
Als fantastisch, großartig, fast märchenhaft beschreibt Michael Ballhaus seine Jugend in Franken. Der 78-Jährige ist der Sohn der Schauspieler und Gründer des Fränkischen Theaters, Lena Hutter und Oskar Ballhaus. Im Gespräch verrät der bekannte Bildregisseur und Kameramann persönliche Erinnerungen an Wetzhausen, Stöckach und Würzburg. Dazu gibt es kleine Szenen aus seinem Buch: „Bilder im Kopf“ (320 Seiten, DVA, 22,99 Euro).
Michael Ballhaus: Das war gar nicht meine Absicht. Eigentlich hatte meine zweite Frau Sherry Hormann die Idee zu diesem Buch. Ich bin sehr glücklich, dass ich nach dem plötzlichen Tod meiner ersten Frau Helga vor fast acht Jahren noch einmal eine wunderbare Frau kennenlernen durfte. Sherry ist das Glück meines Lebens. Sie kommt auch aus dem Filmgeschäft und ist Regisseurin. Ich habe ihr viele Geschichten erzählt. Sie meinte irgendwann, dass es doch sehr schade wäre, wenn alle diese Erinnerungen, verloren gehen würden. Sie hat mich angehalten, alles aufzuschreiben.
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Nach dem plötzlichen Tod von Helga Ballhaus 2006 verließ der Kameramann Hollywood beziehungsweise Los Angeles und zog wieder ganz nach Berlin. Einige Jahre später lernte er die Regisseurin Sherry Hormann kennen und lieben. 2011 war die Hochzeit. Obwohl er keinen Film mehr drehen wollte, machte er für seine neue Frau eine Ausnahme: 2013 kam ihr Gemeinschaftswerk „3096 Tage“, ein Film über das Schicksal von Natascha Kampusch ins Kino.
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Ballhaus: Ich bin ja auch in Franken groß geworden, das war sicher für uns eine Verbindung. Aber für das Buch spielte das keine so große Rolle. Ich saß mit ihm viele Stunden zusammen, danach schrieb er alles auf. Ich finde, er hat das sehr gut gemacht.
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Michael Ballhaus wurde am 5. August 1935 in Berlin geboren. 1943 zog seine Mutter mit ihm und seiner jüngeren Schwester Nele 1943 nach Coburg zu ihrer Schwester. Als Vater Oskar Ballhaus aus dem Krieg heimkehrte, gründete er mit seiner Frau das Theater „Coburger Kulturkreis“. 1948 mieteten sie für ihr Theaterprojekt das Schloss in Wetzhausen. Dort lebten alle unter einem Dach: die Eltern samt neuer Partner, die Kinder und die Schauspieler. Michael Ballhaus beschreibt in seinem Buch, dass sein Vater den Hang hatte, sich in die Hauptdarstellerinnen zu verlieben. Als sich die Eltern trennten, habe er mehr Glück gehabt als die meisten Scheidungskinder, weil die Familie nicht auseinandergerissen wurde. Das verbindende Element war das Theater, alle waren Schauspieler, auch die neuen Partner der Eltern.
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Ballhaus: Nach Würzburg kam ich vor fast 60 Jahren. Damals habe ich eine Lehre im Fotostudio Selliers begonnen. Diese Ausbildung war tatsächlich mein erster Schritt in meine Berufslaufbahn als Kameramann.
Ballhaus: Fotografiert habe ich schon länger. Mein erster professioneller Fotoapparat war ein Geschenk meiner Eltern. Damals war ich 14 oder 15 Jahre alt. In Wetzhausen wurde ich der hauseigene Bühnenfotograf. Meine erste Begegnung mit dem Film hatte ich in München. Mein Vater kannte den Regisseur Max Ophüls aus Berliner Zeiten. Ich durfte bei den Dreharbeiten zu seinem Film „Lola Montez“ dabei sein. Von da an wollte ich unbedingt Kameramann werden. Aber damals existierten noch keine Filmschulen. Ein bekannter Kameramann gab mir den Rat, dass es das Beste sei, eine Fotolehre zu machen.
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Michael Ballhaus war fasziniert von der Extravaganz Max Ophüls – er ließ für eine Szene in „Lola Montez“ zum Beispiel Bürgersteige gelb und die Menschen grün und blau anmalen. Auch die Art, wie Christian Matras die Kamera bewegte, hatte es dem jungen Michael Ballhaus angetan. Er ließ sie zum Beispiel an einem Seil schwingen. Das inspirierte Ballhaus später zu seiner berühmten 360-Grad-Kamerafahrt im Fassbinder-Film „Martha“. Doch bevor sein Wunsch, selbst Kameramann zu werden, sich erfüllte, lernte er die Feinheiten des Fotografenhandwerks.
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Ballhaus: Die Werkstatt kehren musste ich nicht, aber den Ofen heizen. Wie ein Lehrling wurde ich aber nicht behandelt, eher wie ein Geselle. Und ich hatte Glück: Mein Chef, der Felix, nahm mich abends immer auf seine Stadtrundgänge mit. Er hat gerne Schaufenster fotografiert. Wir hatten schöne Gespräche, und ich habe viel von ihm gelernt, etwa, wie man Spannung ins Bild bringt. Danach lud er mich oft zu einem Knäudele und einem Bier ein. Das gefiel mir natürlich sehr.
Ballhaus: Das war eine Hochzeit. Felix de Selliers wusste ja, dass ich bereits viel im Theater meiner Eltern fotografiert hatte. Deswegen schickte er mich gleich zu Beginn meiner Lehrzeit mit einer Rolleiflex in die Kirche, in welche, weiß ich aber nicht mehr. Als er meine Fotos hinterher ansah, meinte er, ich sei nicht nah genug rangegangen, man sehe ja gar nicht, wie Braut und Bräutigam die Ringe wechseln. Ich gebe zu, anfangs habe ich mich nicht getraut, um den Altar herumzuhüpfen. Später dann habe ich das gelernt und wurde mutiger.
Ballhaus: Ich habe seit Jahren vor, wieder einmal nach Würzburg zu kommen. Irma lebt ja noch, und ihre Telefonnummer habe ich auch. Wenn ich demnächst ein paar Tage in meinem Haus in den Haßbergen verbringe, dann will ich versuchen, meine alte Chefin zu sehen. Sie und mein Freund Hans-Otto von Truchseß, den ich als Kind in Wetzhausen kennengelernt habe, sind ja meine einzige Verbindung nach Würzburg. Ihn möchte ich ebenfalls gerne besuchen. Denn wir haben uns, als ich in Amerika war, ein wenig aus den Augen verloren. Aber erst kürzlich habe ich mit ihm telefoniert, und das war so, als ob unsere Verbindung nie abgerissen sei.
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Michael Ballhaus war zum Beispiel auch 1994 in Würzburg – als Gast beim Internationalen Filmwochenende. Viele Erinnerungen daran habe er aber nicht mehr, sagt er, er wisse aber noch, dass er vom Publikum sehr freundlich aufgenommen worden sei.
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Ballhaus: Ich erinnere mich eher an die gute Atmosphäre. Felix war manchmal ein wenig streng, Irma das ausgleichende, freundliche Element. Und sie war ebenfalls eine sehr gute Fotografin. Ich mochte sie sehr gerne und hatte eine gute Zeit damals in Würzburg.
Ballhaus: Na ja, ich denke, wenn man später eine gewisse Bekanntheit erlangt, dann wird das, was vorher war, also wie ich mich in meiner Lehrzeit angestellt habe, wohl auch ein wenig verherrlicht.
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Auf Nachfrage erzählt Margarete de Selliers, dass sie bei ihrem späteren Mann 1968 eine Lehre gemacht habe. Felix de Selliers habe Michael Ballhaus als „Wunderstift meines Lebens“ bezeichnet. Er sei ein Naturtalent gewesen. Man hätte ihm nur ein Mal etwas erklären müssen, und dann habe er es perfekt umgesetzt. Margarete de Selliers glaubt, dass es ihr Mann sehr bedauert hat, das nach der Lehre der Kontakt zu Michael Ballhaus abgebrochen sei. Felix de Selliers ist 1977 gestorben. Zu dieser Zeit arbeitete Ballhaus mit Regisseur Rainer Werner Fassbinder zusammen. 1985 ging es dann in die USA. Dort drehte er viele Filme mit Martin Scorsese, laut Ballhaus, erfüllte sich damit ein Wunschtraum.
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Ballhaus: Ich leide am Grünen Star, habe noch 20 Prozent Sehkraft und komme im normalen Leben sehr gut zurecht. Ich kenne mich in meiner Wohnung aus, ich kann einkaufen gehen, in meinem Berliner Kiez bin ich zu Hause. Das ist alles kein Problem. Geärgert habe ich mich allerdings über Schlagzeilen in Boulevard-Zeitungen wie: „Ballhaus erblindet!“. Ich erblinde noch lange nicht!
Ballhaus: Ich muss gestehen, dass es in manchen Momenten in meinem Leben doch sehr traurig ist, dass mein Augenlicht schwindet. Aber ich hatte genug Zeit, mich darauf einzustellen. Ich weiß von dieser Erkrankung seit 20 Jahren. Ich konnte mich also daran gewöhnen, dass ich eines Tages nur noch wenig sehen werde.
Ballhaus: Ich habe die Liebe zu Hörbüchern entdeckt. Wenn sie von guten Sprechern vorgelesen werden, dann entstehen in meinem Kopf natürlich sehr viele Bilder. Teilweise sind die Bilder so stark, dass ich sie zeichnen könnte. Das ist eine ganz neue und sehr gute Erfahrung. Denn ich habe viel gearbeitet in meinem Leben, ich habe fast 100 Filme gedreht. Während meiner Arbeitszeit bin ich nicht viel zum Lesen gekommen. Und jetzt, plötzlich, entdecke ich die Weltliteratur. Das ist ein großer Schatz, den ich gerade dabei bin zu heben.
Ballhaus: Dass ich jetzt gerne Literatur anhöre, hat natürlich auch mit meiner Jugend zu tun. Wenn man, so wie ich, im Theater groß wird und sich jedes Theaterstück so oft angeschaut hat wie ich damals, und erlebt, was da passiert mit einem, und was auf der Bühne passiert mit den Schauspielern, das sind Erfahrungen, die bleiben das ganze Leben. Das sind immer noch sehr starke Eindrücke. Ich hatte eine unglaublich fantastische Jugend. Das war einfach großartig, fast märchenhaft.
Ballhaus: Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob man in einer Kleinfamilie aufwächst, wie es damals üblich war, oder in einer bunten Großfamilie, in der sich die Zusammensetzung der Mitglieder immer wieder geändert hat. Wir saßen manchmal zu zwölft am Tisch. Diese Möglichkeit der Kommunikation mit erwachsenen Menschen, das ist schon was ganz Besonderes.
Ballhaus: Wie das eben so ist, wenn Menschen in einem Haus zusammenwohnen – Männlein und Weiblein gemeinsam. Da tut sich so einiges . . .
Ballhaus: Ich empfinde es noch heute als etwas Ungewöhnliches, so in die Liebe eingeführt zu werden, wie das bei mir der Fall war. Aber meine ganze Jugend war ungewöhnlich. Die Erfahrungen schwingen immer noch mit, sie haben mein Leben geprägt.
Ballhaus: Stöckach habe ich in sehr schöner Erinnerung. Dort habe ich meine Frau Helga kennengelernt. Später gehörte es sogar einige Jahre der Familie. Anschließend hat das Schloss ein Zahnarzt aus Hofheim erworben und es wunderschön renoviert, es war ja doch sehr heruntergekommen, nachdem wir es verlassen hatten. Er hat es leider auch wieder verkauft. Ich hoffe, dass es wieder in guten Händen ist.
Ballhaus: Das ist ein 150 Jahre alter Pfarrhof mit einer großen Scheune. Alles ist sehr schön und die Gegend paradiesisch, direkt an den Haßbergen. Dieses Haus werde ich sicher nie verkaufen.
Ballhaus: Es war praktisch. Wir haben in Stöckach einen Krimi gedreht: „Chinesisches Roulette“. Das Schloss war ein Ort, der sich sehr gut dafür eignete. Es war auch preisgünstig, in Franken einen Film zu drehen.
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Auch in der Wohnung der Tante in Coburg wurden einige Szenen eines Fassbinder-Films gedreht: „Die Ehe der Maria Braun“ mit Hanna Schygulla. Fassbinder hatte laut Ballhaus die Angewohnheit, seine Filmfamilie um sich zu scharen. Diese Großfamilie habe sich aber sehr von der Theaterfamilie seiner Eltern unterschieden. Fassbinder habe sich, wenn er alle um sich hatte, immer wie ein Patriarch aufgeführt, so Ballhaus. Im ländlichen Stöckach beispielsweise habe sich Fassbinder so wohlgefühlt, dass es ihn entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten nicht in die nächste Stadt in die Schwulenbars zog. In Stöckach verschwammen auch die Grenzen zwischen Film und Leben, denn nach dem Abendessen wurde chinesisches Roulette gespielt. Ballhaus beschreibt Fassbinder als einen Menschen, der so schwer gestört war, dass er zu normalen Beziehungen nicht fähig war. Nach 16 Filmen mit ihm war Schluss.
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Ballhaus: Wenn man im Theater groß wird, liebt man diesen Beruf und die Schauspieler. Und wenn sie das spüren vor der Kamera, dann entsteht da auch eine andere Beziehung. Der große Respekt, den ich vor diesem Beruf habe, der überträgt sich auch auf die Schauspieler selbst.
Ballhaus: . . . das ist richtig. Und dies geschieht immer in Verbindung mit einer Geschichte, also mit dem Charakter einer Figur, die man da porträtiert. Und das macht ja noch zusätzlich etwas mit der Geschichte. Ebenso der Blick auf die Frauen.
Ballhaus: Emma Thompson war gebunden und ich ebenfalls. Wir hatten beide nicht das Gefühl, dass wir das zerstören sollten. Es ist etwas Wunderbares, wenn man plötzlich einen Menschen trifft, bei dem man das Gefühl hat, dass man ihn schon lange kennt. Das kommt im Leben nicht so oft vor.
Ballhaus: So würde ich das nicht nennen. Natürlich flirten Schauspielerinnen mal mit dem Kameramann und hoffen, dass sie dadurch etwas schöner gemacht werden. Aber für so etwas war ich nicht empfänglich, weil ich von vornherein wollte, dass Schauspielerinnen schön aussehen. Das habe ich ja nicht nur den Frauen zuliebe getan. Das war mein Beruf.
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Michael Ballhaus erinnert sich zum Beispiel an Michelle Pfeiffer als Susi Diamond in „Die fabelhaften Baker Boys“ (Regie: Steven Kloves). Sie sei eine schöne Frau und zerbrechlich. Für die Rolle der Susi Diamond habe sie aber mehr Härte, mehr Eigensinn und eine größere Präsenz gebraucht. Das sei dann eine Frage der Inszenierung, des Lichts beim Dreh, aber auch des Make-ups gewesen. Auch Meryl Streep ist laut Ballhaus schön. Als sie jedoch 41-jährig eine zehn Jahre jüngere Frau in Mike Nichols' Film „Postcards from the Edge“ spielen sollte, gab es Probleme. Wenn sie sich nicht gefiel, habe sie Ballhaus die Schuld gegeben, obwohl er sie immer so fotografiert habe, dass sie möglichst gut und attraktiv aussah.
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Ballhaus: Meistens. Meine Familie, meine erste Frau Helga und die beiden Söhne, waren häufig bei den Dreharbeiten bei mir. In meinem Buch wird, so glaube ich, deutlich, dass Helga ein sehr starker Anker war.
Ballhaus: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und sehen uns, so oft es geht.
Ballhaus: Natürlich – wie viele Millionen Kinder weltweit. Selbst in den USA waren die „Sams“-Bücher von Paul Maar sehr beliebt.
Ballhaus: Ich wollte nie ein Markenzeichen, ich wollte eine Hose haben, die nicht runterfällt, wenn ich dünn bin, und die mir Raum lässt, wenn ich dick bin. Deshalb habe ich Hosenträger an. Ich wollte ein bisschen Freiheit um die Hüfte haben.