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WÜRZBURG
Stefan Lurz: Die neue Leichtigkeit des Seins
In kurzer Zeit hat der Schwimmtrainer 25 Kilogramm abgenommen. Ein Gespräch über Erfolg, Ergometer und Ernährung.
Das Gespräch führte Achim Muth
 |  aktualisiert: 20.01.2016 18:30 Uhr

Jahrelang hat der erfolgreiche Schwimmtrainer des SV 05 Würzburg, Stefan Lurz, auf seine Sportler penibel geachtet, nur auf sich nicht. Er ließ sich gehen, wie er das heute sagt. Die Folge war unübersehbar: Der Bundestrainer für das Freiwasserschwimmen nahm ordentlich zu. Im vergangenen Herbst schließlich änderte Stefan Lurz sein Leben radikal. Der 36-Jährige ernährt sich seitdem sehr kontrolliert und treibt täglich mindestens eine Stunde Sport. Der Erfolg stellte sich schnell ein: Er nahm 25 Kilogramm ab und freut sich über ein neues Selbstwertgefühl. Im Interview spricht Stefan Lurz, Bruder des Rekordweltmeisters Thomas Lurz, nicht nur über seine Arbeit und seinen Erfolg, sondern vor allem darüber, wie er es schaffte, den inneren Schweinehund zu überwinden: „Du darfst nicht nur wollen, du musst es auch machen.“

Frage: Stefan, Sie wurden von der Trainervereinigung des Deutschen Schwimm-Verbandes in Berlin zum dritten Mal als „Trainer des Jahres“ ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?

Stefan Lurz: Zum einen ist sie für mich eine Bestätigung dafür, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich bin schon etwas stolz darauf. Trainer sind ja meist im Hintergrund, da tut so ein Moment des Beifalls auch mal gut.

In Mannschaftssportarten gelten Trainer als Kompositeure, als Taktiker. Wie groß ist der Einfluss eines Trainers in der Individualsportart Schwimmen?

Lurz: Sehr groß. Ich bin nicht nur der Überwacher am Beckenrand, sondern für meine Sportler eine Vertrauensperson in vielen Lebensbereichen. Bei Sorgen wie Problemen in der Schule oder zu Hause bekomme ich oft alles erzählt und versuche zu helfen. Auch während der Wettkämpfe ist der Einfluss sehr groß. Ich stehe ständig in Augenkontakt zu meinen Athleten, sie sind auf meine Rückmeldung angewiesen.

Inwiefern?

Lurz: Daumen hoch heißt: Wir sind im Plan, es wird nichts geändert. Dann gibt es weitere Zeichen: Etwa für den Beinschlag, für längere Armzüge. Egal, ob es ein 50-m-, ein 1500-m- oder ein Zehn-Kilometer-Rennen ist, ich habe immer eine eigens formulierte Taktik im Kopf. Dazu gehören eine gute Vorbereitung und das Wissen um die Stärken und Schwächen der Konkurrenz.

Sie stoppen folglich auch jede Bahn penibel mit?

Lurz: Ich bin wahrscheinlich der einzige Trainer in Deutschland, der in Wettkämpfen nicht mitstoppt. Ich habe vor etwa zwei Jahren damit aufgehört. Heutzutage sind doch die Wettkampfzeiten mit den 50-m-Splits sofort nach den Rennen online verfügbar. Außerdem habe ich viele Zeiten im Kopf, ich kann mir Zahlen sehr gut merken. Sie können beispielsweise 100 Zahlen in beliebiger Reihenfolge notieren. Ich präge mir die Zahlen ein, indem ich sie auf eine Geschichte runterbreche, die mit Schwimmzeiten zu tun hat. Das ermöglicht es mir, die Reihenfolge nach kurzer Zeit aus dem Gedächtnis zu wiederholen.

Lassen Sie uns bei Zahlen bleiben: 10.10.2012!

Lurz: Das war der Tag, an dem ich nach langen Jahren wieder einmal auf die Waage gestiegen bin.

Und geschockt waren?

Lurz: Naja. Dienstags müssen sich die Sportler bei mir wiegen. Da stand also diese Waage am Beckenrand herum, und ich dachte mir: 'Geh‘ mal wieder drauf.' Ich wusste natürlich, dass ich zu viel auf den Rippen hatte. Aber als auf der Anzeige 112 Kilo aufleuchtete, war mir klar: Das ist viel zu viel.

Was löste die Zahl 112 bei Ihnen aus?

Lurz: Den Impuls abzunehmen. Meine Ziele waren, wieder unter die 100 Kilo zu kommen und mich zu bewegen. Als Trainer von Hochleistungssportlern kenne ich mich natürlich mit Ernährung aus, mache Vorgaben, die ich aber selbst nicht angewandt habe. Wenn ich abends nach der Arbeit gegen 20, 21 Uhr nach Hause gekommen bin, gab’s noch ein, zwei Döner, mal eine Pizza, mal eine deftige Brotzeit. Dazu null Bewegung, sondern Fernsehen – das war meine Art der Entspannung. Ernährungstechnisch war das natürlich ein totales Versagen.

Das Gewicht ging nach oben.

Lurz: Klar, irgendwann verlierst du die Kontrolle, auch wenn du das nicht wahrhaben willst. Man sieht sich ja selbst anders. Aufgefallen ist mir meine Gewichtszunahme meist nur, wenn ich Fotos von mir in der Zeitung gesehen habe. Da blättert man schnell weiter, weil man sich schämt. Das waren unangenehme Gefühle. Und irgendwann steigst du nicht mehr auf die Waage.

Wie hat sich das auf Ihr Leben ausgewirkt?

Lurz: Alles wurde schwieriger: Selbst das Schuhebinden oder Treppensteigen strengte an. Übergewicht mindert die Lebensqualität, und ich glaube, jeder, der zu schwer ist, würde gerne tauschen wollen.

Sie änderten Ihre Gewohnheiten radikal?

Lurz: Richtig. Ich habe mir ein Ernährungs- und Bewegungsprogramm verordnet. Ich verzichte seitdem nahezu auf die Einnahme von Kohlenhydraten. Da ich sehr früh schon am Beckenrand stehe, gab’s bei mir auch vorher kein Frühstück. Mittags esse ich dann ein, zwei Teller Suppe. Klare Brühe, Tomatensuppe, so etwas. Am Abend gibt es dann ein ordentliches Essen: Meist ein üppiger Salat mit Fleisch oder Fisch. Dazu habe ich mit dem Walken oder dem Fahrradfahren auf einem Ergometer begonnen, weil ich noch nicht in der Lage war, andere Sportarten wie Joggen auszuüben.

Wie wirkte sich das aus?

Lurz: Der Erfolg stellte sich sehr schnell ein. Ende Oktober wog ich bereits 104,0 Kilo, Ende November waren es 96,8 Kilo, und an Silvester 2012 zeigte die Waage 92,2 Kilogramm an. Ich hatte mir eine Gewichts-App fürs Handy besorgt, mit der ich genau Buch führen kann.

Selbst an Weihnachten haben Sie nicht gesündigt?

Lurz: Nein, am Heiligen Abend gab es eine Putenbrust. Mir kommt sicherlich zugute, dass ich kein süßer Typ bin. Es macht mir also nichts aus, auf Plätzchen oder Schokolade zu verzichten. Disziplin ist natürlich unheimlich wichtig.

Können Sie Ihr Gewicht halten?

Lurz: Am 31. Januar wog ich 86,9 Kilo, seitdem halte ich das Gewicht. Seit der Zeit habe ich zusätzlich mit gezieltem Krafttraining begonnen. Dadurch ging der Fettanteil weiter runter, Muskulatur wurde aufgebaut.

Wie sieht Ihre Ernährung heute aus?

Lurz: Ich schränke immer noch die Kohlenhydrate stark ein. Ich esse Eiweißbrote, Salate mit Essig und Öl, Fisch, Fleisch, Käse, Handwurst, und wenn’s mal was zum Knabbern sein muss, dann gibt’s Paranüsse oder Kürbiskerne. Auf Obst verzichte ich wegen des hohen Gehaltes an Fruchtzucker. Dazu trinke ich viel Wasser und ab und zu mal ein Glas trockenen Weißwein.

Für manchen Ernährungswissenschaftler ist das zu einseitig, wie reagiert ihr Körper?

Lurz: Jeder muss seinen individuellen Weg finden. Das Entscheidende ist: Du darfst nicht nur wollen, du musst es machen! Ich sage: Wer sich unwohl fühlt, soll beginnen, etwas zu ändern. Spazierengehen, sich einfach bewegen, das ist der erste Schritt. Ich für meinen Teil kann sagen, dass sich meine Blutwerte, meine Leberwerte signifikant verbessert haben. Toi, toi, toi, ich habe auch mit keinen Nebenwirkungen zu kämpfen.

Wie hat das Umfeld reagiert?

Lurz: Das hat mich toll unterstützt. Vor allem ohne meine Mutter Renate wäre das kaum möglich gewesen: Sie hat mir oft nach meinen Vorgaben Essen gekocht.

Wie fühlen Sie sich heute?

Lurz: Wissen Sie was: Es ist einfach toll, wenn man sich wieder schöne Kleidung kaufen kann und nicht immer nur nach irgendwelchen XXL-Sachen kramen muss. Mein Leben hat an Qualität gewonnen, und zu meinem neuen Leben gehört jetzt eben auch eine Stunde Sport am Tag. Es macht sicher nicht alles Spaß. Manchmal habe ich auch Verlangen, alles andere wäre gelogen. Aber ich habe eine Phase erreicht, in der ich mich nicht mehr überwinden muss. Ich fühle mich wohl, aber ich weiß, dass ich dafür etwas tun muss.

Wie sind die Reaktionen?

Lurz: Die gehen von Sorge bis Lob. Bei den deutschen Meisterschaften haben Trainerkollegen bei Sportdirektor Lutz Buschkow angerufen und gefragt, ob ich krank sei. Aber die meisten Reaktionen sind Schulterklopfen. Ich freue mich auch darüber, aber ich sehe meine Veränderung nicht als Riesenleistung an. Es ist ja ein Witz gegen das, was meine Sportler täglich leisten. Und es ist auch ein bisschen ungerecht: Nur weil ich mich nicht mehr gehen lasse, bekomme ich von allen Seiten Lob. Und daneben steht einer, der ein Leben lang auf sich aufgepasst hat, vielleicht 82 Kilo wiegt, und das wird nicht anerkannt. Wenn es eine Botschaft meiner Geschichte gibt, dann die: Jeder ist in der Lage abzunehmen, man muss es nur machen. Und ehrlich: Wer will sich im Sommer mal nicht gerne in der Badehose zeigen können?

Schwergewicht: Noch vor Olympia wog Stefan Lurz 112 Kilogramm.
Foto: D. Biscan | Schwergewicht: Noch vor Olympia wog Stefan Lurz 112 Kilogramm.
 
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