Den Kinderärzten in ganz Deutschland geht der Windpocken-Impfstoff aus. Dies liegt daran, dass der Marktführer für den Windpocken-Impfstoff, der Pharmariese GlaxoSmithKline, schon seit Wochen nicht liefern kann. Sowohl beim Kombinationsimpfstoff für Masern, Mumps, Röteln und Windpocken wie auch beim Einzelimpfstoff für Windpocken hätten einige Chargen nicht den internen Qualitätsstandards für die Freigabe des Impfstoffs genügt, bestätigt die Sprecherin von GlaxoSmithKline, Anke Helten, gegenüber dieser Zeitung. Das Unternehmen arbeite mit Hochdruck an der Ursachenforschung, so Helten weiter. Auf die Frage, wann wieder Impfstoff produziert werde, nennt die Sprecherin des Pharma-Unternehmens keinen Termin, sondern antwortet: „Frühestens im zweiten Quartal.“ Anders ausgedrückt: Nicht vor April.
Leer gefegt ist der Markt aber schon jetzt. „Wir haben keine Windpocken-Impfdosen mehr, unser Vorrat ist bei null“, sagt Holger Schmitt, Einkäufer beim Würzburger Pharmagroßhandel Ebert + Jacobi, der nicht nur bayerische, sondern auch hessische und thüringische Apotheken beliefert. Üblicherweise vertreibt der Würzburger Großhändler im Vierteljahr rund 2300 Impfdosen für die Vierfachimpfung gegen Mumps, Masern, Röteln und Windpocken sowie rund 640 Einzelimpfdosen für Windpocken. Schmitt sagt, dass es unmöglich sei, die Lieferausfälle des Marktführers durch Bestellungen bei anderen Herstellern auszugleichen. Nur ein weiterer Hersteller produziere Windpocken-Impfstoffe, so Schmitt. Dessen Produktionsmenge sei zu klein, um den Ausfall zu kompensieren. Die Apotheker in der Region seien verärgert, sagt Schmitt; solche Lieferprobleme seien sie nicht gewöhnt. Der Mellrichstädter Apotheker Christian Machon, Vorstandsmitglied der Bayerischen Landesapothekerkammer, widerspricht: „Doch“, sagt er, „solche Lieferengpässe sind wir langsam gewöhnt. Sie werden immer schlimmer.“ Die Pharmaunternehmen kalkulierten ihre Produktion immer knapper; Produktionspannen könnten deshalb nicht aufgefangen werden. Außerdem gebe es gerade bei der sehr aufwendigen und lang dauernden Produktion von Impfstoffen den Trend zur Monopolisierung. „Das ist eine kritische Entwicklung.“
Der Gerbrunner Kinderarzt Dr. Jürgen Pannenbecker beklagt die Verknappung. Impfstoffe seien immer schlechter verfügbar, sagt er. Weder gegen Keuchhusten noch gegen Polio seien derzeit Einzelimpfstoffe zu bekommen. Was die Windpocken betrifft, hat Pannenbecker – wie die meisten seiner Kollegen – derzeit zwar kaum noch Vierfach-Impfstoff zur Hand, doch noch einige Einzelimpfdosen gegen Windpocken lagern in seinem Vorratsschrank. Was passiert, wenn die auch verbraucht sind? „Dann bekommen die Kinder eben wieder Windpocken“, so der Arzt. Ein Grund zur Panik sei dies nicht; sehr ärgerlich sei dies schon.
Der Würzburger Kinderärztin Gabriele Lieb zufolge gefährden Windpocken Kinder im Allgemeinen nicht, für Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen wie Neurodermitis sind sie jedoch sehr unangenehm. Ungeimpfte Schwangere dürften mit Windpocken nicht in Berührung kommen. „Und für immungeschwächte Menschen können an Windpocken erkrankte Kinder eine ernsthafte Bedrohung darstellen“, so Lieb weiter.
Der Leiter des Würzburger Gesundheitsamts, Dr. Joachim Löw, sieht eine „potenzielle Gefährdung der Bevölkerung“ deshalb, weil die Nachrichten über Lieferengpässe bei Impfstoff die Impfmoral schädigten. „Da kommen die Leute zum Impfen; dann hören sie, dass Impfungen nicht möglich sind. So etwas wirkt sich negativ auf die Impfbereitschaft aus.“