Biologielehrer, die im Studium weder Genetik noch Ökologie gehört haben? Mathelehrer, die an der Universität keine Geometrie- oder Algebra-Kurse besuchen mussten? Chemielehrer, die nie selbst im Labor standen? Das scheint unvorstellbar. Doch im Ethik-Unterricht ist Vergleichbares häufig der Fall.
95 Prozent der rund 10 000 Lehrer, die in Bayern Ethik unterrichten, haben kein Staatsexamen für dieses Fach, heißt es in einer Ethik-Agenda, die Fachvertreter im Dezember unterzeichneten. Voraussetzung im Ethik-Studium fürs Lehramt sei lediglich der Besuch von drei Seminaren und drei abschließenden Prüfungen, sagt Jörn Müller. Er ist Professor für Philosophie an der Uni Würzburg und Mitunterzeichner der Ethik-Agenda.
Seit mehr als 40 Jahren steht das Fach in Bayern auf dem Lehrplan. Als Ersatzfach für jene Schüler, die den Religionsunterricht nicht besuchen möchten oder dürfen. Weil sie einer anderen Konfession angehören oder weil sie sich bewusst gegen den christlichen Religionsunterricht entscheiden. Bayern war im Jahr 1972 eines der ersten Bundesländer, das eine solche Alternative schuf.
Seitdem ist die Nachfrage stark gestiegen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich im Freistaat der Anteil der Grundschüler, die den Ethikunterricht besuchen, nahezu verdoppelt. Die Qualifikation der Lehrer hingegen blieb hinter dieser Entwicklung zurück. Ein Staatsexamen für das Schulfach Ethik wurde in Bayern erst 2002 eingeführt. Jedoch kann Ethik im Lehramtsstudium, anders als evangelische oder katholische Theologie, bis heute nur als sogenanntes Drittfach studiert werden.
Eine Regelung, die nach Ansicht von Klaus Wenzel, Präsident des bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), die Wertigkeit des Faches in der bayerischen Politik zeige. „Die Konkurrenz durch das Fach Ethik wird geduldet, ist aber nicht gewünscht“, sagt auch Müller.
Vor allem in den Anfangsjahren blieb Lehrern nur die Möglichkeit, sich durch einzelne Fortbildungen zu qualifizieren. Ein Grund dafür, dass der Großteil der Ethiklehrer an bayerischen Schulen fachfremd unterrichtet. Auch der Sprecher des Kultusministeriums, Ludwig Unger, sieht diese Problematik. „Im Einzelfall unterrichten noch immer Lehrer, die keine vertiefte Ausbildung haben“, sagt er. Doch seiner Ansicht nach könne sich ein Lehrer, ein „Fachmann für Unterricht“, einen gewissen Stoff aneigenen, ohne dass er dafür gleich ein Staatsexamen brauche.
Eine Äußerung, die bei vielen Lehrern für Unmut sorgen dürfte. Ungenügend wäre wohl die Note, die Wenzel der derzeitigen Situation geben würde. Eine oberflächliche Ausbildung wirke sich direkt auf die Glaubwürdigkeit eines Lehrers und somit auch auf den Lernerfolg aus, sagt der BLLV-Präsident. „Bedenklich“ sei es, wenn Lehrer nicht so firm in einem Stoff seien, dass sie sich sicher fühlten. Wenzel sieht großen Nachholbedarf. Er wünscht sich ein klares Signal der Politik. „Ethik muss als gleichwertiges Fach eingestuft werden, ebenso wie Mathe oder Deutsch.“ Auch der Würzburger Philosophie-Professor Müller fordert seit langem, Ethik als gleichwertiges Fach zu etablieren.
Ein Wunsch, der in München derzeit wohl noch zu viel verlangt ist. Allerdings ist jüngst etwas Bewegung in den Prozess gekommen. Das Kultusministerium sei im Gespräch mit Fachwissenschaftlern, wie man die Ausbildung der Ethik-Lehrkräfte je nach Schulart weiterentwickeln könne“, so Unger. Ein Aspekt sei dabei, wie die Möglichkeiten der Nachqualifizierung für bereits im Dienst befindliche Lehrkräfte künftig attraktiver gestaltet werden könne, etwa durch Blockseminare zur Vorbereitung auf die Erweiterungsprüfung oder auch Online-Angebote.