Dass alle Menschen ganz selbstverständlich in der Mitte der Gesellschaft zusammenleben, das ist ein schöner Traum. Noch immer wartet er auf seine Erfüllung. Unter dem Stichwort Inklusion tragen viele Menschen ihren Teil hierzu bei. In Unterfranken engagiert sich nicht zuletzt der Paritätische Wohlfahrtsverband für diese Idee, und das nicht erst seit der Geburt des Begriffs Inklusion. Sondern seit 50 Jahren – heißt doch „paritätisch“ gleichwertig. Eben das ist ein Kerngedanke von Inklusion. An diesem Freitag feiert der Paritätische sein Jubiläum in Würzburg.
Gemeinsam die Gesellschaft gerechter zu machen, mit dieser Erwartung ging man 1964 daran, den Paritätischen Wohlfahrtsverband in Unterfranken zu gründen. Er war die erste regionale Untergliederung in Bayern. Dort gibt es den Paritätischen seit dem Jahr 1924.
Sozialstation statt Dorfschwestern
16 Mitgliedsorganisationen trafen sich im November 1964, um den Regionalverband ins Leben zu rufen. Er war für sie eine Vernetzungsplattform. Außerdem hatte man auf diese Weise ein regionales sozialpolitisches Sprachrohr. Doch der Verband etablierte auch eigene Dienste. So half er Spätaussiedlern bei der Eingliederung. Nach und nach weitete sich sein Service aus. Heute gibt es eine Kinderspielstube, Freiwilligendienste und eine Tageselternvermittlung.
Der Paritätische wollte auch die Situation der älteren Menschen in ländlichen Regionen verbessern. „Wir gehörten in den 70er Jahren zu den ersten Verbänden in Unterfranken, die ambulante Pflege auf dem Land organisierten“, sagt Geschäftsführerin Kathrin Speck. Sozialstationen gab es damals nur in Städten. In den ländlichen Gemeinden waren Dorfschwestern im Einsatz.
Das übergeordnete Ziel, am Aufbau einer inklusiven Welt mitzuhelfen, stößt auf viel Sympathie. Heute hat der Bezirksverband 57 Mitgliedsorganisationen. So gehören dem Paritätischen die Würzburger Aktionsgemeinschaft Sozialisation, die in Würzburg angesiedelte Geschäftsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft sowie die Blindeninstitutsstiftung an. Auch der Würzburger Kreisverband des Kinderschutzbundes sowie pro familia sind Mitglieder des Paritätischen. „Besonders stark vertreten sind Selbsthilfegruppen“, berichtet Kathrin Speck. Auch der Landesverband der Rheuma-Liga schlüpfte unter das Dach des Paritätischen in Unterfranken.
Die Würzburger Adresse des Wohlfahrtsverbands, der seine Bezirksgeschäftsstelle seit 1993 in der Münzstraße hat, ist vor allem Menschen mit Hörproblemen und ihren Angehörigen bestens bekannt. Wer kaum oder gar nicht hört, hat in vielen Lebensbereichen Probleme. Der Sozialdienst des Paritätischen hilft, eine Lösung dafür zu finden.
Schwierigkeiten im Job oder familiäre Probleme bringen stark aus dem Gleichgewicht, wenn man nicht hören und nur eingeschränkt kommunizieren kann. Sie können in tiefe Krise stürzen. Auch hier unterstützen die Experten des Paritätischen. Wichtig sind die Fachkräfte vor allem auch als Begleiter hörender Kinder von Eltern mit Hörbehinderung. Deren Aufwachsen ist wegen des Handicaps von Vater und Mutter alles andere als leicht.
Seit fast 15 Jahren gibt es außerdem eine Gebärdendolmetschervermittlung. Etwa 200 Menschen mit Hörschädigung nehmen den Dienst derzeit in Anspruch. Die vom Paritätischen vermittelten Dolmetscherinnen übersetzen bei Mitarbeiter- und Vorstellungsgesprächen, Betriebsversammlungen oder Fortbildungen. Sie sind am Arbeitsplatz ebenso im Einsatz wie auf dem Standesamt oder anderen Behörden, beim Arzt oder beim Elternabend in der Schule. Im vergangenen Jahr trafen insgesamt 1400 Vermittlungsanfragen in Würzburg ein. Nicht alle konnten erfüllt werden, so Speck: „In Unterfranken ist nur eine Handvoll Gebärdendolmetscherinnen aktiv. Das ist leider viel zu wenig.“
Jubiläumsfeier in Würzburg
An diesem Freitag wird es anlässlich des Jubiläums ein großes Treffen aller Freunde, Mitglieder und Mitarbeiter des Paritätischen in Unterfranken geben. 200 Gratulanten werden zur Jubiläumsfeier unter dem Motto „50 Jahre gelebte Vielfalt“ im Würzburger Felix-Fechenbach-Haus erwartet. Die Feier ist laut Andreas Selig von der Bezirksgeschäftsstelle mit dem Wunsch verbunden, dass alle gesellschaftlichen Kräfte daran mitwirken, echte Inklusion zu realisieren: „Und zwar von Anfang an.“ Was zum Beispiel in Bezug auf Flüchtlinge bedeutet, sie wirklich frühzeitig zu integrieren.
Flüchtlinge sollen vom ersten Tag an Deutsch lernen dürfen, fordert Selig. Und es soll ihnen von Anfang an erlaubt werden, zu arbeiten. Innerhalb des Paritätischen ist er für den Bereich Migration verantwortlich. Durch die syrischen Kontingentflüchtlinge hat Selig aktuell alle Hände voll zu tun. 40 Syrer werden von den Migrationsberatern des Paritätischen derzeit in Poppenhausen im Landkreis Schweinfurt betreut. Selig: „Während die Menschen, die sonst zu uns in die Migrationsberatung kommen, ein oder zwei Anliegen haben, kommen die Bürgerkriegsflüchtlinge mit einem Problembündel.“ Was den Paritätischen jüngst veranlasste, die Beratungsstelle aufzustocken.
