Noch stehen die vier Springer in den Boxen. Während Wicky, Snorre und Browni unruhig die Nasen nach draußen strecken, bleibt Wölkchen ganz gelassen. Sie ist Sophia Wilperts (15) Favoritin. Sie verweigert vor keinem Hindernis, reißt keine Stange, springt mit vollendeter Technik und in einer Zeit, von der die anderen drei Tiere nur träumen können. Sobald auch Paul und Moppel auf dem Platz sind, geht es los.
Der Parcours auf der Wiese in Schwanfeld (Lkr. Schweinfurt) wirkt wie für das Springreiten im Lande Liliput gemacht. Die bunten Stangen und die Mauer aus vielfarbigen Klötzen sind aber schließlich auch nicht für Pferde und Reiter, sondern für Kaninchen gedacht. Sophia Wilpert und Sofia Popp (14), trainieren an diesem Nachmittag vor dem Hasenstadl mitten im Ort mit ihren wuscheligen bunten Löwenköpfchen und den eleganten Farben- und Rexzwergen mit dem dunkelbraunen, rötlich abgesetzten Fell den Kaninhop.
Der Name des Sports kommt aus Skandinavien, wo er vor etwa drei Jahrzehnten erfunden wurde, erzählt der zweite Vorsitzende und Jugendleiter der Schwanfelder Kaninchenzüchter, Gerhard Wilpert. Bei einer Ausstellung in Bremen lernte er 2001 den Kaninhop kennen und fand, der Sport habe das Potenzial, frischen Wind in die Jugendarbeit des Vereins zu bringen.
Der Plan ging auf. 25 Kinder ließen sich sofort begeistern. 2004 war die erste von etlichen Meisterschaften in Schwanfeld. Die Gruppe konnte sich in den folgenden Jahren vor Neugierigen kaum retten. Journalisten gaben sich die Klinke des Hasenstadls in die Hand. „Wir hatten fast alle Sender hier“, sagt Gerhard Wilpert. 2011 waren die Schwanfelder mit ihren sportlichen Kaninchen gar in einer RTL-Sendung von Comedian Mario Barth in Köln.
Für Tierschützer war die Vorführung im Fernsehen ein Anlass mehr, um in Internet-Foren die Tiere zu bedauern, die in ihren Augen zu nicht artgerechten Höchstleistungen und in den Stress getrieben würden. Sophia Wilpert schüttelt den Kopf. Sie sieht das ganz anders. Sie führt ihre Hasen beim Sport meist nicht mal an der Leine, wie das sonst üblich ist, und lockt sie kaum mit Leckerlis, allenfalls mit einem Zungenschnalzen. „Die Hasen springen von allein. Das zeigt doch, dass es ihnen Spaß macht“, sagt die Fünfzehnjährige. „An Tagen, an denen sie nicht wollen, lassen wir es eben.“ Und wenn so eine lustlose Phase auf einen Wettkampftag fällt? Dann sei das eben Pech. „Dann gibt es halt nur eine Teilnehmerurkunde“, sagt Sophia und grinst. „Aber Wölkchen hüpft immer.“
Das reinweiße Löwenköpfchen ist offenbar eine ganz eifrige Kaninchenfrau. Sie springt über jedes Hindernis ohne Fehler. Sie braucht kein Anfeuerungsschnalzen, und als sie am Ziel ist, dreht sie um und will gleich noch mal den Parcours von hinten aufrollen. Ganz anders die Herren. Sie hoppeln an diesem Nachmittag kreuz und quer über die Wiese. Sofia Popp muss Paul und Moppel ab und zu mit einem sanften Stupser an den Po motivieren, über die Hürden zu springen. Ein bisschen flüssiger geht es, als die Hindernisse in einer Geraden auf dem grünen Teppich aufgebaut sind, den die Tiere vom winterlichen Üben in der Halle kennen. Wenn sie die Strecke ein, zwei Mal absolviert haben, sind sie daran gewöhnt, sagt Gerhard Wilpert. Dann schaffen sie auch Sprünge von etwa 40 Zentimeter Höhe und einem Meter Weite. Skandinavische Häsinnen und Rammler bringen es sage und schreibe auf 1,25 Meter Höhe und drei Meter Weite, weiß der Jugendleiter.
Doch auf das alles kommt es der Schwanfelder Kaninhop-Gruppe im Moment gar nicht an. Im Moment geht es den fünf Jugendlichen mit ihren Tieren nur um den Spaß an der Freude. Meisterschaften seien uninteressant geworden, da die Schiedsrichter für den Sport fehlen. In ganz Bayern gibt es nämlich nur vier Kaninhop-Gruppen, außer der Schwanfelder zwei in Mittelfranken und eine in Oberbayern.
Beim wöchentlichen Treffen der Jugendlichen und ihrer Karnickel im Hasenstadl geht es deshalb auch nicht darum, Leistung zu trainieren. Ihnen gefalle einfach die Beschäftigung mit ihren Tieren, sagen Sophia und Sofia. Nicht nur die Kaninchen lernen dabei, auch der Mensch, nämlich: „Man kann mit den Tieren etwas anfangen, sie müssen nicht nur im Stall sitzen“, sagt Gruppenchef Gerhard Wilpert.
Das scheint auch den Kaninchen zu gefallen. Zumindest an diesem Nachmittag auf der Wiese wirken die sechs teilnehmenden Fellnasen recht entspannt. Wer springen will, springt, wer grasen will, grast. Ab und zu reckt einer die Nase in den Wind. Gestresst scheint nur manchmal Wölkchen als einzige Frau auf dem Platz – denn nicht alle von den fünf Herren sind kastriert. Der Sport allerdings gefalle den Tieren, sind die beiden Mädchen überzeugt. Moppel sei sogar besonders sportlich. Er spiele zu Hause sogar noch Ball mit einem ihrer Hunde, dem Chihuahua Socke, sagt Frauchen Sofia Popp.
Wenn sie auch keine Wettkämpfe mit ihren Tieren bestreiten, so treten die Jugendlichen der Schwanfelder Kaninhop-Gruppe doch ab und zu mit den Karnickeln auf. Sie führten ihren Sport schon in der Schule vor, bei Ostermärkten oder Festen. „Und kurz vor Ostern kommen immer noch Radiosender zu uns, um Reportagen zu machen nach dem Motto 'Wir zeigen, wo die Osterhasen trainiert werden'“, sagt Gerhard Wilpert. Auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern im Seniorenheim sorgten die Mädchen mit ihren plüschigen Kaninchen bereits für Begeisterung.
Um Emotionen ging es auch bei den Meisterschaften, die die Schwanfelder in den vergangenen Jahren ausgerichtet haben. Wie beim Pferdesport fieberten da Tierbesitzer und Publikum mit, wenn die Vierbeiner Hindernisse rissen, verweigerten oder eine Mauer geradewegs durchbrochen, die Schiedsrichter Fehler oder Zeitüberschreitungen notierten. „Die Regeln sind ähnlich wie beim Springreiten“, sagt Gerhard Wilpert. Zweimal wird der Parcours absolviert: Einmal geht es nur darum, fehlerfrei durchzukommen. Beim zweiten Mal sollten die Kaninchen möglichst wenig Fehler machen und auch noch auf Zeit springen. Die Karnickel und ihre „Jockeys“ treten in verschiedenen Schwierigkeitsgraden mit acht bis zehn Hindernissen an, wobei in den Kategorien mittel und schwer auch ein Wassergraben zu überwinden ist.
Wie beim Pferdesport wirken auch die Namen der Tiere. Da gehen nicht nur die Moppels und Wölkchens an den Start. Bei der Meisterschaft 2011 in Schwanfeld standen so edel benannte Tiere wie Curio von Illyrien, DZ Blind Date, Spring of fame oder Lady Butterfly with Flowerpower auf dem Siegertreppchen aus in der Szene bekannten Rennställen.
Springen könnten im Grunde aber alle Kaninchen sagt Wilpert. Und seine Tochter ergänzt, so etwa ein dreiviertel Jahr müssten sie sein, damit die Knochen stabil genug sind. Beim Training sei viel Geduld nötig. Zwang hat keinen Sinn, denn bei der Meisterschaft ist er auch nicht erlaubt. Brustgurt und Leine dienten nur zur Sicherung des Kaninchens, sagt Sophia. „Vor Zuschauern, Autos und Hunden.“ Auf keinen Fall zerre sie damit Tiere über Hindernisse.
Und ein Gutes hat das Kaninhop-Training für die Schwanfelder Rammler und Häsinnen ganz bestimmt: So viel Aufmerksamkeit und so viele Streicheleinheiten wie die kuscheligen Sportler, wenn sie für bezwungene Hindernisse gelobt werden, bekommen Kaninchen in vielen Ställen wahrscheinlich nicht. Denn das gibt auch Sophia Wilpert zu: Um das Versorgen der Tiere und das Ausmisten der Ställe reißt sie sich nicht gerade. Das übernimmt der Papa. Aber der sieht es gelassen. Der Züchter hat selber etwa drei Dutzend Kaninchen, da komme es auf die fünf seiner Tochter nicht mehr an.
Kaninhop
Die Sportart stammt aus Schweden und ist dem Pferdesport Springreiten nachempfunden. An der Schwanfelder Kaninhop-Gruppe können Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren teilnehmen, die ein Kaninchen haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Tiere reinrassig sind oder nicht. Von Vorteil ist es allerdings, wenn Rammler kastriert sind, damit sie sich nicht mehr für die teilnehmenden Häsinnen als für die Hindernisse interessieren. Außerdem sollten die Tiere ein ruhiges und gelassenes Temperament haben, damit sie durch den Parcours und das Training nicht gestresst werden. Info: kaninhop@b1145.de
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