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UNTERFRANKEN
Tag des offenen Denkmals: Zwischen Zahnzange und Läusekamm
Tag des Denkmals Einkaufen, Haare schneiden, Zähne ziehen. Die Kirchenburg Aschfeld gewährt Einblicke in den Alltag früherer Zeiten. Am Sonntag wird die Baderstube eröffnet.
Bitte Platz nehmen: Toilettenstuhl, Sitzbadewanne und Waschschüssel demonstrieren in der Baderstube der Kirchenburg Aschfeld längst überholte Möglichkeiten, sich zu reinigen oder aber sich zu erleichtern.
Foto: Fotos (2): Lucia Lenzen | Bitte Platz nehmen: Toilettenstuhl, Sitzbadewanne und Waschschüssel demonstrieren in der Baderstube der Kirchenburg Aschfeld längst überholte Möglichkeiten, sich zu reinigen oder aber sich zu erleichtern.
Von unserem Redaktionsmitglied Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 26.04.2023 18:42 Uhr

Wie wäre das doch praktisch: Anstatt einen Termin beim Zahnarzt, einen im Kosmetiksalon und einen beim Friseur vereinbaren zu müssen, werden dem pochenden Zahnschmerz, dem zu lang geratenen Bart und dem unschönen Hühnerauge in einem Rutsch zu Leibe gerückt. Mit einem Besuch einer Baderstube vor rund 200 Jahren wäre das kein Problem gewesen. Und auch am diesjährigen Tag des offenen Denkmals kann sich, wer will, in der neu eingerichteten Baderstube in der Kirchenburg Aschfeld (Lkr. Main-Spessart) ein Bild machen, wie so ein Dreifachtermin zu früheren Zeiten ausgesehen haben könnte, nämlich ziemlich blutig.

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„Der Bader war sozusagen die Vor-Vor-Vorstufe von unserem heutigen Hausarzt, den gab es damals fast in jedem Dorf“, erklärt Lore Göbel. Die Betreuerin der Kirchenburg steht in der medizinischen Ecke der Baderstube, einem niedrigen Kellerraum. In der Hand hält sie den Schrecken aller Patienten: eine antiquierte Zahnzange. Auf der kleinen Kommode daneben liegt noch eine weitere, außerdem ein hölzernes Blutdruckmessgerät, Schröpfgläser für blutige und unblutige Schröpfe, gummideckelartige Brusthütchen, ein Läusekamm sowie etliche Fläschchen mit Tinkturen gegen Zipperlein wie Hühneraugen.

Ihren 20. Raum weiht die Gemeinde Eußenheim, zu der Aschfeld gehört, mit der Öffnung der Baderstube in der Kirchenburg am Tag des offenen Denkmals ein. Seit 1981 hat man hier Stück für Stück die alten Gaden und Keller, die den Bewohnern Aschfelds früher als Unterschlupf während der Belagerungen, später dann als Vorratskammern dienten, saniert und zu Museumsräumen umfunktioniert. „Unser erster Raum war die Heimatstube, in der sind zum Beispiel alte Trachten, Musikinstrumente und Kinderspielzeug zu sehen“, erklärt Lore Göbel. Nach einer Pause folgten der Krämerladen, die Dorfschule, die Jägerei, die Wasch- und Schlachtküche, die Darlehenskasse, der Wehrturm und, und, und . . . Jedes Jahr entstand rings um die Kirche ein neuer Raum.

Seit 2001 können die Räume besichtigt werden. Mit 21 Führungen im ersten Jahr hat Lore Göbel damals begonnen. Im Juli 2012 stand sie zum 1111. Mal vor einer Besuchergruppe. „Die Leute kommen aus ganz Deutschland, Frankreich, Amerika, kürzlich auch aus Tansania, Afrika, Polen und Japan“, erzählt sie. Von 2002 bis 2004 wurden der Kirchenburg über ein Reisebüro in der Schweiz viele Amerikaner vermittelt. Selbst Kreuzfahrtschiffspassagiere kommen.

Was die Menschen an der Ausstellung besonders interessiert? „Die Faszination, wie die Menschen früher gelebt haben“, beschreibt Lore Göbel. Nicht ohne Grund steht ihre Führung unter dem Motto „Die gute alte Zeit zum Anfassen“. „Das Ganze ist natürlich nicht ganz ernst gemeint, denn die Zeit war nicht gut, die Leute waren arm“, so die 77-Jährige. Zu sehen gibt es Ausstellungsstücke aus den vergangenen 300 Jahren. „Wir haben zum Beispiel eine Quarkpresse oder Gebetsbücher aus dem 17. Jahrhundert, aber auch viele Dinge aus den 1950er Jahren.“

Was der Kirchenburg-Betreuerin bei den Führungen wichtig ist: Sie will die Dinge möglichst authentisch vermitteln – und das kann sie. „Ich habe selbst die Aufbruchstimmung in den 50er Jahren miterlebt, bin mit Flasche und Schüssel losgezogen, um Essig und Brathering einzukaufen“, beschreibt Lore Göbel. Und so steht sie auch in der alten Dorfschule bei der Führung an der Tafel und lässt Kinder und Erwachsene die altdeutsche Schrift entziffern, am Rechenbrett rechnen oder präsentiert den Rohrstock – natürlich in Ruhestellung auf dem Lehrerpult.

Im Dorfladen hingegen wird sie zur Krämersfrau und lässt keinen aus dem Raum, ohne dass er sich ein Himbeerbonbon aus dem großen Glas gegriffen hat. Und auch in der Baderstube steigt Göbel ein in die Vergangenheit, berichtet, mit dem historischen Haarschneider in der Hand, wie auch ihr damals mit dem Gerät die Lockenpracht geschnitten wurde. Oder besser gerupft, denn eine Zacke hat gefehlt. Oder erzählt, wie der alte Frisierumhang, der nachgenäht an einer Leiste in der Baderstube hängt, gejuckt hat, weil so viele Haare darin steckten. Oder wie der Bürgermeister von Eußenheim sich demonstrativ bei der Besichtigung der neuen Stube in die Sitzbadewanne gesetzt hat, die neben Toilettenstuhl und Waschtisch mit Spucknapf und gusseiserner Wärmflasche in der sogenannten „Nassecke“ steht.

Woher all die Sachen stammen? „Bei den Führungen wird immer viel erzählt. Die Leute erinnern sich dann oft an Dinge, die sie noch zu Hause haben, und bieten sie uns an“, erklärt Göbel. Sie gehen dann als Dauerleihgaben oder Schenkungen in die Sammlung ein. Aber nicht alles findet sofort Verwendung. „Ich habe daheim eine Garage, sozusagen die Vorstufe der Kirchenburg, dort bleibt alles so lange, bis es irgendwo einsortiert werden kann.“ Eine Sache findet sich dort allerdings noch nicht: ein paar alte, täuschend echt nachgemachte Zähne. Die möchte Lore Göbel noch neben die Zahnzangen auf den Tisch legen.

Am Tag des offenen Denkmals ist die Kirchenburg in Aschfeld von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Führungen sind um 12 und um 15.30 Uhr; Treffpunkt Eingangstor. Bei einem Quiz steht das Thema Holz im Mittelpunkt. Um 14 Uhr wird die Baderstube offiziell übergeben.

Kirchenburg Aschfeld

Die historische Kirchenburg in Aschfeld (Lkr. Main-Spessart) ist eine alte Wehranlage und liegt auf einem steilen Felsvorsprung. Sie diente den Bewohnern von Aschfeld als Flieh- und Wehrburg, um sich vor umherziehenden Kriegshorden zu schützen. Die letzte Belagerung gab es im Dreißigjährigen Krieg. Jedoch wurde die Kirchenburg nie eingenommen. Eine Schenkungsurkunde besagt, dass sich hier im Jahr 1296 auch ein kleines Beginenkloster befand. Nachdem die Aschfelder die Kirchenburg nicht mehr als Fluchtort brauchten, nutzten sie die Gaden und Keller zur Vorratshaltung. Seit 1992 übernahm die Gemeinde fast alle Gaden und Keller von den Eigentürmern und richtete darin im Laufe der Jahre das heutige dorfgeschichtliche Museum ein.

Damals Fluchtpunkt, heute Museum: die Kirchenburg in Aschfeld
Foto: Andreas Heil | Damals Fluchtpunkt, heute Museum: die Kirchenburg in Aschfeld
Mund auf, Zahn raus: Lore Göbel präsentiert das dazugehörige Handwerkszeug.
| Mund auf, Zahn raus: Lore Göbel präsentiert das dazugehörige Handwerkszeug.
 
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