
Leonie (15) ist in ihrem Element. Sie schaut ihrem Gegenüber offen ins Gesicht. Argumentiert fair, sicher und punktgenau. Zerlegt die Einwände, die vom Rednerpult auf der anderen Seite der Bühne kommen, in Einzelteile, setzt sie neu zusammen, macht sie sich zu eigen.
Ob beim Schulentscheid im Matthias-Grünewald-Gymnasium in Würzburg, beim Bezirksentscheid, im Bayerischen Landesfinale: Leonie Schömig aus Rimpar (Lkr. Würzburg) überzeugt die Jurys. Erreicht das scheinbar Unerreichbare. Ist plötzlich ganz vorne dabei. Deutschlandweit. Fährt an diesem Wochenende zum Bundesfinale nach Berlin.
Bei der Siegerehrung im Bayerischen Landtag in München Anfang April ist der Groschen bei Leonie im Gegensatz zu ihrem Scharfsinn in den Debatten erst sehr spät gefallen. „Ich hab derart blöd geschaut, als ich aufgerufen wurde, dass alle erst mal losgelacht haben“, erinnert sie sich. Und weil München schon so groß war für sie, ist die Sache in Berlin eigentlich nur noch Freude und Bestätigung.
Peinlich wäre ein Blackout
Klar sei sie kurz vor den Debatten aufgeregt, und klar mache man sich Gedanken. „Aber mehr darüber, ob einem etwas Peinliches passieren könnte“, sagt Leonie. Ein Blackout etwa. Doch daran will sie jetzt lieber nicht denken. Wenn sie sich ein Thema aussuchen dürfte, dann wäre das sicher ein soziales Thema. Oder eines der Themen vom Bundesfinale im Vorjahr. „Sollten Präparate zur geistigen Leistungssteigerung rezeptfrei angeboten werden?“ Das sei eine großartige Debatte gewesen.
„Ich schau mir das schon auf Youtube zur Vorbereitung an, Bundestagsdebatten auch manchmal. Der Alptraum für sie sind Sportthemen. „Klar kann man alles vorab recherchieren und sich in jedem Thema fitmachen – aber Fußball, das wäre schon blöd für mich.“ Und noch etwas wäre für die überzeugte Vegetarierin gar nicht schön: „Wenn ich gegen meine persönliche Überzeugung, also pro Fleisch essen, argumentieren müsste!“ Natürlich, so räumt Leonie ein, sei aber genau das auch die Kunst des Debattierens. „Man muss sich komplett freimachen von persönlichen Ansichten und Emotionen.
“ Je nüchterner und sachlicher man argumentiere, desto besser. Viele würden Diskutieren und Debattieren verwechseln. „Dabei ist das etwas Grundverschiedenes.“
Die große Entscheidung im Bundesfinale 2015 fällt an diesem Samstag, 27. Juni. Die Debatten laufen zwischen 11 Uhr und 13 Uhr im Großen Sendesaal des Haus des Rundfunks (rbb) und werden live übertragen. Die Regeln im Wettbewerb sind klar: pro Debatte vier Schüler/innen, eine Streitfrage, 24 Minuten Dauer. Es gibt zwei Wettbewerbsgruppen: Jahrgangsstufe 8-10 und Jahrgangsstufe 10-13. Im Vorjahr waren 800 Zuhörer da.
Da kann es einem vor Aufregung schon mal die Sprache verschlagen. Oder, Leonie? Die Schülerin lacht, nickt und kaut erst einmal zu Ende. Leonie sitzt beim Mittagessen im Speisesaal auf Burg Rothenfels (Lkr. Main-Spessart). Umgeben ist sie dabei von den anderen Landessiegern und Siegerinnen des diesjährigen Wettbewerbes. Die Stimmung ist fröhlich, ausgelassen, das mehrtägige Seminar betrachten die meisten nicht als knallharte Wettbewerbsvorbereitung, sondern als das, was es laut Veranstalter auch ist: ein Geschenk. Etwas, das Spaß macht, das einen weiterbringt.
So oder so. Mit oder ohne Sieg in Berlin. Ich hab nichts zu verlieren“, sagt Leonie, derweil der Mitbegründer von „Jugend debattiert“, Ansgar Kemmann, die Jugendlichen zur Burgführung zusammentrommelt.
Teil sprachlich-politischer Bildung
Kemmann ist leidenschaftlicher Debattierfan, zu Studienzeiten gründete er in Tübingen einen Debattier-Club, ist bis heute von der großen Auswirkung des Projektes auf das Demokratieverständnis junger Menschen überzeugt. Er leitet das Projektbüro „Jugend debattiert“ der gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Frankfurt. „Das ist ein ganz großes Rad, das wir mittlerweile drehen“, erklärt Kemmann. Und dass sich dieses Rad auch in anderen Ländern zu drehen beginne. In der Ukraine zum Beispiel. „Eine der Siegerinnen ist aus Donezk. Wir wissen, unter welch schwierigen Bedingungen sie mit ihrer Mutter nach Kiew zum Finale gereist ist. Die beiden sind echte Risiken eingegangen, waren getragen vom großen Wunsch, dabei zu sein. Das berührt mich sehr.“
In Deutschland ist „Jugend debattiert“ der größte bundesweite Schülerwettbewerb zur sprachlich-politischen Bildung. 200 000 Schülerinnen und Schüler, 7800 Lehrerinnen und Lehrer an fast 1100 Schulen nehmen jährlich daran teil, Schirmherr ist Bundespräsident Joachim Gauck.
Debattieren, sagt Leonie, könne man lernen. Das Talent zum Schlagabtausch in der Öffentlichkeit indes muss man haben. „Wer sehr schüchtern ist, dem rate ich von einer Teilnahme ab.“ Leonie stand bereits im Kindergarten gerne auf der Bühne. „Und meine Mutter hat schon immer gesagt, dass ich im Diskutieren und Debattieren unschlagbar bin – naja, aber da ging es eher um Mitarbeit im Haushalt“, sagt Leonie lachend. Auch ein schönes Thema . . .