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ASCHBACH
Gurlitts Spuren in Franken: Kistenweise Kunst im Schloss
Hildebrand Gurlitts Spuren in Franken Der Kunsthändler rettet nach der Bombardierung Dresdens Teile seiner Sammlung nach Aschbach. Dort spürt ihn kurz darauf das US-Militär auf.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:23 Uhr

Nach Würzburg würde er fahren – zum Arzt. Dieser Satz von Cornelius Gurlitt sorgte vor einigen Wochen für Verwunderung. Nachforschungen dieser Zeitung verliefen damals im Nichts. Hat der alte Herr aus München und Erbe eines Bilderschatzes, der seit Anfang November die Kunstwelt in Aufregung versetzt, mal kurz die Medien auf die falsche Spur gelenkt? Oder hat er sich einfach nur an früher erinnert? Gurlitts Familie und Franken beziehungsweise Würzburg – da gibt es durchaus Verbindungen. Dazu muss man zurück ins Jahr 1945.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges naht. Viele Städte Deutschlands liegen bereits in Trümmern. Von 13. bis 15. Februar wird Dresden heftig bombardiert. Dabei soll nicht nur das Elternhaus, sondern auch der Besitz von Hildebrand Gurlitt in Flammen aufgegangen sein. Zumindest behauptet das der Kunsthändler bei einer Befragung 1945 gegenüber den Kunstschutzoffizieren des amerikanischen Militärs.

Bereits 1942 verlässt Hildebrand Gurlitt laut eigener Aussage Hamburg und kehrt mit seiner jungen Familie – Ehefrau Helene, Sohn Cornelius und Tochter Benita Renate – zurück in seine Heimatstadt Dresden und in sein Elternhaus. Hildebrands Vater Cornelius, Namensvetter seines jüngst berühmt gewordenen Enkels, ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Der angesehene Architektur- und Kunsthistoriker stirbt 1938. Die Mutter von Hildebrand Gurlitt, Marie, lebt noch.

In der Zeit zwischen März und Mai 1945, in der das „Dritte Reich“ untergeht, steht die Welt Kopf. Die meisten hoffen, dass die Bomben der Alliierten sie verschonen. Etliche versuchen, ihr Hab und Gut zu retten, andere müssen ihr Hab und Gut verlassen. Viele Menschen sind auf der Flucht. Es ziehen aber auch äußerst ungewöhnliche Transporte durch Deutschland: Züge, vollgestopft mit Raubkunst der Nazi-Bonzen wie Hermann Göring, fahren von Berlin in Richtung Süden. Unterwegs sind auch mit Kisten beladene Lastwagen, die ihre unbekannte Fracht an verschwiegene Orte bringen. Mindestens zwei dieser seltsamen Güterverschiebungen landen im oberfränkischen Aschbach (heute Ortsteil von Schlüsselfeld), im Schloss von Gerhard Freiherr von Pölnitz.

Ein Transport kommt aus Dresden: Dabei handelt es sich um die Kunstsammlung von Hildebrand Gurlitt – die Jahrzehnte später in der Schwabinger Wohnung seines Sohnes auftauchen und für viel Wirbel sorgen wird. Ein anderer Transport kommt aus Berlin und bringt die Sammlung eines weiteren Kunsthändlers im Auftrag des NS-Regimes, Karl Haberstock, ins Aschbacher Schloss.

Hildebrand Gurlitt muss sich schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Aschbach gegenüber den amerikanischen Offizieren des „Monuments, Fine Arts and Archives“-Programms (MFAA) – den „Monuments Men“ – erklären. Hildebrand Gurlitts Kunst- und Buchsammlung wird konfisziert und in die Sammelstelle beziehungsweise Collecting Point der US-Armee nach Wiesbaden gebracht.

Im National Archiv von Washington befinden sich Unterlagen, die belegen, dass wohl nicht alles beim Luftangriff Dresdens im Hause Gurlitt verbrannt ist. In einer Erklärung eines Zeugen vom 29. April 1946 gegenüber der Bayerischen Militärregierung, die dieser Zeitung vorliegt, ist zu lesen, „dass im März 1945 ein Herr Dr. Gurlitt aus Dresden mit 2 Zehntner-Lastautos beladen mit schätzungsweise ein 100 Kisten“ in Aschbach angekommen sei und im Schloss des Freiherrn Gerhard von Pölnitz „Wohnung genommen hat“ und auch alle „Kisten mit Kunstinhalt“ dort untergebracht worden seien. Alle Behälter seien mit „Gemäldegalerie – Dresden“ gekennzeichnet gewesen.

In den meisten Kisten sollen sich laut dem Zeugen französische Bilder, Kupferstiche und seltene Bücher französischer Literatur befunden haben. Zudem beruft sich der Zeuge auf eine Aussage „des jungen Baron Wolfgang von Pölnitz“, nach der einige Kilo Goldbarren im Besitz von Herrn Gurlitt sind. Die Bilder im Wert von etwa zwölf Millionen Reichsmark sollen aus Paris nach Deutschland gebracht worden sein. Weiter bezeugt der Forstverwalter, dass ihm auch bekannt sei, dass ein großer Teil des französischen Kunstbesitzes von Gurlitt mithilfe von Wolfgang von Pölnitz vor dem Zugriff der Militärregierung versteckt wurde. Zum Schluss gibt der Zeuge, der bittet, seine Mitteilung vertraulich zu behandeln, zu Protokoll: „Es dürfte festzustellen sein, wo der Inhalt von cirka 100 Kisten kleineren und größeren Formats verblieben sind.“

Ein Dokument in den Unterlagen des US-Nationalarchivs belegt, dass die beiden in Aschbach untergekommenen Kunsthändler Haberstock und Gurlitt auch nach Würzburg gebracht werden – zum Verhör und ins Gefängnis. Befragt werden sie meist von Erik Berger. Der Kunsthistoriker aus Berlin gehörte seit 1945 zum deutschen Personal des MFAA-Programms. Berger soll vor 1945 ein Mitarbeiter des Berliner Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt (ein Cousin von Hildebrand Gurlitt) gewesen sein, der ab 1943 kurzzeitig seine Galerie nach Würzburg verlegt und dort Geschäfte mit Heiner Dikreiter, dem Direktor der Städtischen Galerie, macht.

Erik Bergers Büro oder Wohnung befindet sich in der Spessartstraße in Würzburg. Er scheint ebenfalls eine nicht ganz lupenreine Vergangenheit gehabt zu haben. Zumindest gibt es 1946 interne Ermittlungen des US-Militärs über Bergers Kontakte während der NS–Zeit zum Kunsthändler Walter Paech, der in Amsterdam mit Raubkunst gehandelt haben soll. Berger wird, so hat es den Anschein, jedoch rehabilitiert und ist bis 1947 weiterhin für die „Monuments Men“ und später für das Landesamt für Denkmalpflege tätig.

Auch Hildebrand Gurlitt hat in diesen wirren Zeiten Glück. Er durchläuft als „Vierteljude“ das Entnazifizierungsverfahren mit einem Freispruch. 1951 erhält er seine vom US-Militär konfiszierte Sammlung fast vollständig zurück. Einige der rund 150 Kunstwerke gibt er freiwillig oder aufgrund von Rückforderungen ab. 1948 wird er der Leiter des Kunstvereins in Düsseldorf. Karl Haberstock kommt ebenfalls mit einem blauen Auge davon. Er wird zunächst als Mitläufer, später als entlastet eingestuft. Sein Nachlass befindet sich heute in Augsburg und gehört zur Karl und Magdalene Haberstock-Stiftung.

Der hektische Aufbruch aus Dresden, die Besuche der Kunstschutzkommission in Aschbach, die Abwesenheit des Vaters – all das dürfte das Familienleben der Gurlitts sehr durcheinandergebracht haben. Diese Erlebnisse werden dem damals zwölf Jahre alten Cornelius Gurlitt sehr in Erinnerung geblieben sein. Ebenso der Kampf seines Vaters für seine Kunstsammlung – die allerdings weit größer war als die in Aschach gefundenen 150 Werke. Ist das womöglich eine Erklärung dafür, warum der Sohn sein Leben ausschließlich für die Bilder seines Vaters geführt hat?

Raubkunst und Restitution

NS-Raubkunst: Die Nationalsozialisten enteigneten viele jüdische Sammler und zwangen sie, ihre Schätze unter Wert zu verkaufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg regelten zwar Gesetze der Alliierten und der Bundesrepublik die Rückgabe, hatten aber in der DDR keine Gültigkeit. Auch im Westen wurde nur ein Teil der Raubkunst an die Eigentümer oder Erben zurückgegeben. 1998 trafen sich 44 Länder, auch Deutschland, auf der „Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust“. Die Teilnehmer verständigten sich auf „nicht bindende Grundsätze“ zum Umgang mit Raubkunst.

Restitution: Damit ist die Rückgabe oder Entschädigung des in der Nazi-Zeit eingezogenen Vermögens von Verfolgten gemeint. 1999 verabschiedeten Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände eine Erklärung, nach der sich Museen, Archive und Bibliotheken stärker bemühen sollen, Raubkunst aufzuspüren und den legitimen Eigentümern zurückzugeben. Die „Lost Art Internet Database“ ist die zentrale deutsche Internet-Datenbank zur Erfassung von NS-Raubkunst und Beutekunst.

Entartete Kunst: Als „entartet“ diffamierte das NS-Regime Kunstwerke, deren Ästhetik nicht in das von ihm propagierte Menschenbild passte. 1937 zeigten die Nazis in München die Propaganda-Schau „Entartete Kunst“. Dafür haben sie etwa 21 000 Werke der Moderne vor allem in Museen beschlagnahmt. Nach einer Ausstellungstour durch 14 Städte wurden viele Arbeiten ins Ausland zur Devisenbeschaffung verkauft, etwa über die miteinander verwandten Kunsthändler Wolfgang und Hildebrand Gurlitt. Text: dpa

 
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