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WÜRZBURG
Josef Schuster: Mahner wider den Antisemitismus
Josef Schuster: Am Sonntag wird der Würzburger Arzt zum Präsidenten des Zentral- rats der Juden gewählt. Das Porträt eines be- kennenden Franken und engagierten Juden.
Soll Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland werden: Josef Schuster.
Foto: Thomas Obermeier | Soll Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland werden: Josef Schuster.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 29.11.2014 11:58 Uhr

Angenehm unaufgeregt im Auftreten. Eher konservativ in der Haltung. Gut strukturiert im Alltag. Ein Freund deutlicher Worte – wenn es denn sein muss. Allesamt Attribute, die Josef Schuster nicht erst in diesen Tagen zugeschrieben werden. Eigenschaften, die der 60-Jährige gut gebrauchen kann, wenn er am Sonntagnachmittag das Amt als Präsident des Zentralrats der Juden antreten wird. Seine Wahl gilt als Formsache. Der Würzburger Mediziner wird Nachfolger von Dieter Graumann, der sich nach vier Jahren nicht zur Wiederwahl stellt.

„Ich fürchte, meine Frau wird mich sonntags noch weniger sehen.“ Josef Schuster stapelt tief, wenn man ihn fragt, mit welchen Veränderungen er denn durch die neue Aufgabe rechnet. Schließlich, so sagt er, sei er bislang schon ehrenamtlich engagiert als Vizepräsident in Deutschland, als Präsident der jüdischen Gemeinden in Bayern, als Vorsitzender der Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken, als Mitglied der Bioethik-Kommission und des Zukunftsrats der bayerischen Staatsregierung . . . Dennoch, als Präsident des Zentralrats der Juden ist man im Land der Shoa eine herausgehobene Persönlichkeit, gefragt als Rufer wider Antisemitismus und Rassismus. Ein Mahner, dessen Worte genau gehört und beachtet werden. „Leider“, sagt Schuster ganz ohne falsche Bescheidenheit. „Ich wäre froh, wenn solch ein Mahner nicht notwendig wäre.“

Aber das ist eine Illusion. Das Ergebnis einer „Stern“-Umfrage, laut der jeder vierte Deutsche keinen jüdischen Nachbarn haben möchte, sei deutlich, sagt Schuster. Schlimmer noch aber findet er, dass sich mittlerweile immer mehr Menschen trauen, Judenfeindlichkeit offen und öffentlich zu artikulieren. Erschreckend sichtbar wurde das zuletzt bei den Protesten gegen das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen. Schuster: „Da werden mir klare Worte auch künftig nicht erspart bleiben.“ So wie sie der designierte Präsident im Sommer gesprochen hat, als er den Sicherheitsbehörden vorwarf, sie hätten „nicht adäquat reagiert“, als bei Demonstrationen Parolen wie „Jude, Jude, feiges Schwein . . .“ skandiert wurden.

Josef Schuster steht künftig unter besonderer Beobachtung, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Präsident des Zentralrats der Juden zählt zu den gefährdetsten Persönlichkeiten in der Bundesrepublik. An Personenschützer und elektronische Überwachung werden sich der 60-Jährige und seine Familie gewöhnen müssen. Details sollen nicht öffentlich werden, aber: „Meine persönliche Freiheit wird eingeschränkt.“ Er hoffe, so der Vater zweier erwachsener Kinder, dass zumindest im Privaten Freiräume ohne Bodyguards bleiben, „und natürlich auch in der Sprechstunde“. Denn daran, dass er weiter vier Tage in der Woche als Internist in seiner Praxis in der Würzburger Innenstadt arbeiten möchte, lässt Schuster keinen Zweifel. „Zentralratspräsident ist ein Ehrenamt, meine Brötchen verdiene ich als Arzt.“ Ganz praktisch sieht es so aus: Der Zentralrat wird in Würzburg ein Büro anmieten, für Schuster arbeiten dort ein persönlicher Referent und eine Sekretariatskraft und halten Kontakt zum Hauptsitz des Zentralrats in Berlin.

Würzburg als Anker, als Heimat, so soll es bleiben. Geboren 1954 im israelischen Haifa, kam er mit zwei Jahren mit den Eltern nach Würzburg, besuchte hier Kindergarten, Schule und Universität. Hier machte er beruflich und im Ehrenamt Karriere. Josef Schuster versteht sich als „fränkischer Jude“. 450 Jahre Familiengeschichte lassen sich zurückverfolgen, berichtet er, die Wurzeln liegen im Raum Bad Brückenau, im bayerisch-hessischen Grenzgebiet. Großvater Julius Schuster war in der kleinen Kurstadt als Stadtrat und Hotelier aktiv. Nachdem er und sein Sohn David den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald entkommen waren, emigrierten sie 1938 mit der Familie nach Palästina. Nur so konnten sie Nazi-Deutschland überleben.

Dennoch, die Sehnsucht nach der Heimat blieb groß. Julius Schuster kehrte 1954 nach Unterfranken zurück, Sohn David kam mit seiner jungen Familie zwei Jahre später. Um die über 80-jährigen Eltern nicht allein zu lassen, aber auch um den Deutschen nicht den Triumph zu lassen, ihr Land sei nun judenfrei, erzählt Josef Schuster. „Ich kann den Entschluss, zurückzukehren, gut nachvollziehen.“ Weil es in Bad Brückenau keine jüdische Gemeinde mehr gab, wurde Würzburg der Lebensmittelpunkt der Familie. Schnell wuchsen David Schuster in der jüdischen Gemeinde Aufgaben zu, von 1958 bis 1996 war er nicht nur Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, sondern die prägende Gestalt und Motor der Aussöhnung mit den unterfränkischen Christen. Ein Höhepunkt war der Bau der Synagoge Ende der 60er Jahre.

Josef Schuster erinnert sich an eine „ganz normale Jugend“. Diskriminierung wegen seines jüdischen Glaubens habe er nicht erfahren. Wenn die anderen Schüler am Röntgen-Gymnasium Religionsunterricht hatten, saß er hinten drin und durfte Hausaufgaben machen. Doch er hörte zu. Was die Christen glauben, interessierte den Teenager brennend. „Ich behaupte, ich habe besser aufgepasst als die meisten anderen Schüler.“

Zu Hause lebte die Familie den jüdischen Glauben intensiv – und sie tut es heute noch. Josef Schuster sieht sich als eher orthodox geprägten Juden, der aber auch liberalen Strömungen aufgeschlossen ist. Regelmäßig besucht er mit Ehefrau Jutta den Sabbat-Gottesdienst. Das Verbot hingegen, am Sabbat nicht Auto zu fahren, halte er nicht immer ein. „Das muss jeder Jude selbst vor Gott verantworten“, sagt er dazu. Im Hause Schuster feiert man die jüdischen Feste, es wird koscher gekocht. Um an Fleisch und Wurst von koscher geschlachteten Tieren zu kommen, fährt die Familie „drei, vier Mal im Jahr mit mehreren Kühltaschen“ zu einem Metzger ins elsässische Straßburg.

Ehrenamtliches Engagement war Josef Schuster in die Wiege gelegt. Fast zwangsläufig, dass er 1998, ein Jahr vor dem Tod seines Vaters, den Vorsitz der jüdischen Gemeinde in Würzburg übernahm. Es folgten Jahre, die geprägt sind durch die Zuwanderung von Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Die Gemeinde wuchs von 200 auf mittlerweile über 1000 Mitglieder, mit dem 2006 eröffneten Gemeindezentrum Shalom Europa, das auch die Synagoge integriert, entstand nicht zuletzt auch ein architektonisches Schmuckstück, das die Handschrift Schusters trägt.

Den Alltag in den jüdischen Gemeinden wolle er im neuen Amt nicht aus den Augen verlieren, verspricht Schuster. Vorgänger Dieter Graumann habe hier vorbildliche Arbeit geleistet, die er gerne fortsetzen wolle. Es sei ihm wichtig, dass das Judentum in der Öffentlichkeit nicht nur im Zusammenhang mit der Shoa wahrgenommen wird, sondern als lebendige, vielfältige Religionsgemeinschaft – mit einer liberalen und einer traditionell-orthodoxen Strömung. Schuster: „Jüdisches Leben ist mehr als das, was zwischen 1933 und 45 geschehen ist.“

Unterdessen dürfen sich die Rettungsdienste in Würzburg freuen, dass Josef Schuster sie trotz der neuen Aufgaben auch künftig unterstützt. Regelmäßig übernimmt der Mediziner Notarztdienste an christlichen Festen wie Weihnachten, um die Kollegen, die feiern möchten, zu entlasten. Ehrensache, dass er dafür auch als Präsident des Zentralrats der Juden zur Verfügung steht.

Juden in Deutschland

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und der Dachverband von 108 jüdischen Gemeinden. Der einmal im Jahr nichtöffentlich tagenden Ratsversammlung gehören 95 Delegierte als Vertreter der Gemeinden an. Sie wählen an diesem Sonntag in Frankfurt aus ihren Reihen drei Mitglieder für das Präsidium des Zentralrats. Sechs weitere Mitglieder bestimmt anschließend das 30-köpfige Direktorium, die Vertretung der 23 Landesverbände und Großgemeinden. Die neun Präsidiumsmitglieder wählen schließlich aus ihrer Mitte den Präsidenten und zwei Vizepräsidenten.

Deutschlandweit gehören 101 300 Menschen dem jüdischen Glauben an. 80 bis 85 Prozent der Gemeindemitglieder sind laut Einschätzung von Josef Schuster Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

Rund 18 000 Mitglieder zählen die Gemeinden in Bayern. Die größte ist die jüdische Gemeinde in München und Oberbayern mit 9430 Mitgliedern. Danach folgen Nürnberg mit 2000, Schwaben-Augsburg mit 1420, Würzburg-Unterfranken mit 1000, Regensburg mit 1000, Straubing-Niederbayern mit 900, Bamberg mit 900, Bayreuth mit 510, Hof mit 370, Fürth mit 340, Weiden mit 260, Amberg mit 130 und Erlangen mit 100 Mitgliedern. TEXT: MICZ

 
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