Lange war es unklar, wie es weitergehen sollte. Nun zeichnet sich ab: Das vor drei Jahren gestartete Kooperationsprojekt „Landjudentum in Unterfranken“ wird es wohl auch 2015 geben. Bisher war der Landkreis Würzburg Träger der auf drei Jahre angelegten Initiative, die im November 2011 gestartet ist. Ab dem kommenden Jahr wird das Projekt wahrscheinlich von den Lokalen LEADER-Aktionsgruppen (LAGs) finanziert. Die Trägerschaft würde die LAG Wein, Wald, Wasser übernehmen.
Bevor die Grabsteine zerfallen
Es wäre ein herber Verlust für den Arbeitskreis Landjudentum in Unterfranken, müsste er künftig auf hauptamtliche Unterstützung verzichten. Die 70 Mitglieder, die sich bereits 2009 zusammengefunden haben, sind zwar allesamt vor Ort sehr aktiv. Doch unterfrankenweite Projekte zu stemmen, wäre für sie ohne ein professionelles Management kaum möglich. Was der Arbeitskreis zusammen mit den Projektkoordinatorinnen Rebekka Denz und Tabea Franz sowie Projektleiterin Rotraud Ries vom Würzburger Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte auf die Beine stellte, ist beachtlich. So gelang es, eine attraktive Wanderausstellung zu realisieren.
Der Arbeitskreis blickt auf intensive drei Jahre zurück. Beim Treffen im Johanna-Stahl-Zentrum standen vor allem aber die noch nicht verwirklichten Projekte im Mittelpunkt. „Ein brennendes Thema ist die Friedhofsinventarisierung“, sagt Rotraud Ries. Hierzu wurde bereits eine Petition an das Landesdenkmalamt auf den Weg gebracht. Am 2. Dezember wird es ein Treffen zwischen Amtsvertretern und Vertretern des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden geben.
Der Mangel an Bereitschaft, sich der jüdischen Friedhöfe anzunehmen, verärgert die Mitglieder des Kooperationsprojekts sehr. Sie wollen den Druck auf die Politik erhöhen, um endlich voranzukommen. „Es muss etwas passieren, bevor man die Steine gar nicht mehr lesen kann“, betont Ries.
Während der bayerische Landesdenkmalrat noch blockiert, setzte man sich in Baden-Württemberg früh für die jüdischen Friedhöfe ein. Vor 25 Jahren hatte der dortige Landtag beschlossen, die Dokumentation und den Erhalt der Friedhöfe voranzutreiben. Bis 2003 wurden die 145 jüdischen Friedhöfe mit ihren rund 55 000 Grabsteinen inventarisiert. Die Inschriften kulturhistorisch besonders bedeutender Steine wurden übersetzt. Die Steine selbst sind sowohl für Heimat- als auch für Familienforscher interessant, lassen sich ihnen doch persönliche Angaben zu den Verstorbenen sowie zu ihren beruflichen und gesellschaftlichen Funktionen entnehmen.
Was ist geeignet, um Menschen auf die jüdischen Schätze in der Region hinzuweisen? Auch diese Frage wurde beim AK-Treffen lebhaft diskutiert. Wie viele interessante Zeugnisse jüdischen Lebens es in Unterfranken gibt, entdeckten die Mitglieder des Arbeitskreises in den vergangenen drei Jahren bei sechs Exkursionen. Sie besuchten ehemalige Synagogen, Judenhöfe, Mikwaot (rituelle Tauchbäder), Gedenkstätten, frühere jüdische Schulen und Judengassen. „Davon gibt es viele übers Land verteilt“, so Ries. Allerdings sei es schwer, Interessierte und Touristen darauf aufmerksam zu machen: „Nur wenige dieser Orte sind frei zugänglich.“
Was bedeutet ein rätselhaftes Symbol an der Außenwand eines ehemals jüdischen Gebäudes? Wer benutzte die Mikwe wann und zu welchen Zwecken? In den kommenden Jahren sollen, so die LAGs tatsächlich die EU-Mittel zur Fortführung des Kooperationsprojekts erhalten, intelligente Möglichkeiten zur Erschließung der jüdischen Zeugnisse ausgearbeitet werden.
Derzeit mangelt es vor allem an Ideen, die junge Menschen neugierig machen können. An den angebotenen Exkursionen nahmen überwiegend Ruheständler teil. Vier „Formate“ sollen darum in ihrem Potenzial ausgelotet und möglichst miteinander verknüpft werden: Broschüren, Smartphone-Apps, Infotafeln und Exkursionsangebote. Dabei will das Kooperationsprojekt mit dem Archäologischen Spessartprojekt zusammenarbeiten. Das hat, wie Projektleiter Gerrit Himmelsbach bestätigt, viel Erfahrung darin, Menschen auf versteckte Kulturschätze aufmerksam zu machen.
Dabei muss allerdings berücksichtig werden, dass es teilweise unfreundliche Reaktionen von lokaler Politik und örtlicher Bürgerschaft auf die Initiativen der ehrenamtlichen Mitarbeiter im Koordinationsprojekt Landjudentum gibt. So regt sich nicht selten Unmut darüber, dass sehr viel Geld in die Renovierung alter, heruntergekommener Synagogen investiert werden soll.
Angst vor Radikalen
Einige Bürger empfinden jüdische Zeugnisse auch als Wunde im Dorf. Sie wollen an die grausame Vergangenheit der Nazizeit nicht erinnert werden. Nicht wenige Bürgermeister haben aber auch Angst, auf der Gemeinde-Homepage auf den jüdischen Friedhof oder die Mikwe hinzuweisen – könnte dies doch, so die Befürchtung, Schmierfinken und Radikale anlocken. Eben weil solche Befürchtungen noch immer existieren, argumentieren die AK-Mitglieder, sei das Projekt „Landjudentum“ so wichtig.