Hinter den Bullaugen der mächtigen 30-Kilo-Industriewaschmaschine zirkeln orangene Overalls, im Gerät daneben gelb-blaue Schuhüberzieher, eins weiter olivgrüne Feinripp-Unterhosen. Die Waschmaschinen laufen derzeit durch, etwa 60-mal am Tag. Was sie reinigen, sind nicht irgendwelche Alltagsklamotten, sondern die Schutzkleidung aus dem inneren Sicherheitsbereich des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld (KKG). Dort herrscht noch bis zum 7. Juni reger Betrieb, etwa 1000 Menschen sind auf dem Gelände: Im ältesten noch aktiven Atommeiler der Bundesrepublik läuft die wahrscheinlich letzte Revision der Geschichte. Ende Mai 2015 soll für das KKG endgültig Schluss sein.
Während der Revision wird einmal im Jahr die Anlage überholt, werden Wartungsarbeiten durchgeführt, Pumpen gereinigt, Verschleißteile ausgetauscht. „Wir sprechen von etwa 4000 einzelnen Arbeiten“, sagt KKG-Sprecher Herbert Liebhaber. In der Hauptleitwarte, wo das Kernkraftwerk gesteuert wird, hängt an der Wand der Ausdruck einer gewaltigen Excel-Tabelle. Auf einer Zeitachse sind die Teilschritte der Revision angeordnet, vom Herunterfahren bis zur Rückkehr ans Netz. Das Blatt Papier ist größer als ein Quadratmeter, die einzelnen Punkte schwappen wie eine abflachende Welle über die horizontale Zeitachse.
Viele der Apparaturen im Kraftwerk haben eine beeindruckende Größe, zum Beispiel die Sicherungen für die mächtigen Wasserpumpen. Sie sind größer als ein Kühlschrank, ausgelegt für die Spannung im Kraftwerksnetz: 10 000 Volt. Jetzt kleben an den Schaltschränken kleine rote Aufkleber, die den Elektrikern versichern, dass die Sicherung „draußen“ ist. Die größte Pumpe im KKG leistet 12000 Kilowatt – „und hat damit den Stromverbrauch eines mittleren Ortes“, erklärt Sprecher Liebhaber.
Doch bei der Revision wird nicht nur um den Kern des Kraftwerks herum gearbeitet, die Arbeiter öffnen bei der Revision auch sein Innerstes, sein strahlendes Herz, den Reaktordruckbehälter. Wer in die mächtige Kuppel aus Stahl und Beton will, braucht die Overalls und Schuh-Überzieher aus der Wäscherei. Durch das tiefblaue Kühlwasser hindurch fällt der Blick direkt hinein. Wie vergittert scheint der Druckbehälter, eine quadratische Öffnung neben der nächsten. Da hinein werden die sechs Meter langen Brennelemente geschoben und fixiert. Jedes einzelne Element besteht wiederum aus vielen, gut daumendicken Brennstäben, die das radioaktive Uran 235 umschließen. 193 Brennelemente passen in den Reaktordruckbehälter.
Bei der Revision werden die Elemente teilweise ausgetauscht und neu angeordnet, um eine optimale Energieausbeute zu erzielen. Denn je nach Position im Druckbehälter sind die Elemente früher oder später „verbraucht“. Bislang hatte Betreiber E.ON bei den jährlichen Arbeiten immer um die 40 Stück durch neue ersetzt, doch hier unterscheidet sich die Revision in diesem Jahr: Man hat keine frischen Elemente eingekauft, sondern ordnet die vorhandenen neu an. Welche Brennstäbe wohin kommen, das errechnen Kernphysiker am Computer.
KKG-Sprecher Liebhaber erklärt, wie das Prozedere abläuft: Die Fachleute erarbeiten vor Ort einen Entwurf, den dann die E.ON-Konzernzentrale in Hannover prüft. Gibt es grünes Licht, muss das Umweltministerium die neue Ordnung im Reaktordruckbehälter genehmigen, während ein Gutachter den Vorschlag zusätzlich unter die Lupe nimmt. Für ihre neue Brennelement-Choreografie können die Physiker auf die 193 Elemente aus dem Reaktordruckbehälter zurückgreifen, plus einige, die im sogenannten Nasslager warten und noch Energie in sich tragen.
Das Nasslager ist gleichzeitig das Abklingbecken, in dem ausgediente Brennelemente ihre stärkste Radioaktivität verlieren sollen, bevor sie ins Zwischenlager auf dem KKG-Gelände gebracht werden können. Etwa 300 Brennelemente strahlen laut Liebhaber derzeit unter der Kuppel. Trotzdem, das betont er, würden die Arbeiter die erlaubte Jahresdosis an Radioaktivität – 20 Millisievert – meist unterschreiten. Wer den Wert erreiche, dürfe nicht weiterarbeiten. Damit jedes noch so kleine radioaktive Staubkörnchen erkannt wird, müssen alle beim Hinein- und Hinausgehen durch eine Strahlenmesskabine. „3...2...1 – nicht kontaminiert“, teilt die Maschine mit nüchterner Frauenstimme mit.
Die Entscheidung, keine neuen Elemente mehr einzusetzen, war rein wirtschaftlicher Natur. Das bestätigt auch KKG-Chef Scheuring. Weil für jedes Gramm frisches Uran die sogenannte Brennelementesteuer anfällt, hatte E.ON nachgerechnet, ob sich der Einkauf angesichts der gesetzlich vorgeschriebenen Abschaltung Ende 2015 überhaupt lohnt. Immerhin geht es hier nicht um einen Betrag aus der Portokasse – sondern um eine Summe, die laut E.ON zwischen 150 und 180 Millionen Euro liegt. Das ist ein Vielfaches des Einkaufspreises, der nach Angaben von KKG-Chef Scheuring bei etwa einer Million Euro pro Brennelement liegt. Und so kam bei der Rechnung heraus, dass es aus unternehmerischer Sicht schlauer ist, keine neuen Elemente zu kaufen und stattdessen den Meiler schon Ende Mai 2015 vom Netz zu nehmen.
Doch man wird sehen müssen, ob es dabei bleibt. Denn dass KKG-Chef Scheuring das Ende seines Kraftwerks für die falsche Entscheidung hält, ist keine Überraschung. „Wir schalten in Deutschland grundsätzlich nur sichere Anlagen ab“, sagt er mit bitterem Lachen. Was er allerdings zur abgeänderten Revision aus Steuergründen sagt, lässt aufhorchen. Das Finanzgericht Hamburg hatte im April Eilanträgen der Energiekonzerne RWE und E.ON gegen die erst Anfang 2011 eingeführte Brennelementesteuer stattgegeben. Nun haben die Konzerne vorläufig 2,2 Milliarden Euro zurückerstattet bekommen, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Die Hamburger Richter waren der Auffassung, dass der Bund gar keine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass der umstrittenen Steuer hat. Die juristische Aufarbeitung des Steuerstreits ist damit aber nicht beendet. Deshalb könne man die Gelder auch noch nicht ergebniswirksam verbuchen, hieß es bei E.ON.
Nun muss sich das Bundesverfassungsgericht mit der Sache beschäftigen, weil nur die Karlsruher über die Rechtmäßigkeit von Gesetzen entscheiden dürfen. Folgt das Bundesverfassungsgericht der Hamburger Entscheidung, würde die vorgezogene Abschaltung des KKG Ende Mai 2015 für E.ON in ganz anderem Licht erscheinen. Kraftwerksleiter Scheuring meint: „Wenn man bis Ende des Jahres juristisch sicher wäre, dass die Brennelementesteuer rechtswidrig wäre, könnte es sein, dass wir noch mal mit spitzem Bleistift prüfen, ob wir im März 2015 nicht doch noch ein paar neue Elemente einsetzen und dann bis Ende 2015 fahren.“
Denn für den März 2015 ist ohnehin noch einmal geplant, den Reaktordruckbehälter zu öffnen. Erneut sollen die Brennelemente neu angeordnet werden. Weil allerdings nicht das große Rad mit der Wartung der gesamten Anlage gedreht werden wird, wäre das keine richtige Revision mehr. „Wir nennen es Boxenstopp“, erklärt Scheuring, KKG-Sprecher Liebhaber nennt die geplante Maßnahme ein „Tanken ohne Kundendienst“.
Am KKG-Ende am 31. Dezember 2015 hat aber auch Scheuring keine Zweifel. Bei allem Frust über den Atomausstieg – er wird seinen Job noch ein paar Jahre behalten. Denn wenn der Meiler vom Netz ist, wird nicht einfach die Tür zugesperrt und Tschüss.
Hört man Kraftwerksleiter Reinhold Scheuring, ist die Entscheidung, was nach dem Laufzeitende mit dem KKG geschehen soll, längst gefallen – und zwar zugunsten des direkten Rückbaus, bei dem die Anlage so schnell wie möglich abgebaut wird. Der sogenannte sichere Einschluss, bei dem der radioaktive Bereich erst einmal für 30 Jahre ummantelt werden würde, ist offensichtlich vom Tisch. „Ich gehe von keiner anderen Maßnahme als dem direkten Rückbau aus“, sagt der KKG-Chef. Aus der Konzernzentrale von E.ON in Hannover gab es dazu bislang kein offizielles Statement.
Für die Mitarbeiter im KKG, das seit 1981 am Netz ist, heißt das, „dass es eine Perspektive gibt“, sagt Scheuring. So oder so folgt nach der Abschaltung der sogenannte Nachbetrieb, während dem die Brennelemente etwas abklingen und dann ins Zwischenlager gebracht werden. „Das dauert so drei bis vier Jahre, der Rückbau danach ungefähr zehn“, kündigt der KKG-Chef an.
Von den derzeit knapp 300 Mitarbeitern würden im Fall eines Rückbaus zwar nicht mehr alle, aber doch viele gebraucht. „Wir haben Zielvorgaben“, sagt Scheuring, „im Nachbetrieb sollen wir auf so 215 bis 210 kommen, danach dann auf etwa 180.“ In der Personalabteilung würden deshalb gerade eifrig Pläne geschmiedet, um ältere Mitarbeiter in den Vorruhestand zu bringen, damit Jüngere auf die Positionen nachrücken können. „In den nächsten Monaten wollen wir das vertraglich alles regeln“, kündigt Scheuring an.
Bei einem Rückbau könnten die beiden 143 Meter hohen Kühltürme mit als erstes aus der Landschaft verschwinden. Dass kein Dampf aus ihnen steigt, ist auch während der Revision das weithin sichtbare Zeichen, dass der Reaktor heruntergefahren ist. Wie das Licht von oben fahl in die kapitalen Betonzylinder scheint, das erinnert an Zeichnungen von Nahtod-Erfahrungen – das Licht am Ende des Tunnels. Jedes Wort, das man in ihnen spricht, werfen die grauen Riesen als Echo zurück. Spielte man hier Musik, es gäbe eine verstörende Akustik. Ein Konzert im Industriedenkmal – „Das wäre doch mal ein schöner Aprilscherz für ihre Zeitung“, feixt Herbert Liebhaber.
Warum bauen die das Ding nicht einfach hier ab und in keine Ahnung wo am besten Königreich weit weit weg wieder auf dann müssten wir wenigstens keine neuen Materialien durch den Strompreis kaufen.
Ich hoffe man erkennt meine Ironie
Warum baut man keine Windräder in der Rhön (z.B. auf dem Kreuzberg).
Oh Gott da verschnadelt man ja die ganze Natur!
Aber wenn so ein Atomraktor hochgeht schreit die ganze Welt.
ansonsten nichts !! e.on und rwe wollten in england und im balkan 5 bis 10 atomkraftwerke bauen, die beiden konzerne sind freiwillig ausgeschieden, die staaten wollten keine subventionen herausrücken.
in temelin waren zwei neue blöcke geplant, auch hier wurden die planungen eingestellt.
auch Sie sollten froh sein, das leben für uns ALLE wird damit sicherer. äh da was doch noch was mit dem atommüll ? haben Sie die lösung ?
Haben sie schon mal etwas von einem Dual-Fluid-Reaktor gehört,
Bestimmt nicht, aber alle schreien immer rum dabei gibt es Möglichkeiten den Atommüll sogar noch sinnvoll zu nutzen und danach weder radioaktiven noch in irgendeiner Weiße kontaminierten Materials übrig bleibt.
Außerdem ist durch das Verbot der Bundesregierung in der Kerntechnik zu forschen auch automatisch verboten worden an einem Endlager zu forschen
en.
Vielleicht sollte man mal das Problem von einer völlig anderen Seite sehen!
Ich habe das dumpfe Gefühl, die heiße Kernfusion hat höhere Chancen auf kommerzielle Umsetzung als das.
Es gibt genug unabhängige Gutachten, die offenlegen, dass die Erzeugung von Strom durch Atomreaktoren bei einer wirklichen Vollkostenrechnung die teuerste Variante der Stromerzeugung ist. So preiswert können Eon und Co nur deshalb den Strom verkaufen, weil die Kosten der KKW-Bauten durch Subventionierung in den 60er und 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts schöngerechnet wurden.
danke für die Hinweise auf die falsch angegebene Leistung der Pumpe. Die Pumpe leistet natürlich 12 Megawatt bzw. 12.000 Kilowatt. Die Zahl wurde im Artikel geändert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Mit freundlichen Grüßen
Nike Bodenbach
Red. Schweinfurt
Kommt da auch eine richtig stellung? Vielleicht einfach mal nachdenken bevor man was veröffentlicht.
ein normler haushaltsüblicher Heizlüfter hat 2 KW Anschlussleistung.
Also würde laut Mainpost ... eine mittlere Ortschaft gerade mal soviel Strom benötigen wie 6 Haushaltsheizlüfter.
Diese Fehlern entdeckt unser technisch so hoch bewanderter Frankenpatriot natürlich nicht.
Dies ist in meinen Augen eine klare Aussage zu seinem Technischen Sachverstand.
Solche Menschen entscheiden mit der Allgemeinheit zusammen über die Energiezukunft unseres Landes.
Dazu gibt es nur dies hier zu sagen:
Wenn man keine Ahnung hat einfach mal die Fresse halten
Ab einer gewissen Größe der Zahl kriegen offenbar die Leute Dimensionsschwierigkeiten!
Denn er hat einfach keine Ahnung!
in jedem Kernkraftwerk der Welt werden schon benutzte Brennelemente eingesetzt um die darin enthaltene Enegiemenge voll auszunutzen.
Wenn man den Bericht aufmerksam ließt erschließt sich das von alleine.
Aber wenn man genau ließt, dann weiß man auch wie genau die Mainpost sich auskennt.
Wenn man den Stromverbrauch eines mittleren Ortes mit 12 KW beziffert und dies auch glaubt .. ja dann ist die Energiewende wirklich machbar und kein Problem.
Zur Info ... die Rede ist von einer Speisewasserpumpe mit 12 MW
Sorry, tiefstes Niveau!
Denn dabei würde das Wasser heißer, die Kühlung müsste verstärkt werden und die Brennelemente würden noch stärker strahlen als jetzt schon. Von daher: was ist hier im Busch?? Hoffentlich macht der nicht den gleichen Fehler wie in Tschernobyl.
Von daher: je eher dieses tickende Zeitbombe vom Netz ist, desto besser für die Region hier. Weg mit dieser hochgefährlichen und tickenden Zeitbombe. Hoffentlich bleibt es bei Ende Mai 2015! Und hoffentlich ohne vorherigen Atomunfall.
ist für sich schon ein Sicherheitsrisiko! Abgebrannte Brennstäbe in einem Reaktor laufen zu lassen, ist ja wohl die absolute Sicherheitsbedrohung! Und was mich dann in dem Kontext mal interessieren würde: plant der Typ etwa heimlich eine Erhöhung der Nennleistung des Reaktors oder wie??