Marley darf mehr als andere Hunde dieses Kalibers. Ja, der Golden Doodle muss mit seinen 28 Kilogramm Lebendgewicht sogar auf das Sofa oder ins Bett springen. Seine Fürsorge für Frauchen erwacht, wenn er bei ihr Unterzucker schnuppert. Marley ist Diabetiker-Hund und somit eine Art Lebensversicherung für Sabrina Weinand aus Aura an der Saale (Lkr. Bad Kissingen).
„In Deutschland ist das relativ neu“, sagt die 25-Jährige, während sie ihrem Liebling mit dem flauschigen Fell ein paar Streicheleinheiten gönnt. In den Vereinigten Staaten ist diese Art von Servicehund schon weiter verbreitet.
Der einjährige Kumpel ist noch in der Ausbildung und trotzdem bereits ein unverzichtbares Familienmitglied. Mit seiner feinen Nase nimmt er immer besser wahr, wenn Sabrina Weinand das Bewusstsein zu verlieren droht, weil ihr Blutzuckerspiegel bedenklich sinkt.
Sie selbst merkt das nicht, weil sie eine Hypowahrnehmungsstörung hat. Warnsignale für Unterzucker, wie Schwitzen oder Lallen, treten nicht mehr auf. Von jetzt auf gleich kann ihr Zustand lebensbedrohend werden.
Im Falle eines Falles gibt Marley Laut. Außerdem bringt er ein Notfall-Etui und holt die nötige Zuckerdosis heraus. Als Anreiz mit dabei ist auch ein Leckerli für ihn selbst. Belohnung ist wichtig in der Hundeerziehung. Wenn Marley Unterzucker meldet, bekommt er etwas von seiner Lieblingsleberwurst aus der Tube.
Wissbegierig lernt der Vierbeiner dazu. Sogar das Notfallhandy kann der Golden Doodle inzwischen bedienen. Etwa, wenn die Arzthelferin auf einer der ausgedehnten Gassi-Touren mit dem Fahrrad unterwegs Probleme bekommt. Über den Zug an einer Schnur setzt Marley via SMS die Alarmkette in Gang.
Der knuffige Golden Doodle ist für die Aufgabe prädestiniert. Es handelt sich um eine Mischung von Golden Retriever und sehr intelligentem Königspudel. „Er muss seinem Frauchen gefallen wollen“, nennt Weinand einen erforderlichen Charakterzug. Das wollen viele Rassen. Nicht alle sind geeignet. Jagdhunde zum Beispiel scheitern an den geforderten Aufgaben.
Zweifel aus den Reihen der eigenen Familie gegen die Qualitäten des Hundes sind inzwischen verflogen. Die halbjährige Ausbildung verlangt ihm einiges ab. Einmal im Monat fährt Sabrina Weinand bis zur Prüfung zu einer Hundeschule an die Ostsee. Natürlich sei die Ausbildung auch anstrengend, sagt Marleys Frauchen. Obendrein gibt es keine Zuschüsse von der Krankenkasse.
Üben, üben, üben und noch mal üben, heißt es auch daheim. Mit vier Gläsern voller T-Shirts, die sie in verschiedenen Phasen der Unterzuckerung getragen hat, konditioniert sie ihren Hund. „Unsere Beziehung ist besonders intensiv“, erzählt Sabrina Weinand. Das stört sie nicht – auch wenn Marley anfangs beleidigt war, als sie ohne ihn zur Arbeit ging.
Erkenntlich ist die Rolle von Marley als Hypo-Hund an einer knallgelben Weste. Wenn die Prüfung bestanden ist, kommt noch eine Karte dazu, die den tierischen Helfer ausweist. Sich ausschließlich auf ihn zu verlassen, wäre allerdings ein bisschen riskant, sagt sein Frauchen. Dann auch Marley hat wie wir Menschen mal einen schlechten Tag. „Trotzdem ist er eine Erleichterung für uns alle“, sagt Sabrina Weinand zu der neu gewonnenen Sicherheit. Sie steht seitdem nicht mehr ständig unter Kontrolle. Vorbei auch die Sorgen der Mutter. Sie hatte bisher oft angerufen, um sich zu versichern, dass ihre Tochter bei Bewusstsein ist.
Hunde als Helfer in der Not
Den zu niedrigen Blutzuckerspiegel bezeichnen Mediziner als Hypoglykämie. Unruhe, Heißhunger aber auch Krämpfe und der sogenannte Zuckerschock können die Folgen sein. Wie die Warnhunde Unterzuckerung erkennen, ist nicht abschließend erforscht. Untersuchungen haben ergeben, dass die Tiere Veränderungen im Geruch des Atems und des Schweißes der Diabetiker wahrnehmen. Eine Reaktion auf Muskelzuckungen, vor allem im Bereich der Augen, und weitere optische Anzeichen werden ebenfalls nicht ausgeschlossen. Anfallwarnhunde können aber nicht nur Diabetikern helfen, sondern auch Epilepsiepatienten vor Unfällen bewahren und Hilfe holen. Die Neurologische Klinik des Bad Neustädter Rhönklinikums, die Epilepsieberatungsstelle Unterfranken in Würzburg und die Stiftung „Hunde helfen leben“ (Jülich) begannen eine Kooperation, um Menschen in der Region zu unterstützen, denen ein Anfallwarnhund helfen kann. Die Tiere kommen – anders als etwa Blindenführhunde – schon als Welpen zu den Patienten und werden dort ausgebildet, damit sie ihre Wahrnehmung für die Erkrankung ihres Menschen schärfen und das individuell Notwendige lernen können. So holt ein Anfallwarnhund bei einem kleinen Kind beispielsweise die Mutter, heißt es in einer Pressemitteilung der Stiftung. Bei einem Erwachsenen bellt der Hund, wenn ein Anfall kommt. Die Tiere können eine Notklingel auslösen oder direkt etwa einen Angehörigen zu Hilfe holen. Darüber hinaus sind sie vor oder während eines Anfalls eine Stütze. Sie hindern beispielsweise Patienten daran, Treppen hinunterzufallen oder auf die Straße zu laufen. Sie können den Menschen zum nächsten Sitzplatz bringen, wärmen oder nach Hause geleiten.
ONLINE-TIPP
Die Serie „tierisch!“ stellt Themen rund um Mensch und Tier vor. Beim Haustier-Fotowettbewerb können Sie gewinnen. Infos dazu und die Artikel der Serie finden Sie auf www.facebook.com/haustierischwww.mainpost.de/tierisch. Diskutieren können Sie auf