Sonntags um sieben in der Früh gehört der Park allerlei Getier. Mit großen Augen staunt ein flinkes Eichhörnchen in den jungen Tag. Ein vielstimmiges Vogelorchester jubiliert sich wach, nur die schwarze Amsel kann nicht einstimmen. Sie muss den langen Wurm in ihrem gelben Schnabel verschnabulieren. Derweil liegen Enten mit schwarzem Höcker auf der Nase träge um den verwunschenen kleinen See. Ein Karpfenschwarm schwänzelt sich gleich daneben durch das trübe Wasser des großen Sees und lässt den sich spiegelnden Parnass auseinanderbröseln.
Noch sind Tiere und das illustre Völkchen, das sich in Nischen, zwischen Blätterwänden und Buchenhecken selbstbewusst behauptet, unter sich. Später, wenn Besucher und Bustouristen den Rokokogarten von Veitshöchheim (Landkreis Würzburg) bevölkern, scheinen die Sonnenstrahlen alles hier zum Leben zu erwecken. Plötzlich blinkern die Glockenblumen blau durch das Moos auf den Sockeln. Im Schattenspiel sieht es so aus, als lupfe manch steinerne Schöne ihren locker fallenden Rock. Fast könnte man meinen, sie spitze kokett die Lippen. In einem der vielen grünen Kabinette reicht ein Faun einer Dame die Trauben, an anderer Stelle stutzt der gestrenge Gott Chronos dem mit weit geöffnetem Mund plärrenden kleinen Eros die Flügel.
Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim war es, der zur Verschönerung des Gartens an seinem Landschlösschen von Würzburg mainabwärts den Auftrag gab, steinerne Skulpturen zu schaffen. Vor seiner Zeit war hier ein Jagdsitz mit Tiergarten. 1680 ließ Fürstbischof Peter Philipp von Dernbach, den man „Peter Lustig“ nannte, nach Plänen von Antonio Petrini ein Sommerhaus bauen, Balthasar Neumann fügte Seitenflügel an. 1702/03 wurde der Garten unter Fürstbischof Johann Philipp von Greiffenclau zu einem „großen Lust, Zier-, Blumen-, Obst- und Küchengarten“ umgestaltet, mit einer hohen Mauer umgeben, eine Schlossterrasse und die beiden Seen angelegt.
Sechzig Jahre später wünschte jener Seinsheim, ein aufgeklärter Fürst und Wohltäter, der auch das niedere Volk durch seinen Park spazieren ließ, einen Garten nach französischem Vorbild mit schnurgeraden Wegen, Heckenkabinetten, Wasserspielen, Lauben, Pavillons und Rondells. Als Kind seiner Zeit wollte er wie alle anderen Blaublütigen seinen Rokokogarten als Repräsentationsgelände nutzen. In dieser Symphonie aus elegantem Grün fehlten nur noch steinerne Skulpturen.
Folglich hatten Steinmetze und Handwerker jede Menge zu tun, den leichtlebigen Rokokogeist in Stein zu meißeln. Ferdinand Tietz und eine Handvoll seiner Gesellen, Bildhauer aus der Auvera-Familie und Johann Peter Wagner, der mit der Ausgestaltung des Würzburger Hofgartens in die Geschichte einging, waren damit beschäftigt, Hermen mit faunischem Grinsen, steinerne Bänke, üppige Vasen, grazile Göttinnen, fletschende Fabelwesen, Fantasiegetier und grinsende Sphinxe aus Stein herauszuklopfen. Die Steinmetze waren nicht die Einzigen, die mit der zu ihrer Entstehungszeit farbig gefassten Welt der Putten, Götter und Allegorien fürstbischöfliche Lebensart vorführten, philosophische Denkansätze und vergeistigte Frivolität so trefflich vereinigten. Auch der Kunstschmied Johann Anton Oegg oder der Stukkateur Materno Bossi setzten Grundideen und Geist des Auftraggebers um, versehen mit ihrer persönlichen Handschrift.
Während der Herrschaft von Adam Friedrich von Seinsheim war endlich Zeit der Rekreation. Der Siebenjährige Krieg (1756–1763), der allerlei Turbulenzen mit sich gebracht und finanzielle Opfer gekostet hatte, war überstanden und der Fürstbischof konnte es sich erlauben, sich im Sommer aus der stickigen Stadt im Talkessel zurückzuziehen nach Veitshöchheim und Garten und Wasserkunst genießen. Die Funktionsweise der nassen Spiele ist heute an dem 21 Meter hohen Turm mit Wasserrad erklärt.
In dieser Sommeridylle tauchte der von Statur eher unscheinbare Fürstbischof regelmäßig auf, ließ es sich von Zeit zu Zeit in einem der chinesischen Tempelchen gut gehen. Diese Baldachine auf vier Sandsteinsäulen waren in Mode und ein bescheidenes Mahl auf schwerem Sandsteintisch für den der Überlieferung nach ebenso lebenslustigen wie lebensklugen Welt- und Kirchenmann schnell aufgetragen. Den in den nahen Quellwassern gekühlten Wein dazu servierten Diener, die mit dem Rücken zu ihrem Herrn seiner Wünsche harrten.
Wer sich heute unter den Platanendächern niederlässt, durch die düsteren, durch hohe Blättermauern vor Blicken geschützten Laubengänge flaniert, kann sich fühlen wie die Damen und Herren der üppigen Hofgesellschaften. Da gab es zu Wein und kulinarischen Köstlichkeiten Contretanz, Theaterspiel, Musik und Maskerade. Rokokodamen mit weiß gepuderten Perücken, geschnürter Wespentaille und einem Galan am Arm konnten das Leben ebenso genießen wie der Gastgeber, der „letzte Grandseigneur auf dem Bischofsstuhl“, wie er gern genannt wird. Mehrere Tausend Menschen sollen sich zeitweise vor dem Schlösschen, in der dunklen Waldregion, in den lichteren Laubengängen und um die Seen getummelt haben. Und das eine oder andere Pärchen mag sich bis in die bei Dunkelheit sicher geheimnisvolle Nähe des „Schneckenhäuschens“ gewagt haben, dem ebenso kunstvollen wie kitschigen Beispiel italienischer Gartenausstattung dieser Zeit, um anschließend noch an den Seen in eine Oase der Poesie einzutauchen.
Hofgarten Veitshöchheim
Öffnungszeiten: Der Rokokogarten, Echterstraße 10, 97209 Veitshöchheim, ist ganzjährig ab 7 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit geöffnet, längstens bis 20 Uhr. Die Schauräume des Schlosses sind nur im Rahmen einer Führung, die stündlich von 10 bis 17 Uhr angeboten wird, zugänglich. Die Ausstellung zur Geschichte des Hofgartens kann auch ohne Führung besichtigt werden. Für den Spaziergang durch den Hofgarten gibt es einen Audioguide. Von April bis Oktober gibt es täglich von 13 bis 17 Uhr zu jeder vollen Stunde Wasserspiele.
Für Kinder: In der Ausstellung gibt es eine Audioguide-Führung für Kinder (ab Grundschulalter), die als spannendes Hörspiel konzipiert wurde. Die Hauptpersonen darin sind vier Marionetten, die sich in Schaukästen in den Ausstellungsräumen befinden.
ONLINE-TIPP
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