Er würde Englisch-Seminare besuchen, würde Landeskunde lernen und Linguistik: So hatte sich der 19-jährige Tom Maier (Name geändert), frisch gebackener Lehramtsstudent an der Uni Würzburg, den Studienbeginn vorgestellt. Doch Tom Maier, obwohl ordentlich immatrikuliert, sitzt in seinem ersten Semester als Englischstudent nicht in Seminaren, sondern draußen vor der Seminar-Tür: In den Seminaren, die er belegen wollte, hat Maier keinen Platz bekommen. Maier ist einer von Hunderten Würzburger Studenten in gleicher Lage; er ist kein Einzelfall.
Laut Stephan Hemmerich, dem Sprecher der Fachschaft der Philologie Eins, herrscht an der Uni Würzburg besonders in den Geisteswissenschaften – dort vor allem in der Anglistik – ein eklatanter Kursplatzmangel. Um den Mangel beziffern zu können, hat die Fachschaft Listen ausgelegt, in die sich Studenten eintragen sollen, wenn sie Kurse nicht belegen konnten. Danach fehlen bei den Anglistik-Anfängern 268 Kursplätze: Für „Advanced English Practice 1“ bekamen 50 Studenten keinen Platz. Bei der „Einführung in die Englische Literaturwissenschaft“ blieben 67 Studenten außen vor. Bei der „Introduction to American Studies“ fehlten 93 Plätze, bei „English Linguistics“ 58 Plätze.
268 fehlende Anglistik-Kursplätze bei rund 500 Anglistik-Anfängern: ein großes Missverhältnis. „In der Anglistik haben wir viel zu wenige Lehrende für die vielen Studenten. Das Problem ist seit Jahren bekannt; in diesem Wintersemester ist es aufgrund der hohen Erstsemesterzahlen besonders schlimm“, sagt ein Dozent, der seinen Namen nicht öffentlich machen will. Er ermutigt allerdings seine Studenten, für ihre Rechte zu kämpfen und Seminarplätze einzufordern.
„Leider ist mein Kurs schon voll; und mir ist es nicht erlaubt, zusätzliche Studenten aufzunehmen“, schreibt ein Dozent dem unglücklichen Tom Maier, der bei seiner verzweifelten Suche nach einem Kursplatz etliche Dozenten angemailt hat. „Über 60 Studenten musste ich schon ablehnen. Und heute Morgen haben vor meinem Unterrichtsraum 20 weitere Studenten gewartet, in der Hoffnung auf einen Platz im Kurs. Ich kann aber nicht arbeiten mit so einer großen Studentenzahl“, teilt ein anderer Dozent dem Studenten mit.
Der Mangel an Dozenten nicht nur in der Anglistik, sondern auch in der Geschichte und der Romanistik sei die Folge eines Geldmangels, sagt Stephan Hemmerich, der Sprecher der Fachschaft der Philologie Eins. „Vonnöten ist entweder eine Erhöhung der Mittel aus München oder eine gerechtere Verteilung in der Universität, die die Belange der Geisteswissenschaften berücksichtigt“, erklärt die Fachschaft. Uni-Mitarbeiter beklagen, dass die Geisteswissenschaften zugunsten der Naturwissenschaften benachteiligt würden.
Die Studentenzahl in den Geisteswissenschaften sei einfach sehr hoch – auch deshalb, weil Fächer wie Englisch oder Deutsch nicht mit einem Numerus Clausus belegt seien, sagt Uni-Vizepräsident Wolfgang Riedel. Befragt nach dem Kursplatzmangel, bestätigt Riedel gegenüber dieser Zeitung „Engpässe in der Anglistik und in der hochbelasteten Germanistik“. Den Zahlen der Fachschaft, wonach bei den Anglisten 268 Kursplätze fehlen, traut Riedel allerdings nicht; er will entsprechende Untersuchungen der Institutsleitung abwarten. Sollte diese zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie die Fachschaft, müsse überlegt werden, so Riedel, ob kurzfristig mehr Lehraufträge geschaffen werden oder ob in den Seminaren mehr Studenten aufgenommen werden könnten. Dass mehr Geld aus München kommt, hält Riedel für utopisch. Bayern habe große Geldsummen bereitgestellt, als 2012 der doppelte Abijahrgang an die Unis drängte; das Land kompensiere außerdem die ausgefallenen Studiengebühren.
Tom Maier hilft das erstmal nicht. Der junge Mann, der eigentlich studieren wollte, sucht jetzt einen Job.