Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Würzburger Kindertagesstätte Sankt Stephan nicht von anderen Kindergärten: Die Wände sind mit Kinderzeichnungen und Basteleien dekoriert, nebenan lärmt und lacht die Dinogruppe. Eine Etage höher steht bei der Löwengruppe gerade Sport auf dem Programm. Früh übt sich bekanntlich, und in Sankt Stephan gilt das Sprichwort ganz besonders: Rund ein Drittel der Kinder in Sankt Stephan sind hochbegabt.
Die KiTa Sankt Stephan ist jedoch keine exklusive Einrichtung für hochbegabte Kinder. Die besonders Begabten werden gemeinsam mit ihren normal begabten Altersgenossen betreut und gefördert. Hochbegabung sei im Kindergartenalter noch schwer messbar, sagt Christine Koop von der Karg-Stiftung, die sich der Förderung von Hochbegabungen verschrieben hat. „Die Kinder können ihre Fähigkeiten in der Testsituation mit fremden Menschen nicht immer abrufen und werden deshalb teils unterschiedlich eingeschätzt“, erklärt Koop. Im alltäglichen Umgang jedoch falle eine besondere Begabung auf, sagt die langjährige KiTa-Leiterin Edeltraud Klopf: „Solche Kinder entwickeln sich schnell und sind sehr neugierig, sie wollen alles bis ins Detail wissen.“
Seit rund zehn Jahren beschäftigt sich die KiTa mit der Hochbegabtenförderung. Die Karg-Stiftung hat die Einrichtung beim Aufbau ihres speziellen Programms unterstützt. Die Kinder können sich auf ganz verschiedenen Gebieten ausprobieren und ihre Talente entdecken, erklärt Begabtenpädagogin Silke Forstmeier: „Wir versuchen immer aufzupassen, wenn ein Kind sich für etwas interessiert.“ Es gehe dabei nicht um Leistungsdruck und Lernstress, so Forstmeier, sondern beispielsweise darum, Gitarre zu lernen oder Klavierstunden zu nehmen. Eine Erzieherin bietet Französisch an. Lyrik steht ebenso auf dem Programm wie Naturwissenschaften, in Projektarbeiten wird experimentiert und erforscht. Auch mit Philosophie beschäftigen sich die Kinder bereits. „Das leben sie uns doch ganz intuitiv vor“, sagt Forstmeier, „Kinder fragen ständig wieso und warum, stellen immer wieder dieselben Fragen. Da entstehen ganz enorme Themen über Gott und die Welt.“
Auf die Arbeit in Sankt Stephan ist das bayerische Familienministerium aufmerksam geworden und hat die Hochbegabtenförderung in der KiTa in den vergangenen dreieinhalb Jahren unterstützt. Rund 200 000 Euro hat das Ministerium in das Projekt investiert, sagt Hans Eirich, Leiter des Referats Frühkindliche Bildung und Erziehung im Familienministerium. Davon wurde etwa zusätzliches Betreuungspersonal eingestellt. Auch die wissenschaftliche Begleitung wurde von dem Geld des Ministeriums getragen: Die Uni Würzburg hat Studien insbesondere zum Sozialverhalten der hochbegabten Kinder durchgeführt. Wie Nicole Berger von der begabungspsychologischen Beratungsstelle der Uni berichtet, sind die hochbegabten Kinder der Studie zufolge besonders beliebt unter allen Kindern und gut in die Gruppe integriert.
Das ist keine Selbstverständlichkeit, sagt Psychologe Johann Brumm vom Projektteam: „Bei einem Sechstel der Hochbegabten gibt es große Probleme in der Erziehung. Das beginnt meist schon im Kindergartenalter.“ Sind die Kinder unterfordert oder fühlen sie sich mit ihren Interessen missverstanden, kommt es leicht zu sozialer Isolierung. Viele Kinder hätten bereits negative Erfahrungen gemacht, bevor sie zu Sankt Stephan wechselten, sagt Klopf. Für die Erzieherin ist das auch ein Fachkräfteproblem: „Die Erzieher wissen teils gar nicht, wie sie mit hochbegabten Kindern umgehen sollen. Sie müssen besser geschult werden.“
Wie die Hochbegabtenförderung zukünftig aussehen wird und ob sie auch in reguläre Kindergärten eingebracht wird, ist offen. Das Projekt des Familienministeriums in Sankt Stephan wurde jetzt planmäßig abgeschlossen. Ohne das Fördergeld muss die KiTa mit einer Stelle weniger auskommen. „Gute Arbeit im Kindergarten kostet eben Geld“, sagt Gemeindepfarrer Jürgen Dolling. Pädagogin Forstmeier betont allerdings auch, dass die Bedürfnisse hochbegabter Kinder gar nicht so anders sind als die ihrer normal begabten Altersgenossen: „Die Kinder wollen Anerkennung für ihre Talente und Zeit und Raum für ihre eigenen Ideen – wie andere Kinder auch.“