unpolitisch“, sagt er. „Es gibt viele Jugendliche, die in dieser Zeit die gleichen Probleme haben: Keine richtigen Freunde, sie fühlen sich ohnmächtig und sind verunsichert.“ Nicht alle werden deshalb Neonazis. Aber Zukunftsängste sind etwas, das Neonazis thematisieren. Mindestlohndebatten, Zeitarbeit und soziale Themen gehören seit langem zur Themenpalette der Rechten. „Nur dass sie diese wichtigen Themen mit dem Zusatz verbinden, dass vor allem Deutsche bessere Chancen haben sollen“, sagt Birgit Mair. Die Rechtsextremisten passen im Internet ihre Angebote an und fischen besonders in sozialen Netzwerken. Purius: „Im Mittelpunkt stehen am Anfang Zugehörigkeit, Treue und Kameradschaft. Das ist sehr verführerisch für Jugendliche, weil man nichts leisten oder gut können muss: Da heißt es, du bist deutsch, du gehörst zu uns und deshalb bist du was.“ Das reicht.
Dass sehr feste Bindungen entstehen, bestätigen die Recherchen der LKA-Psychologin Öszös. Selbst Neonazis in Haft bleiben meist unter sich. Dieser Gruppendruck führt dazu, dass Reue über Straftaten nicht stattfindet. Öszös: „Typisch sind Äußerungen wie ,Die Ausländer haben es nicht anders verdient' und ,Der Staat mit seiner Einwanderungspolitik ist schuld'.“ Sogar das Gemeinwohl muss herhalten: „Irgendjemand muss ja Deutschland von den kriminellen Ausländern befreien“, sagen sie zur Entschuldigung.
„In der Prävention an Schulen ist das Schwierige, Wind von solchen Aktivitäten zu bekommen“, so Purius. Nur zwei oder drei Mal im Jahr wird die Beratungsstelle in Unterfranken kontaktiert, weil Aktionen beobachtet wurden. „Da bekommt man eher vor Ort was mit. Die Schüler wissen von rechtsextremistischen Einstellungen von Mitschülern, sagen aber nichts. Schon gar nicht dem Lehrer.“ Purius und seine Kollegin Ulrike von der Brelie stellen fest, dass es teilweise schon in der 7. Klasse losgeht, aber auch die Oberstufe betrifft. Wichtig sei, so die Experten, offen und aufmerksam zu sein. Die NSU-Ermittlungen zeigen: „Man hat den Verdacht gegen Neonazis zu bereitwillig beiseitegeschoben“, so Birgit Mair.
Viele sind aufmerksam, wissen aber nicht, wohin sie sich wenden sollen. Dabei gibt es viele Angebote im Internet sowie Beratungsstellen. Der Freistaat etwa betreibt seit 2009 die Plattform „Bayern gegen Rechtsextremismus“. Sie wurde nach dem Attentat auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl 2008 eingerichtet. Mittlerweile scheint sich zu bestätigen, dass rechtsgerichtete Rocker beteiligt waren. Eine gute Kontaktadresse ist auch die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus, deren Außenstelle Nürnberg für Franken zuständig ist.
Beratung und Ansprechpartner zur rechten Szene
Eine Fülle von Symbolen hilft beim Erkennen rechtsextremistischer Aktivitäten. So gilt die Zahl 88 als Synonym für „Heil Hitler“, 18 steht „für Adolf Hitler“, 28 für das 2000 verbotene Netzwerk „Blood & Honour“ (B & H, Blut und Ehre). Eine Übersicht über Zeichen, Mode und Codes bietet die Webseite „Das Versteckspiel“ der Agentur für soziale Perspektiven e.V. www.dasversteckspiel.de. Im Rahmen des vom Bundesfamilienministerium geförderten Projekts „Kompetent. Für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ bietet die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus Beratung und Hilfe bei Aktionen vor Ort, Info-Broschüren sowie Hilfe für Opfer. www.lks-bayern.de
Die Bayerische Staatsregierung informiert auf der Webseite „Bayern gegen Rechtsextremismus“. Es geht um praktische Fragen, um Lagebeurteilungen sowie das Melden von rechten Aktivitäten. www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de Für Lehrer, Eltern und Schüler findet sich dort die Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz an der Schulberatungsstelle. Unterfranken auswählen und „Besondere Beratungsanlässe“: www.schulberatung.bayern.de
Auf der Webseite des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) finden sich Informationen über Bildungs- und Ausstellungsangebote für Schulen zum Thema. www.isfbb.de Information und die Möglichkeit, Neonazi-Inhalte zu melden, bietet der Jugendschutz unter www.hass-im-netz.de