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WÜRZBURG/BERLIN
Kirchen bekennen Schuld
Gedenken ans Kriegsende: In Würzburg trafen sich unter anderem Josef Schuster und Alois Glück.
Foto: Thomas Obermeier | Gedenken ans Kriegsende: In Würzburg trafen sich unter anderem Josef Schuster und Alois Glück.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 08.05.2015 20:32 Uhr

Mit einem „Wort der Verantwortung und Versöhnung“ haben sich die großen christlichen Kirchen am Freitag in Würzburg zu ihrer Verantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus bekannt, vor allem an der Vernichtung der Juden. Bei einer Kundgebung vor 500 Zuhörern auf dem Marktplatz dankte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, den Kirchen für ihr klares Schuldbekenntnis.

Am 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs verlasen Vertreter der römisch-katholischen, der evangelisch-lutherischen, der evangelisch-methodistischen und der russisch-orthodoxen Kirche ihre Erklärung.

Der Mord an sechs Millionen Juden sei ein „unfassbares, grausames und menschenverachtendes Geschehen“, das mit „Unterstützung und Billigung vieler Menschen in Deutschland ins Werk gesetzt“ worden sei. Die christlichen Kirchen hätten es damals mit Ausnahme weniger mutiger Menschen versäumt, Widerstand zu leisten und dem Unrecht entgegenzutreten. „Damit haben sie schwere Schuld auf sich geladen.“ Daraus resultiere heute eine besondere Verantwortung für Menschen jüdischer Religion und andere Minderheiten.

Schuster erinnerte daran, wie verzweifelt die Juden in Europa den 8. Mai 1945 und damit das Ende des Völkermordes herbeigesehnt hatten. Anlässlich des Prozesses gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning betonte der 61-Jährige: „Vergebung kann nur individuell geschehen – und sie kann nur von den Überlebenden kommen.

Ein Nachkomme wie ich kann den Tätern nicht im Namen der Opfer vergeben.“ Gemeinsam könnten Christen und Juden an einer besseren Zukunft arbeiten. Dazu gehöre, sich gegen antisemitische Anfeindungen zu wehren. Die jüdische Gemeinschaft sei froh und dankbar, die Kirchen dabei an der Seite zu wissen, so Schuster. Er bekräftigte seine Forderung, dass jeder Schüler einmal im Leben eine KZ-Gedenkstätte besuchen sollte.

Hinzuschauen und Widerstand zu leisten, wenn Menschen im Alltag einer „Abwertung oder Ausgrenzung“ ausgesetzt sind, versprach Alois Glück, der Vorsitzende des Zentralkomitees der Katholiken, das noch bis Samstag in Würzburg tagt. Die Würzburger evangelische Dekanin Edda Weise würdigte Albrecht Fürst zu Castell-Castell, von dem die Initiative für die Gedenkfeier ausgegangen sei. Castell-Castell engagiert sich seit vielen Jahren für die Aussöhnung von Christen und Juden.

„In Würzburg ist kein Platz für Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus“, hatte zum Auftakt Oberbürgermeister Christian Schuchardt unterstrichen. Er erinnerte daran, dass erst am 14. März bei der Demo „Würzburg ist bunt“ über 5000 Menschen für Weltoffenheit demonstrierten. Die Stadt hatte bereits am Donnerstagabend gemeinsam mit dem Bayerischen Landtag bei einer modernen Multimedia-Inszenierung in der Johannis-Kirche der Kriegsopfer gedacht. Landtagspräsidentin Barbara Stamm zitierte Wolfgang Borcherts Anti-Kriegs-Drama „Draußen vor der Tür“.

Bei der Gedenkstunde des Bundestags hatte am Vormittag in Berlin der Historiker Heinrich August Winkler die deutsche Politik aufgerufen, mehr zu ihrer internationalen Verantwortung zu stehen. Es lasse sich „weder aus dem Holocaust noch aus anderen nationalsozialistischen Verbrechen noch aus dem Zweiten Weltkrieg insgesamt ein deutsches Recht auf Wegsehen ableiten“, mahnte der 76-Jährige in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel.

Scharfe Kritik übte Winkler an Russlands Haltung im Ukraine-Konflikt. 1990 hätten sich 34 Staaten, auch die Sowjetunion, in der Charta von Paris verpflichtet, territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit zu achten. Durch die Krim-Annexion aber werde die europäische Friedensordnung infrage gestellt.

Eine besondere Pflicht zur Solidarität gebe es mit Polen und den baltischen Staaten. Sie, die 1939/40 Opfer der deutsch-sowjetischen Aggression im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes wurden, dürften nie wieder den Eindruck gewinnen, es werde zwischen Berlin und Moskau „irgendetwas über ihre Köpfe und auf ihre Kosten“ entschieden. Mit Infos von DPA

 
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  • H. B.
    Das ist ein längst überfälliger begrüßenswerter Schritt der Kirchen. Wie ist es mit der von der Kirche in Rom gewährten Unterstützung, die nach Ende des 2. WK Nazis zur Flucht nach Südamerika verholfen hat?
    Was mich generell stört, es wird immer nur der ermordeten Menschen jüdischen Glaubens gedacht. Auch Autoren wie Shlomo Sand (Historiker Tel Aviv) bemängeln das. Es gibt in mindestens der gleichen Größenordnung ermordete Sinti, Roma, Homosexuelle, Widerstandskämpfer (Politische), Kirchenleute, russische Kriegsgefangene. Sind die im Gedenken weniger wert? Werden Menschen jüdischen Glaubens höher bewertet im Gedenken? Haben diese ein Monopol darauf?
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  • M. P.
    Wäre die Welt angesichts der Anschläge und Kriege nicht ein bessere, friedlichere Welt, wenn es keine Religionen gäbe.
    Z.B. als Schulkind sagte uns der Pfarrer die Glocken fliegen am Karfreitag nach Rom.
    Das führe zurück zu der Frage, ob Religionen wirklich die Wurzel allen Übels ist.
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