Wenn sich zivilisierte und erwachsene Menschen von ihren Stühlen erheben, beseelt zur Bühne blicken, klatschen und komplett aberwitzige Textzeilen mitsingen wie diese: „Weißt Du, warum ich bei Dir bleibe, Du hast eine Ingwerreibe“ – dann ist nicht nur Fastnacht in Franken, dann ist Michl-Müller-Time.
Der 42-Jährige füllt ja mittlerweile Hallen, er läuft in der ARD und spielt sein Bühnenprogramm in Düsseldorf, Saarbrücken oder München genauso wie in Urspringen, aber der Fasching in Veitshöchheim – das ist und bleibt sein Ursprung. Müller war auf dieser Bühne schon frecher, böser, aufgedrehter – okay.
Nichtsdestotrotz gönnt er sich als Wanderer aus der Vorrhön in der Live-Sitzung des BR und des Fastnacht-Verbandes Franken in den Mainfrankensälen kaum eine Rast: Gartencenter, Romantikhotels, Schulterpolster, Allerheiligenbratwürscht am Friedhof, Thermomixwahn und ein verhaltensgestörtes Eichhörnchen – Müller schwingt sich von Gag zu Gag wie Tarzan an der Liane durch den Urwald.
- Nachlesen im Live-Blog hinter den TV-Kulissen von "Fastnacht in Franken"
Die 28. Auflage der traditionsreichen Veranstaltung im frisch restaurierten Schmuckkästchen des fränkischen Faschings war eine wunderbare Melange, die sich wohltuend abhob von dem vielen Konfetti, das in der deutschen Fernsehlandschaft sonst so in den Wohnstuben verstreut wird.
Oti Schmelzer etwa als fränkischer Torero aus dem Steigerwald überzeugte mit einer schrägen Mischung aus Gesang und Witz und verriet das Geheimnis seiner 60-jährigen Ehe: „Ich stamme aus einer Zeit, da hat man noch alles repariert und nicht gleich weggeschmissen.“ Außerdem müssen Erdkundebücher nun neu geschrieben werden, denn: „Nürnberg ist der höchste Berg der Welt. Da brauchst du für den Aufstieg ein Jahr und für den Abstieg genauso.“ Da stöhnten die Cluberer im Publikum.
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- Die Live-Sendung wiederholt das Bayerische Fernsehen am 7. und 17. Februar
- Sendung in der BR-Mediathek
- 3,9 Millionen Zuschauer verfolgten die Sendung am Fernseher
In einer politisch aufgewühlten, ja einer kriegsträchtigen Zeit setzte Büttenredner Peter Kuhn, zum 23. Mal in Folge bei der Fastnacht dabei, zielsicher seine klugen Pointen. Die Kugeln saßen, und nur ein Rohrkrepierer war dabei: Eine „Platzpatrona Bavariae“, Kuhns Synonym für Ministerpräsident Horst Seehofer.
Als Gardist der Bürgerwehr sezierte der Schweinfurter Regierungen und Regungen einer multikulturellen Gesellschaft und kreierte so einen Kommentar in Reimform pro Werte und Demokratie, der eigentlich nicht nur auf Faschingsbühnen gehört, sondern in deutsche Schulbücher.
Den Tarnanzug hätte der Karlstadter Sänger Matthias Walz sicher nicht benötigt, eher schon ein glitzerndes Sakko: Klasse sein Song über Markus Söders Vermessung der Welt und dessen Reise zu den Mittelpunkten Bayerns. Und den „25 000 Vollpfosten in Dresden“ rief Walz zu den Klängen von Howard Carpendales „Alice“ zu: „Who the fuck is Pegida?“
So ging es weiter Schlag auf Schlag mit Oliver Tissot („Alexander Dobrindt kümmert sich um alles, was verkehrt – und er macht alles verkehrt“) sowie Bauchredner Sebastian Reich und Nilpferddame Amanda. Die beiden führten ein Schauspieler-Casting durch und drohten Remakes bekannter Klassiker an: „Titanic“ etwa mit den FDP-Kapitänen am Steuer oder ein Spielfilm über die SPD: „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Natürlich durfte auch der Klamauk von „Waltraud & Mariechen“ nicht fehlen, jenen Fürther Damen, die Kindern an Halloween an der Haustüre auf die Frage „Süßes oder Saures?“ mit einer Gegenfrage antworten: „Dackel oder Dobermann?“
Fast erwartungsgemäß sangen die Parodis eine Hommage an Barbara Stamm und vorhersehbar war auch der Oberpfälzer Spott der Altneihauser Feierwehrkapell'n, die rückwärts die Bühne enterte, damit sie schneller wieder flüchten kann. Diesmal bekamen aber nicht nur die Franken gehörig ihr Fett weg, auch Heino.
Gehören die lästernden Feuerlöscher mittlerweile zu den Stars der Szene, stieg Putzfrau Ines Procter mit kräftigem Herzschlag auf die Bühne. Die 41-jährige Debütantin entstaubte unter anderem Bischof Friedhelm Hofmann und schlug sich wacker unter all den Fastnachtsprofis, ebenso wie die Neulinge Markus Schüler mit seiner Hupennummer und Alexander Göttlicher, der den Oberpfälzern gesanglich Paroli bot.
Mit einem bunten Finale und Kurzauftritten aller Künstler ging die Narrenshow zu Ende – dreieinhalb Stunden, die wie im Flug vergingen und die einen die Sorgen des Alltags kurzzeitig vergessen ließen. Ist das nicht auch ein bisschen der Auftrag der Fastnacht? Insofern: Auch wenn sie keine Gage erhalten, so haben sich die Protagonisten eines redlich verdient – ein dreifach donnerndes Helau!
Splitter aus Veitshöchheim
Die Mitwirkenden: Sitzungspräsident Bernd Händel (Nürnberg), Markus Schüler (Großbardorf/Fürth), Oliver Tissot (Nürnberg), Oti Schmelzer (Oberschwappach), Peter Kuhn (Schweinfurt), Matthias Walz (Schweinfurt), Volker Heißmann & Martin Rassau (Fürth), Gemischte Garde der Buchnesia Nürnberg, Ines Procter (Erlabrunn/Leinach), Die Parodis mit Marion Mahlo und Bruno Gold (Karlstadt), Sebastian Reich (Würzburg), Alexander Göttlicher (Betzenstein), Altneihauser Feierwehrkapell'n, Schautanzgruppe der TSG Veitshöchheim, Michl Müller (Garitz), Tanz-Paar und Tanzmariechen: Sarah Philips und Christian Müller (Nürnberg), Liana Wolf (Schwabach), Bianca Dürrbeck (Röttenbach).
Landtagspräsidentin Barbara Stamm kam nach vielen Jahren mal wieder im blauen Kleid – und zwar als „Königin der Nacht“. Für die leidenschaftliche Fasenachterin ist Veitshöchheim einer der Höhepunkte im Jahr, „und es hat sich ja rumgesprochen, dass wir da gerne bis zum Morgen durchmachen“, sagte sie.
Stamms Tochter, der Grünen-Landtagsabgeordneten Claudia Stamm, gelang ein toller Coup: Sie verkleidete sich als Horst Seehofer und drückte dem Original gleich ein Schild in die Hand: „Stromtrassen nein“, stand darauf. Der Ministerpräsident nahm’s mit Humor: „Endlich kann man Seehofer mal anschauen, ich könnte mich fast in ihn verlieben.“
Bischof Friedhelm Hofmann erschien traditionell mit Kölner Karnevalskappe und lobte die Fastnacht fast überschwänglich: „Ich freue mich vor allem auf die Büttenreden, die sind hier in Veitshöchheim die Spitze des intellektuellen Karnevals in Deutschland.“
Als Mahatma Gandhi – stilecht in Sandalen, mit Brille und lichtem Haar – ging der bayerische Finanzminister Markus Söder über den roten Teppich.
Fantasievoll verkleidet zeigte sich auch die Opposition: Landtagsabgeordneter Günther Felbinger (Gemünden/Freie Wähler) war in Veitshöchheim auf Safari, SPD-Fraktionsvorsitzender Markus Rinderspacher verblüffte als Ork, und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Margarete Bause kam als Chinesin.
Staatssekretärin Dorothee Bär, im Ministerium für digitale Infrastruktur zuständig, freute sich besonders auf Michl Müller. Dass kaum jemand Bärs Glasfaserkabel-Verkleidung als
„1 Gigabyte“ erkannte, nahm sie mit Humor. Das schnelle Internet sei eben in der unterfränkischen Ebene noch nicht so bekannt . . .
was man will. Auch in einer Faschingsverantaltung dürfen Anstand und Respekt
nicht vergessen vergessen werden. Es gehört sich nicht, einem Bischof mit einer
Klobürste in die Haare zu fahren oder wie bei seinem Nachbarn geschehen, mit Spucke
die Glatze zu polieren. Dieser Auftritt war total daneben!
Was haben sich denn dabei die Verantwortlichen bei der Faschingsgesellschaft und
beim Fernsehen gedacht? Würzburg soll froh sein, einen Bischof zu haben, der solche
Veranstaltungen besucht!
Ansonsten volle Zustimmung: Frau Procter war nebenbei bemerkt m.E. die schwächste "Darbietung" seit Jahren....
Mmh, möglicherweise liegt es daran, dass der "Fasching" als bairischer Begriff ein "Autoritätenbashing" nicht kennt....
Die fränkische Fasenacht schon...