Die Biografie von Gretel Lambert, geborene Bergmann, ist ein Stück deutsche Sportgeschichte. 2008 wurde das Schicksal der jüdischen Athletin aus dem schwäbischen Laupheim verfilmt (Berlin 36“). An diesem Samstag wird Deutschlands einst beste Hochspringerin 100 Jahre alt. Zuvor gab Margaret Lampert, wie sie sich seit ihrer Emigration 1937 nach New York nennt, dieser Zeitung ein exklusives Telefoninterview.
Margret Lambert: Also, ich bin völlig klar im Kopf, da ist alles gut. Allerdings bin ich vor ein paar Monaten gefallen. Das ist mir noch nie passiert. Dabei habe ich meinen linken Arm gebrochen. Und nun habe ich Angst, allein zu laufen.
Lambert: Nein, mein jüngerer Sohn Glenn lebt hier. Er kocht für mich, und er ist einfach wunderbar.
Lambert: Wir haben unsere Freunde eingeladen. Ungefähr 50 Personen. Wir werden eine schöne Zeit haben.
Lambert: Einfach jeden Tag einen Tag älter zu werden. (lacht) Dass ich jetzt 100 werde, ist schon ein Wunder. Eigentlich habe ich auf meine Lebensweise nie besonders geachtet.
Lambert: Oh ja. Bis in die 90er Jahre hinein war ich verbittert. Berlin hatte sich für die Sommerspiele 2000 beworben. Aber niemand kam zu mir und entschuldigte sich dafür, was mir 1936 angetan wurde. Ich schrieb einen bitterbösen Brief an das Nationale Olympische Komitee. Der damalige Präsident Walther Tröger schrieb mir zurück und lud mich nach Deutschland ein. Das wollte ich nicht. Trögers Einladung, Ehrengast 1996 in Atlanta zu sein, konnte ich aber nicht widerstehen. Irgendwann war das Eis gebrochen.
Lambert: Als ich 1937 in die USA ausgewandert bin, wollte ich nichts, aber auch gar nichts mit Deutschland zu tun haben. Zwar hat meine Familie den Holocaust überlebt, aber mein Mann hat seine Angehörigen verloren. Alle sind in Konzentrationslagern umgebracht worden.
Lambert: Ich habe erkannt, dass die jungen Menschen in Deutschland nichts mit dem zu tun haben, was die Nazis verbrochen hatten. Deshalb können sie dafür auch nicht verantwortlich gemacht werden. Ich war so dumm, das Jahrzehnte nicht einzusehen. Aber ich bin schlauer geworden.
Lambert: Ich weiß es nicht. Ich habe große Füße und lange Beine – das sind prima Voraussetzungen.
Lambert: Ich habe nicht besonders hart trainiert. Es ist halt passiert. Ich habe es einfach gemocht, mich zu bewegen. Training war mir viel lieber als Schularbeiten machen.
Lambert: Das war schrecklich. Ich war da mit sehr vielen dick befreundet. Und auf einmal wird dir gesagt: Komm nicht mehr! Niemand spricht mehr mit dir, du wirst geschnitten. Das war sehr schlimm.
Lambert: Das war zu dieser Zeit. Ich konnte in Ulm nicht mehr trainieren, auch in Laupheim war es unmöglich. Wir durften keine Restaurants mehr betreten, fühlten uns wie Ausgestoßene.
Lambert: Na ja, da war er ein Kind, acht Jahre alt. Ich war auch acht. Ich hab ihn zu Boden geworfen und ordentlich vermöbelt. Der hat danach nie mehr so etwas zu mir gesagt.
Lambert: Die Briefe, die wir uns schickten, wurden zensiert, die Telefongespräche belauscht. Deshalb ist mein Vater nach England gekommen. Er hat mir gesagt, ich müsse mit zurück nach Deutschland, weil sonst die Familie Schlimmes befürchten müsste. Ich habe um das Leben meiner Angehörigen gefürchtet. Nach all dem, was mir mein Vater erzählt hatte, gab es keinen Zweifel, dass die Nazis meine Familie töten würden.
Lambert: Erst später war mir klar: Die Nazis wollten mich bei Olympia dabeihaben, weil Amerika und andere Länder mit Boykott drohten, falls jüdische Athleten aus der deutschen Mannschaft ausgeschlossen werden.
Lambert: Ich war sehr im Zweifel. Aber ich wollte beweisen, zu was eine Jüdin fähig ist. Wir wurden ja von der Nazi-Propaganda als faule, minderwertige Missgeburten hingestellt.
Lambert: Ich hatte berechtigte Hoffnung. Die spätere Olympiasiegerin hat mit 1,60 Metern gewonnen. Mir ging es aber nur darum, die deutschen Athleten zu schlagen. Mich hat der Hass auf das Regime angetrieben. Ich wollte Nazi-Deutschland wehtun mit meinem Sieg.
Lambert: Ich habe geflucht wie ein Lastwagenfahrer. Das war sehr perfide gemacht. Den anderen Athleten wurde erzählt, dass ich mich verletzt hätte. Eine glatte Lüge.
Lambert: Und glauben Sie mir: Die habe ich natürlich nicht genommen.
Lambert: Zur Hölle mit denen!
Lambert: Das war sehr schwer. Ich habe meine Familie verlassen, meinen Vater, meine Mutter, meinen jüngeren Bruder. Der ältere Bruder ist drei Monate vor mir in New York eingetroffen. Als ich ankam, hatte ich gerade mal vier Dollar in der Tasche. Mehr durften Juden nicht mitnehmen. Ich habe meinen wunderbaren Fotoapparat verkauft, damit ich Geld hatte, um mir etwas zu essen zu kaufen. Es war eine harte Zeit. Ich habe mich als Putzfrau und Kindermädchen durchgeschlagen, habe dicke Frauen massiert in einem Salon für Gewichtsabnahme. Später war ich als Physiotherapeutin tätig.
Lambert: Ja, das war die lustigste Sache überhaupt. Denn meine Konkurrentinnen wogen alle so um die 100 Kilogramm. Und da kam ich daher, spindeldürr, nahm die Kugel und warf sie am weitesten.
Lambert: Das würde ich schon sagen. Egal ob ich Ski gefahren oder geschwommen bin – das alles habe ich mir selbst beigebracht.
Lambert: Das war eine harte Zeit. Wenn ich mir vorstelle, dass mein Vater, dem in Laupheim eine Haarfabrik gehört hat, alles zurücklassen musste. Er hatte nichts mehr, kam über England zu mir in die USA – mit drei Dollar in der Tasche.
Lambert: Der Briefkontakt, den Volkholz im Jahr 1980 begann, war sicher ein Grund dafür. Wir sind sehr gute Freunde geworden.
Lambert: Ich war glücklich, in Laupheim zu sein. Die Menschen waren sehr freundlich zu mir. Und ich habe gemerkt, was ich für ein Narr gewesen bin, gegen all die Leute was gehabt zu haben, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun hatten.
Lambert: Das hätte schon ein paar Jahre früher sein können. Aber es ist noch rechtzeitig geschehen. (lacht)
Lambert: Ich weiß, was ich mir nicht wünsche: 200 Jahre alt zu werden.