Den Elefanten ist es egal. Zumindest wirken sie so. Fast unbewegt stehen die mächtigen Tiere hinter dem Wassergraben. Das laute Durcheinander vor dem Graben scheint sie nicht zu interessieren. Kinder und Eltern tun ihre Begeisterung kund. Dutzende Zeigefinger werden ausgestreckt, Kameras und Handys vor Gesichter gehalten. Da wird gekichert und gegluckst, und immer wieder hört man ein gemurmeltes „Schau, Elefanten“ oder ein begeistertes „Ach, sind die groß“. Tausende Besucher zieht es derzeit in die Zoos Europas. Und das, obwohl die Tierparks immer wieder auch in der Kritik stehen. Besonders rund um die Ostertage, wenn die Sonne scheint, schieben sich ganze Familien über die schmalen Pfade zwischen den Gehegen. Aber warum?
Tiere faszinieren Menschen. Und vielleicht gibt es, gerade in Zeiten von Smartphones, virtuellen Internet-Freunden und Fernsehern mit dreidimensionalen Bildern eine Sehnsucht nach Realem. „Wir hatten dieses Jahr bisher doppelt so viele Besucher wie im gleichen Zeitraum 2013“, sagt Barbara Jantschke, die Direktorin des Augsburger Zoos. Menschenmengen drängen sich bei gutem Wetter an die Absperrungen der Gehege, und auch die Schilder, die die Eigenheiten der einzelnen Tierarten beschreiben, locken Heerscharen von Besuchern an. Gegenseitig lesen sich Kinder und Eltern begeistert die Texte vor, die über Herkunft und Lebensweise von Pavianen, Zwerg-Flamingos oder Erdmännchen Auskunft geben.
Tiere lösen Emotionen aus. Das Mitgefühl mit ihnen kann Trauer verursachen. Vielleicht deshalb halten im Giraffen-Haus des Augsburger Zoos in diesen Tagen auch immer wieder Besucher kurz inne, um sich an das Schicksal von Marvin zu erinnern. 19 Jahre alt war der Giraffen-Bulle, als er vor ein paar Wochen überraschend starb. „Nachdem er morgens nicht mehr aufstehen konnte, wurde sofort eine Blutprobe veranlasst“, beschreibt die Leitung des Zoos den „tragischen Todesfall“ im Giraffenhaus. Trotz einer Infusion habe sich „sein Zustand am frühen Nachmittag verschlechtert und er ist verstorben“, heißt es weiter. Erst im Februar hatte der Zoo seinen Tiger Jaques einschläfern müssen, weil der an einer unheilbaren Krebserkrankung litt.
Das Mitgefühl mit Tieren kann aber auch Wut verursachen. Vielleicht deshalb unterzeichneten in den vergangenen Wochen rund 150 000 Menschen eine Petition gegen den Kopenhagener Zoo. Die dortige Tierpark-Leitung hatte vor kurzem vor den Augen der Besucher die Giraffe Marius schlachten lassen. Das Tier verfütterten die Pfleger an eine Löwenfamilie. Nur wenige Wochen später mussten auch die Löwen sterben. Zwei erwachsene und zwei junge Tiere wurden eingeschläfert, um Platz für neue Löwen zu schaffen.
Es habe die Gefahr bestanden, dass der Löwen-Vater sich mit seinen Kindern paare, lautete die Begründung – und das sei schließlich nicht im Sinne der Zucht-Programme, hieß es. Selbst der Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Zoodirektoren, Peter Dollinger, will dieses Vorgehen nicht verteidigen. „Die Tötung der beiden alten Löwen war vermutlich unvermeidlich“, sagt er. „Aber warum die Jungtiere sterben mussten, weiß ich nicht. Die hätte man in einem anderen Zoo platzieren können.“ Denn die europäischen Tierparks tauschen die Tiere nach einem genau geregelten System untereinander aus – kostenfrei. Vor allem bei den vom Aussterben bedrohten Arten regelt zudem das „Europäische Erhaltungszuchtprogramm“, wer wann und wie welchen Nachwuchs züchten darf.
Welche Folgen das hat, ist gerade im Münchner Tierpark Hellabrunn zu sehen. Denn auch Freude kann durch das Mitgefühl mit Tieren entstehen. Ganze Schulklassen drängen sich dort an die Zäune, um die tapsigen ersten Schritte der Zwillings-Eisbärbabys zu beobachten, die Anfang Dezember zur Welt kamen. Gleich nach deren Geburt spielte die Tierparkleitung Filmaufnahmen direkt aus der Bruthöhle übers Internet in die ganze Welt. Seither wird jeder Schritt der Tiere begierig verfolgt. Zeigefinger zeigen, Kameras klicken, und immer wieder hört man ein gemurmeltes „Schau, Eisbären“ oder ein begeistertes „Ach, sind die süß“.
Elmar Finke, der Vorsitzende des Verbands Deutschsprachiger Zoopädagogen, sagt: „Diese Tiere zu zeigen hat eine starke emotionale Wirkung. Und daraus entwickelt sich im besten Fall die Motivation, sich für ihren Schutz und für die Erhaltung ihres Lebensraums einzusetzen.“ Bis die beiden Münchner Eisbärenbabys einen Namen bekommen und als Postkarten, T-Shirt-Aufdruck und in Plüsch-Version an den Kiosken zu kaufen sind, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein. Die Nachfolger von Knut in Berlin und Flocke in Nürnberg scheinen jedenfalls gefunden.
Das Phänomen ist nicht neu. Auch mit Tieren anderer Arten schafften es Zoos immer wieder, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Schon im 19. Jahrhundert wurde etwa der Elefant Jumbo in London bekannt. Als der Zoo das Tier an einen amerikanischen Zirkus verkaufte, löste er damit in Großbritannien einen Sturm der Entrüstung aus. Jumbo starb im Jahr 1885 beim Zusammenstoß mit einer Lokomotive. Noch heute erinnert die Boeing 747, der Jumbo-Jet, an ihn.
Auch der Berliner Flusspferd-Bulle Knautschke erlangte weltweite Berühmtheit, als ihm 1949, sozusagen am Vorabend des Kalten Krieges, zwei Leipziger Flusspferdkühe zur Ost-West-Paarung zugeführt wurden. Der Walrossbulle namens Antje aus dem Tierpark Hagenbeck wurde zum Logo des NDR und existiert noch heute, mehr als zehn Jahre nach dem Tod, als Zeichentrickfigur.
Bisher unvergessen ist auch das schielende Opossum Heidi, das dem Leipziger Zoo Ende 2010 weltweiten Medienrummel bescherte. Im Februar 2011 fungierte Heidi im US-Fernsehen sogar als Oscar-Orakel – und sagte dabei die richtigen Gewinner der Preisverleihung voraus. Dass das Schielen, das so viele Menschen bezauberte, wohl vom massiven Übergewicht des Tiers ausgelöst wurde, störte kaum jemanden. Im September 2011 starb Heidi an Altersschwäche.
Die Trauer um Augsburgs Giraffe Marvin und die Freude über die Münchner Eisbären-Zwillinge, Elefant Jumbo und die Beutelratte Heidi sind die eine Seite des Phänomens Zoo. Die andere Seite sind Kopenhagens Giraffe Marius und die dort getötete Löwenfamilie. Alljährlich werden auch in deutschen Zoos gesunde Tiere getötet, kritisiert der Deutsche Tierschutzbund. Dessen Präsident Thomas Schröder sagt: „Es geht um Besucher und letztlich darum, was das Tier einbringt. Hat es seinen Zweck erfüllt, wird es abgeschoben oder getötet – das ist die traurige Wahrheit in vielen Zoos.“
„Auf jedem Bauernhof werden Tiere getötet“, hält Peter Dollinger vom Verband der Zoodirektoren dagegen. Und auch die Tierparks, sagt er, müssten einen Spagat meistern: Einerseits sollen die Gehege nicht zu überfüllt sein. Andererseits sei Zucht gewünscht. Wie viele Nachkommen dabei entstehen, sei aber nicht planbar. „Jährlich werden Zigtausende Schweine und Rinder getötet, damit Menschen sie essen könne. Aber wenn eine Giraffe geschlachtet wird, gibt es einen Aufschrei“, sagt auch die Augsburger Zoodirektorin Barbara Jantschke. Immer wieder müssten auch in Zoos Tiere getötet werden, sagt sie. „Auch wir schlachten gelegentlich Kamerunschafe, um sie an die Raubkatzen zu verfüttern.“ Das sei der Lauf der Natur, sagt Elmar Finke vom Verband der Zoopädagogen: „Wo geboren wird, muss auch gestorben werden.“
Nach den zwei schlagzeilenträchtigen Todesfällen von Giraffe und Tiger will nun auch der Augsburger Zoo demnächst wieder mit der Freude über eine besondere Geburt auffallen. Kommende Woche sollen zwei neue Sumatratiger ihr Gehege beziehen. Barbara Jantschke hofft, dass der Tigerkater Dhjala aus Frankreich und die Tigerkatze Berani aus Frankfurt sich vertragen werden. Und dass sie, vielleicht, kommendes Jahr Augsburger Tigerbabys präsentieren kann.
Zoos in Deutschland
Etwa 600 Zoos, Tier- und Wildparks gibt es in Deutschland. Insgesamt empfangen sie nach Angaben des Verbands der Deutschen Zoodirektoren jährlich etwa 65 Millionen Besucher. In den vergangenen zehn Jahren hat die Zahl der Besucher um etwa zwei Prozent pro Jahr zugenommen. Die meisten Zoos sind keine kommerziellen Einrichtungen, sondern werden vom Land oder den Kommunen betrieben oder gehören gemeinnützigen (Aktien-)Gesellschaften, Stiftungen oder Vereinen. „Relativ wenige könnten von ihrer Rechtsform her Profit machen, fahren aber oft Defizite ein oder reinvestieren den Profit in das Unternehmen“, heißt es beim Verband Deutscher Zoodirektoren.
Der älteste Zoo in Deutschland ist der Zoo Berlin, er wurde bereits im Jahre 1844 eröffnet. Es folgen Frankfurt (1857) und Köln (1860). Der Tiergarten in Nürnberg wurde 1912 eröffnet, seit Sommer 2011 existiert dort die Delfin-Lagune.
2330 Wirbeltiere in 270 Arten werden statistisch in einem durchschnittlichen Zoo gehalten. Davon sind 450 Säugetiere in 60 Arten, 540 Vögel in 90 Arten, 150 Reptilien in 30 Arten, 90 Amphibien in 10 Arten und über 1100 Fische in 80 Arten. Text: pda