Ist das noch Rock 'n' Roll? Ja, ja. Keine Aufregung, irgendwo schon. Es ist laut, es ist bunt, und ja, es ist auch noch ein bisschen wild. Rock im Park – vier Tage weg von daheim, raus aus Schule und Job, vier Tage Musik, vier Tage Party. Und vier Tage Hitze. Was für eine Hitze. Die Hölle über Nürnberg. Die Temperaturen sind definitiv Rock 'n' Roll – hotter than hell. Rock im Park steckt im Schwitzkasten.
Die Sanis haben ein paar Infusionen extra parat gelegt, der Veranstalter warnt die 70 000 Fans per Videoleinwand vor Dehydrierung, verteilt 50 000 Wasserflaschen kostenlos. An den Getränkeständen werden die Wasserfässer im Minutentakt gewechselt. Auf dem Zeltplatz stehen zig aufblasbare Wasserbecken. Ein paar Jungs und Mädels aus Fürth haben sich auf ihren Pick-Up gar einen Whirlpool samt Stromaggregat gestellt.
Drüben im Freibad herrscht Hochbetrieb. Und auf dem Festivalgelände sieht's nicht anders aus: Jungs ohne Shirt, Mädels in Hoptpants und Bikini-Top – so sexy war Rock im Park selten. „Ich schwitze wie ein Schwein“, verrät Ralf. Nur über das Warum sinniert der 22-jährige Oberpfälzer: „Ist's die Sonne, oder sind's die heißen Mädels?“ Im Erste-Hilfe-Zelt hätte ihm der Herr Doktor Auskunft geben können: „In den letzten Jahren hatten wir auch mal 'ne Blasenentzündung, heute reihenweise Schwächeanfälle.“ Neben Wasser läuft auch Bier in Strömen.
Musik gibt's natürlich auch. Diesmal, weil Pfingsten ist, gleich vier Tage statt wie bisher drei. Dass die Extraschicht 'ne Mogelpackung ist, bei nur sechs Acts am Freitag – geschenkt. Immerhin sind Metallica dabei und spielen über zwei Stunden. 2012 noch enttäuschend in Sound und Spaß, hauen Hetfield und Co. diesmal ein Brett raus. Auch wenn die Titelwahl wundert. Eine Internet-Wunschliste arbeiten die vier Schwermetaller ab. Rauskommt keine Raritätensammlung, sondern eine Best-of-Geschichte: „Enter Sandman“, „Master of puppets“, „Nothing else matters“ und so weiter und so weiter. Chance verpasst. Trotzdem klasse Auftritt – und „Whiskey in the jar“ entschädigt für fast alles.
Das Alter fängt bei 30 an
Die klassischen Rock-Fans sind ohnehin in der Minderzahl. Das Publikum ist jung und will feiern. In Extremo sind wohl selten so anmoderiert worden: „Willkommen zu einer Halli-Galli-Drecksau-Party.“ Na dann, auf geht's. Wenn Eltern und Chef weit weg sind, wird eben die Sau rausgelassen. Sogar Bayerns Finanzminister Markus Söder turnt benefizbeseelt im KISS-Leibchen auf der Bühne herum. Rock 'n' Roll? Auf alle Fälle mal von der Metalcore-Fraktion. Die Herrschaften schauen wie Hip-Hopper aus, hören aber knallharte Töne. Und drehen auch bei 35 Grad völlig durch: Sie rennen bei Suicide Silence (sensationell) und Miss May I im Kreis (Circlepit) oder in Massen aufeinander zu (Wall of Death), oder sie setzen sich zu Hunderten hinter und nebeneinander, um zu rudern – schaut zumindest so aus. Nur machen sie das gern immer und überall: Bei Old-School-Klängen sorgte das dann für verdutzte Gesichter bei den Älteren.
Ja, die gibt's auch. Älter, das fängt so bei 30 an. Ein magisches Alter, das den Wunsch nach mehr Gediegenheit freisetzt. Sarah ist 31 und mag's komfortabel. „Ich will mich ordentlich waschen und brauche Ruhe“, sagt die Salzburgerin. Mit drei Freundinnen zeltet sie direkt am Dutzendteich. Idyllisch. „Green Camping“ heißt dieses Gelände für 2500 Fans, regelmäßige Müllentsorgung inklusive. Dort dürfen keine Sofas, Tische oder Kühlschränke angekarrt werden, dort wird kein Dosenbier aus Trichtern quasi intravenös verabreicht, und dort wird auch nicht Fight für your right toooooo paaaaartiiiieeeee“ gesungen. Stattdessen chillt Sarah am Seeufer, die Beine baumeln im Wasser. Party ja, aber ich will mich zurückziehen können.“ Dass sie eine besonders schicke kurze Hose trägt und ein besonders schickes Top, passt: Sie ist nicht Rock 'n' Roll – und will es auch gar nicht sein.
Die größte Schlange des Festivals
Feines auch an den Imbissbuden: Es gibt zwar noch Wurst, Burger, Pizza – aber auch Langosch (wahlweise süß oder pikant), original (?) US-amerikanisches Pulled Pork oder, am „Yugoslavian Grill“, ein Gourmet-Riesen-Pljeskavica aus 100 Prozent Kalbfleisch. Wein gibt's ebenfalls, wenngleich es in Franken ja nicht eine Vinothek für württembergische und italienische Spezialitäten hätte sein müssen. Und wer, um Himmels Willen, braucht bei 35 Grad einen Riesen-Cocktail für 25 Euro? Ein Liter Long Island Ice Tea – ein Drittel davon schießt einem schon die Lichter weg. Einleuchtender ist da die größte Schlange des Festivals: am Stand mit dem Frozen Yogurt – das ist an diesem Pfingsten ausnahmsweise Rock 'n' Roll. Größere Schlangen hat's bisweilen auch am Eingang zur Halle. Flucht vor der Sonne? Nicht nur.
Da gibt es manch musikalisches Kleinod wie Mastodons Psychedelic-Rock. Oder einen unglaublichen Auftritt von Anthrax bis nachts um zwei. Aber klar, kaum ist die Sonne verschwunden, spielt draußen die Musik. Am Samstag zeigen die Kings Of Leon, dass sie zwar nicht der klassische Headliner, aber allemal eine der famosesten Livebands sind – nicht nur wegen Hits wie „Sex on fire“ oder „Use somebody“. Schade nur, dass die Queens Of The Stone Age zeitgleich auf der Alternastage rocken – beide Kapellen sprechen die Alternative-Gemeinde an. Ganz was anderes danach auf der kaum noch kleineren Nebenbühne: Nine Inch Nails, Industrial-Helden der 90er, mixen Beats, Sphärisches und harte Gitarren zu einem Klangkunstwerk.
Sonntag ist der Tag des Herrn. Ob's deswegen weniger wild zugeht? Die Post-Deather Opeth wirken etwas verlassen, beenden ihren großartigen Gig mit dem verzweifelten Tipp, dass ja jetzt gleich alle wieder was trinken gehen könnten. Erste Müdigkeit? Weggeblasen ist die spätestens nach Sonnenuntergang: Fast alle 70 000 gehen erst zu den in die Jahre gekommenen Hüpf-Hoppern Fanta 4, dann zu Linkin Park – und erleben eine perfekte elektrometallische Crossover-Reise. Fast schon zu perfekt. Alle Dämme brechen nachts beim Wechsel zu Jan Delay. Pfingststau abseits der Autobahnen. Montag ist der bunteste Tag. Frankreichs global gehypter Indie-Popper Woodkid hier, die Hardcore-Punker Boysetsfire dort. Dazwischen Crazy Town, ja, die mit „Butterfly“, die gibt's noch. Metal-Legende Iron Maiden samt Monster Eddie (unschlagbar „666 – Number of the beast“) und ganz am Ende DJ-Künste mit Gesaffelstein. Was für eine Mischung! Nicht immer Rock. Aber doch Rock 'n' Roll.
Rock-im-Park-Notizen
2015 fällt Rock im Park nicht auf Pfingsten, ist folgerichtig wieder auf drei Tage beschränkt. Und es bleibt auf dem Nürnberger Zeppelinfeld, während der Zwilling bekanntlich vom Nürburgring weichen muss. Dort wird nach der Vertragsauflösung zwischen Veranstalter Marek Lieberberg und den Ring-Betreibern mit der „Grünen Hölle“ am selben Wochenende eine Konkurrenzveranstaltung stattfinden, während Lieberberg wohl nach Mönchengladbach in den Hockeypark umsiedelt. Peter Pracht, Chef der für Nürnberg verantwortlichen Würzburger Konzert-Agentur Argo, legte sich auf der Pressekonferenz noch nicht fest, sagte aber, da es auch zur „Hölle“ wohl einen Zwilling geben soll: „Wir haben die Erfahrung, die anderen fangen bei null an.“ Obwohl die medizinischen Helfer viel zu tun hatten bei Rock im Park 2014: Ernsthafte Zwischenfälle gab es – zumindest bis zum frühen Montagabend – nicht. In den meisten Fällen mussten wegen der Hitze Kreislaufbeschwerden behandelt werden, Gründe für Fahrten ins Krankenhaus waren überwiegend Schürfwunden und Prellungen. Stinkende Mobil-Klos, laut feiernde Fans, dazu Müllberge: Das muss nicht sein. Luxuriösere Camping-Varianten liegen auch bei Rockfestivals im Trend. Beim Center Stage Camping auf dem Nürnberger Zeppelinfeld fehlte das festivaltypische Duftgemenge. 400 Menschen konnten nach Veranstalterangaben auf dem Luxus-Zeltplatz logieren. 150 Euro kostete der Spaß – zusätzlich zu den 200 Euro für das Vier-Tages-Ticket. Dafür gab es direkt neben der größten Festivalbühne Duschwagen, richtige Toiletten – und abgetrennte Parzellen für jedes Zelt.